zusammengefasst hatte. Sie trug den gleichen Anzug wie er, natürlich die Damenversion. Auch sie war etwas üppiger. Und auf den dunkelhaarigen, eher unscheinbaren, hageren und großen jungen Mann, dessen Anzug noch teurer aussah als der seines Vaters und der darüber noch eine Weste trug. Das Ganze sah ein bisschen so aus wie eine moderne Ritterrüstung, fand Lisa. »Das hier war unsere Feiertagsausfahrt, und wir waren auf dem Ostermarkt in Langenburg. Genauer gesagt, als Letztes waren wir im Café Bauer.«
»Ach. Und dort haben Sie auch was gegessen?«, erkundigte sich Lisa.
»Ja. Alle das Gleiche. Eine hervorragende Wibele-Torte.«
»Wibe-was?«, hakte Lisa nach.
Heiko grinste. Das war Hohenloher Spezialwissen. Und er war sicher, dass er Lisa schon mal von den Wibele erzählt hatte, offenbar hatte sie es vergessen. »Se Wibele are se trädischonel Biskwit of Hohenlohe Country«, wisperte er und fügte hinzu: »Erklär ich dir später.«
Lisa nickte, jetzt war wohl kaum der richtige Zeitpunkt für derlei Ausführungen. »Jedenfalls haben Sie alle das Gleiche gegessen?«
»Ja, warum?«, fragte Manfred Hofmeister zurück.
»Nur so«, antwortete Heiko frech, das brauchte Hofmeister nicht zu wissen, das würde noch früh genug herauskommen. Gleichzeitig verwarf er seine Idee von der Lebensmittelvergiftung, denn niemand aus der Truppe hatte spucken müssen. »Schlecht ist auch niemandem von Ihnen?«, setzte er nach, um allerletzte Zweifel auszuräumen.
Kollektives Kopfschütteln.
»Ach, und vorher waren wir noch auf der ›Jagsttalranch‹ in Großforst«, fügte Hofmeister hinzu. Heiko nickte und machte sich gedanklich Notizen.
»Jetzt kennen wir alle außer Ihnen!«, richtete Lisa das Wort endlich an die geradezu ätherische Schönheit mit den langen schwarzen Haaren im knallroten Lederanzug, die sich soeben mit einem silbernen Feuerzeug eine dünne Zigarette anzündete.
»Susanne Schneider heiß ich«, stellte sich die Frau vor und zog an der Kippe, blies mit einer ruckenden Bewegung des Kopfes Rauch aus und sah Lisa aus grünen Augen herausfordernd an.
Heiko räusperte sich und beendete damit den direkten Blickkontakt zwischen den beiden Damen. »Sie dachten also, dass der ein bisschen hin- und herschwenkt mit der Maschine, um Spaß zu haben.«
Wieder nickten alle.
»Zumindest die, die hinter ihm gefahren sind. Wir waren ja vor ihm und haben gar nichts mitgekriegt, genau wie die Susi und seine Familie«, präzisierte Manfred.
Heiko brummte, das machte Sinn. »Aber den Unfall haben Sie alle mitbekommen«, vermutete er.
»Der war nicht zu überhören, ja.«
»Richard ist plötzlich geradeaus weitergefahren und über den Hang geschanzt, dann vom Moped gefallen und in hohem Bogen gegen den Baum geknallt«, erklärte Jan.
»Den Luxemburger Bratbirnenbaum«, präzisierte Timo. »Mit so was kenn ich mich aus.«
»Aha«, machte Heiko und sah zu dem betreffenden Obstbaum, den er mit seinem Halbwissen gerade noch als Birnbaum und eben nicht als Apfelbaum identifiziert hätte.
Sie wussten noch nicht definitiv, ob es sich um Mord handelte. Deswegen war es jetzt auch müßig, die Leute allzu genau auszuquetschen, vielleicht sogar kontraproduktiv, falls der Mörder sich unter ihnen befinden sollte. Falls!, denn Heiko zweifelte ja immer noch, ob der Kerl nicht einfach erbrochen hatte, vielleicht doch besoffen, und dann einfach weggetreten war. Vielleicht hatte er Drogen intus gehabt, von denen die anderen nichts wussten. Eine Medikamentenunverträglichkeit wäre ebenso möglich. »Die Kollegen haben Ihre Daten aufgenommen?«, vermutete Heiko. Und Manfred, der Anführer, der Leader of the Gang, nickte. »Mir sinn sowieso alle bei den MFHC.«
Nachdem sich Lisa und Heiko eine weitere Abfuhr bei den Sanitätern abgeholt hatten – die Ehefrau und der Sohn hätten beide einen schweren Schock –, beschlossen sie, nach Langenburg hochzufahren. So wie die Sache aussah, konnte man hier sowieso nicht von einem Tatort sprechen, selbst dann nicht, wenn es sich tatsächlich um Mord handeln sollte. Wenn es sich um einen Mord handeln würde, wäre die ganze Sache unglaublich kompliziert.
»Schauen wir am besten mal ins Café Bauer, wenn die da als Letztes waren. Vielleicht ist ja jemandem was aufgefallen. Und außerdem will ich mal den blöden Gaffern Bescheid geben«, verkündete Heiko.
»Die sind doch längst weg, bis wir da sind!«, glaubte Lisa.
Heiko schnaubte. »Die Hartnäckigen bleiben, bis alles rum ist. Und da oben haben die ja einen Logenplatz.«
Sie waren schon gemeinsam in Langenburg gewesen, natürlich, denn Lisa wohnte jetzt seit vier Jahren in Hohenlohe. Trotzdem war es von Crailsheim aus nicht gerade ein ständiger Zielort. Sie hatten einmal das Schloss besichtigt, das wohl eines der wenigen war, dieeinen offiziellen Hundefriedhof am Fuße ihrer Mauern hatten. Dort parkte Heiko den M3, was nur deshalb möglich war, weil sich am späten Nachmittag die Besucher des Ostermarktes nach und nach gelichtet hatten. Diesmal durfte Sita wieder mit, zum ersten Mal war sie bei einer Ermittlung dabei, und schwanzwedelnd rannte der Dackel voraus. Zahlreiche Menschen kamen ihnen entgegen, die alles Mögliche mit sich schleppten – Heiko kam sich fast wie auf der Muswies vor. Da hatte es auch schon einen Todesfall gegeben, er erlebte sozusagen ein doppeltes Déjà-vu. Sie passierten den Kunstverein und überquerten die Straße in Richtung Altstadt. Heiko zog Lisa von all den Ständen fort, mit der Begründung, dass sie zu tun hätten. Ein angenehmer Nebeneffekt ihrer Ermittlung war natürlich, dass er gleich in den Genuss eines Kaffees und der hervorragenden Wibele-Torte des Café Bauer kommen würde.
Lisa und Heiko erkletterten die teppichbelegten Stufen des Langenburger Traditionscafés. Das andere, das Café Dürr, stand dem »Bauer« in nichts nach. Allerdings mussten sie nun im »Bauer« ermitteln. Und sie würden die wunderschöne Aussicht genießen können, denn die Dachterrasse im »Bauer« bot einen fantastischen Blick über das gesamte Jagsttal in Richtungen Bächlingen, von den Hohenlohern nur »Bächli« genannt. Und tatsächlich hatten sie Glück. Nachdem sie das etwas antiquiert, aber überaus stilvoll in Rosatönen eingerichtete Café, das von schweren, alten Art-Déco-Messinglampen illuminiert wurde, durchquert hatten und hinaus auf die lichtdurchflutete Terrasse getreten waren, standen soeben zwei ältere Damen an der Wand auf, und Lisa und Heiko konnten den Tisch in Beschlag nehmen.
Die Bedienung, eine junge blonde Dame mit kessem Pferdeschwanz und sehr schlanker Figur, räumte eilfertig die beiden Eiscafébecher weg und wischte den Tisch ab, um ihnen anschließend mit aufforderndem Lächeln zwei Speisekarten hinzulegen. Nachdem sie sich bedankt hatten, fixierte Heiko die Tische direkt an der Brüstung, wo sich die Leute mit etwas zu trinken und dem einen oder anderen Tortenstück so postiert hatten, dass sie einen hervorragenden Blick auf das Tal hatten. Nach wie vor saßen die Menschen am kleinen Erker, der über den Rest des Geländes ragte, dichter gedrängt als auf dem Rest der Veranda. Nicht alle gafften offensiv, aber kaum einer linste nicht alle paar Sekunden verstohlen hinüber, um zu sehen, ob es neue Entwicklungen gab und vielleicht endlich die Leiche abtransportiert wurde, denn das wäre eine willkommene Abwechslung im manchmal so tristen hohenlohischen Alltag.
»Und hier haben die also – wie heißt das noch mal – Wibele-Torte gegessen?«, fragte Lisa.
»Ja, Wibele sind das Langenburger Nationalgebäck – allräddi entschoid bei Her Mädschesty Kwiin Victoria«, erläuterte Heiko.
»Und wieso redest du jetzt auf einmal Englisch?«, wunderte sich Lisa.
»Weil es da eine ganz kultige Rede von 1961 gibt, in der der Langenburger Bürgermeister der frisch inthronisierten Queen Elisabeth Wibele schenkt. Dabei konnte der arme Mann gar kein Englisch, und die Queen hat’s vor Lachen fast verrissen.«
»Echt? Das müssen wir mal anschauen. Gibt’s das online?«
»Klar, man muss nur ›Queen‹ und ›Langenburg‹ eingeben, dann findet man’s.«
»Soso.«
»Ja, und Prinz Philipp soll