begegnet waren, war einer von diesen Spinnern. Sven hatte ihn eigentlich immer ganz gut leiden können. Er hatte ihn vergleichsweise nett gegrüßt, und der Herr Streng hatte den Gruß freundlich erwidert. Allerdings würde der alte Lehrer nicht gutheißen, was Sven alles trieb. Damit konnte Sven aber leben, denn er hatte ein gutes Leben.
Er sah wieder auf die Uhr, die Susi hatte noch kommen wollen. Die hirnlosen Schlampen, die Heinz mitgebracht hatte und die Alex schon mehrfach zum Aufstöhnen gebracht hatten, begannen, ihm auf die Nerven zu gehen. Er hatte es übertrieben gefunden, dass Heinz den Damen Shirts mit dem Aufdruck »Property of Tarantel Hohenlohe« gemacht hatte, welche die sogar brav trugen. Seine Susi war da ein ganz anderes Kaliber. Die war nicht nur schön. Auch, wenn er es niemals zugegeben hätte: Es reizte ihn, wenn Frauen selbstständig dachten. Und die Susi würde sich niemals so ein Shirt anziehen, denn sie sah sich nicht als sein Besitz, auch, wenn er das schon irgendwie gut gefunden hätte, es wäre einfach. Und natürlich ließ er in seinen Beziehungen niemals einen Zweifel daran, dass er der Chef war, ganz klar. Auch und vor allem im Bett. Aber die Susi forderte ihn heraus, die ließ sich nicht alles gefallen. Das war gar nicht schlecht. Anders als den vielen anderen zuvor hatte er ihr auch noch nie eine geklebt, er mochte sie einfach viel zu sehr.
»Svennnn!«, grölte Florian, einer, der noch nicht allzu lange dabei war, sich aber ganz gut machte, vor allem im Verticken von Sachen auch gar nicht schlecht war.
»Hey!«, meinte der »Tarantel«-Boss und fuhr sich durch den perfekt getrimmten Bart, bevor sie beide vom guten Crailsheimer Engel-Export tranken, das hier neben dem ebenso guten Riedbacher Franken Bräu in mehreren Kästen bereitstand.
»Kommt die Susi heut nicht?«, lallte er, und Sven konnte ein gieriges Leuchten in seinen Augen sehen.
Sein Blick verfinsterte sich, und er packte den verdutzten Florian am Shirt, um ihn nah zu sich heranzuziehen, extrem nah. »Du läsch die Finger von ihr, gell!«, drohte er und sah den rotblonden Mann schlucken. Er schubste ihn ein klein wenig nach hinten, mit gerade so viel Energie, dass der Angetrunkene sich noch fangen konnte.
»Aber, Sven, wo denksch du nou!«, grinste er. Als er seine Kutte wieder gerichtet und einen weiteren Schluck aus der Bierflasche genommen hatte, fügte er hinzu: »Nur gugga!«
Sven sah ihn für eine Sekunde ernst an, schließlich grinste er und prostete ihm zu. »Gugga deffsch du, soulang du moochsch! Aber net noulanga!«
Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr, sie war katzenartig, und kurz war er irritiert, aber dann erschien sie ihm allzu vertraut. So bewegte sich nur eine. »Susi, meine Wildkatze!«, grüßte er sie auf Hochdeutsch. »Da bist du ja endlich, Baby! Wir haben grade von dir gesprochen.«
Die Angesprochene legte ihren Helm auf einem größeren Stein ab. Sie trug ihre rote Lederkluft, und das machte ihn heiß, wahnsinnig heiß. Er würde sie nachher richtig rannehmen, von hinten, und sie dabei an den langen Haaren ziehen, denn das turnte sie richtig an.
»Hey, Boss«, grüßte sie ihn mit einem Augenzwinkern. Er wusste, dass sie das hochgradig ironisch meinte, doch das schnallten die meisten seiner Jungs gar nicht, und sie tat ihm den Gefallen, um seine Position zu stärken. Er war der Anführer, bei ihm liefen die Fäden zusammen, bei ihm …
Sie drückte ihm einen Kuss auf den Mund, warm und feucht, und ihr Haar fiel wie ein Vorhang um sein Gesicht. »Hast du mich vermisst?«, fragte sie mit ihrer rauen, leicht kehligen Stimme.
»Kaum«, meinte er mit gespielter Ablehnung. »Du bist heute fremdgegangen«, tadelte er und gab ihr einen Klaps auf den kleinen, runden, festen Po. Das mochte sie, auch im Bett.
Susi schenkte ihm einen Augenaufschlag. »Hast du schon das mit dem Richard mitgekriegt?«, erkundigte sie sich und nahm mit kleinem huldvollem Nicken eine Bierflasche an, die Florian ihr hinhielt.
»Wer ist Richard?«, fragte Sven zurück und legte seine große Hand auf ihren runden Arsch. Dann brachte er seinen Mund ganz nah an ihr Ohr und leckte mit seiner Zunge ihr Ohrläppchen. »Ist das dein Neuer? Du weißt doch, wenn du mich jemals bescheißt, Baby, dann bring ich euch beide um.«
Susi lachte glockenhell. »Lass den Scheiß, Sven«, mahnte sie und trat einen Schritt zurück. »Das ist nicht witzig. Der ist tot.«
»Der Wengerts Ritschie?«, riet Sven, und Susi nickte. »Scheiße«, fluchte er. »Was ist denn passiert?«
»Unfall, bei Bächlingen.«
»Warst du dabei?« Weiber vertrugen so was nicht gut, das wusste er. Aber seine Susi war vergleichsweise hart im Nehmen.
»Ich bin vor ihm gefahren«, antwortete seine Freundin.
»So, dann hat er dir ja die ganze Zeit auf den Arsch schauen können, du kleine Schlampe!« Wieder ein Klaps auf den Po, diesmal ein stärkerer Protestschrei von Susi.
»Sven! Das ist echt nicht witzig.«
Der »Tarantel«-Boss leckte sich die Lippen. Da hatte Susi ganz recht, die Sache war überhaupt nicht witzig. Und vor den Toten musste man ein klein bisschen Respekt haben, selbst er, der sonst vor nichts und niemandem Respekt hatte. »Hey!«, brüllte er, und als er bemerkte, dass er das allgemeine Grölen nicht übertönt hatte, versuchte er es noch mal lauter: »Hey!«
Schlagartig verstummte alles, selbst die Vögel und die paar ersten Sommergrillen, es waren nur noch ein leises Plätschern vom See her und das Prasseln der Flammen ihres Lagerfeuers zu hören.
»Schweigeminute für Richard Wengert, der heute nach Walhalla eingezogen ist«, forderte Sven seine Getreuen auf.
Alle gehorchten, senkten die Köpfe, so lange, wie er es wollte, das war klar.
Nach ungefähr 30 Sekunden befahl er: »So, und jetzt feiern wir weiter.« Jemand, der seiner Susi so ungeniert auf den Arsch stierte, wie es der Ritschie immer getan hatte, der verdiente nicht mehr als eine halbe Schweigeminute, auch als Toter nicht. Und hätte er noch gelebt, hätte er eher eins in die Fresse oder einen ordentlichen Leberhaken verdient.
Das hohenlohisch-westfälische Ermittlerteam stand um dieselbe Zeit vor einem Reihenendhaus im Sauerbrunnen, einem der zentralen Crailsheimer Stadtteile. Der akkurat gepflegte Vorgarten strahlte gutbürgerlichen Charme aus, ebenso wie ein metallenes Türschild mit dem Namen der Familie Wengert und die Fußmatte, die mit einem Hollywood-Boulevard-Stern verziert war und ebenfalls den Familiennamen trug.
Ein dezentes Surren ertönte, als Heiko die mit Computer beschriftete Klingel drückte.
Die Gegensprechanlage klackte, und ein leises »Ja?« erklang.
»Wüst und Luft von der Kriminalpolizei«, meldete Heiko und bückte sich dabei ungeschickt hinab.
Als Antwort surrte der Türöffner, und die schwere weiße Haustür schwang auf.
Lisa und Heiko betraten die helle Wohnung, die überwiegend in Weiß und Chrom eingerichtet war. Im Flur erwartete sie mit verschränkten Armen Max, der Sohn des vermeintlichen Mordopfers. Er trug einen dunkelblauen Jogginganzug und wirkte angemessen verstört, aber gleichzeitig so aufmerksam, dass Heiko sofort wusste, dass er mit ihm würde reden können.
»Nochmals unsere Anteilnahme«, begann Lisa, die so etwas deutlich besser konnte als Heiko. Sie reichte Max die Hand, der sich aus seiner starren Haltung löste und ihren Händedruck kräftig erwiderte.
»Von mir auch«, beeilte sich Heiko und fügte hinzu: »Ist denn Ihre Mutter auch da? Und ist sie jetzt in der Lage, mit uns zu reden?«
Max nickte und führte die Kommissare ins Wohnzimmer. Das Erste, was einem in diesem Raum auffiel, war ein riesiges Aquarium mit fünf seltsamen, grimmig dreinblickenden und relativ großen Fischen, die von blauem Licht angestrahlt wurden. Wenige Pflanzen wuchsen im Becken, das von Moorkienwurzeln und einigen flachen Steinen dominiert wurde.
»Sind das …«, begann Heiko.
»… Piranhas, ja. Ein Hobby meines Vaters«, vollendete Max.
»Die gucken aber böse«, stellte Lisa fest.
»Ich