Uwe Klausner

Stasi-Konzern


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Kein Bedarf? Na also, warum nicht gleich! Was Sie jetzt tun sollen, fragen Sie? Na, was wohl – den Mund halten! Zu niemandem ein Wort, kapiert? Nichts für ungut – und danke für den Anruf. Wiederhören!«

      »Schwierigkeiten?«

      »Nicht, dass ich wüsste!«, erwiderte Mielke und warf Radek, der ihn mit hochgezogenen Brauen musterte, einen unwirschen Seitenblick zu. Dann erhob er sich, durchquerte den Raum und riss die Tür zum Vorzimmer auf, wo er auf einen erstaunt dreinblickenden Kamerowski traf. »Czerny soll kommen!«, bellte er, eine Vorahnung, die sich alsbald bestätigte, im angespannt wirkenden Gesicht. »Aber dalli!«

      Kamerowski, nicht minder ahnungsvoll, senkte den Blick. »Bedaure, das wird nicht gehen.«

      »Und wieso nicht?«

      »Hier, Genosse Minister«, antwortete der Generalmajor, einen Umschlag, der an Mielke adressiert war, in der ausgestreckten Hand. »Er hat Ihnen eine Nachricht …«

      Mielke wartete die Antwort nicht ab, gebot Kamerowski zu schweigen und öffnete das Couvert. Dann überflog er den darin befindlichen Brief.

      Ein Brief, der es wahrhaftig in sich hatte.

      Wie lange er dagesessen, vor sich hin gestarrt und sämtliche Racheszenarien, die ihm in den Sinn kamen, durchgespielt hatte, war dem Stasi-Chef hinterher nicht bewusst. »Schlechte Nachrichten?«, fragte der Leiter der Sektion Omega, ein rätselhaftes Lächeln im Gesicht. Und ergänzte: »Czerny, hab ich recht?«

      Mielke nickte, in Gedanken immer noch bei dem Mann, dem er wie keinem Zweiten vertraut hatte. Dann, nach einem Kopfschütteln, das seine ganze Ratlosigkeit ausdrückte, reichte er den Brief über die rechte Schulter.

      Die Reaktion fiel jedoch anders aus als erwartet. »Kopf hoch, Genosse Minister«, tönte es hinter seinem Rücken, optimistischer als erwartet. »Ich weiß, wo der Verräter steckt!«

      6

      Berlin-Schöneberg, Sydows Wohnung in der Grunewaldstraße │09:10 h

      »Kann es sein, dass du ein bisschen zugelegt hast, Tom?«, fragte Sydows Schwiegersohn in spe und biss in die Käsestulle, die der Stiefvater seiner Angebeteten geschmiert hatte. »Tut mir leid – war nicht so gemeint!«

      Sydow nahm es mit Humor. Auf ein paar Kilo mehr oder weniger kam es schließlich nicht an, Hauptsache, man fühlte sich wohl.

      Und das war bei ihm ja wohl der Fall, oder?

      »Freut mich, wenn es dir schmeckt, Hajo«, warf der Hausherr ein und beschloss, dem Frühstück mit Lea ein zweites in Form einer Käsestulle mit Zwiebeln, seinem erklärten Leibgericht, folgen zu lassen. Auf einem Bein konnte man nicht stehen, und anderen beim Essen zuzusehen war nun wirklich nicht das Wahre. »Greif zu!«

      »Wenn ich ehrlich bin, ist mir der Appetit vergangen«, bekannte Hans-Joachim Marquard, 23, Student an der Kirchlichen Hochschule in Zehlendorf und Verlobter von Leas Tochter aus erster Ehe, und legte die angebissene Stulle auf den Teller. »Warum, kannst du dir wahrscheinlich denken.«

      Sydow verneinte. »Probleme an der Uni?«

      »I wo! Alles bestens.«

      »Na dann!« Um nicht unhöflich zu erscheinen, unterbrach Sydow sein zweites Frühstück, verschränkte die Hände und sah den Freund seiner Stieftochter Veronika, auch sie Studentin, mit erwartungsvoller Miene an. »Irgendwas nicht in Ordnung?«

      »Das kannst du aber laut sagen.«

      Sydow stutzte. Ein Blick auf den blonden, ein wenig blass und anders als sonst auch ein wenig fahrig wirkenden Studenten der Theologie aus Lichterfelde, und der Gedanke an einen geruhsamen Vormittag begann sich in Luft aufzulösen. »Rück raus damit, Hajo – was ist los?«

      »Es ist wegen Vroni, Tom. Wir haben uns in die Wolle gekriegt.«

      »In die Wolle gekriegt?« Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Erst der Disput mit Lea, und jetzt, im denkbar ungünstigsten Moment, sein zukünftiger Schwiegersohn, der wie ein Häuflein Elend am Küchentisch saß und seinem Ersatz-Vater das Herz ausschütten wollte. »Weshalb denn? Ich dachte, mit euch beiden ist alles in …«

      »Das war es auch, Tom. Bis vor vier Tagen.«

      Böses ahnend schob Sydow seinen Teller auf die Seite, legte die Ellbogen auf die Tischplatte und hoffte, dass sich die Vermutung, die in ihm aufkeimte, nicht bewahrheiten würde. Hajo, seit dem Krieg Halbwaise und infolge des Krebstodes seiner Mutter auf sich allein gestellt, war nicht nur ein zukünftiger Verwandter, sondern mittlerweile fast so etwas wie ein Sohn für ihn geworden. Die Sympathie, die er für ihn hegte, beruhte auf Gegenseitigkeit, und es gab nichts, was ihm der schlaksige und so gut wie nie ohne Schlips und weißes Hemd in Erscheinung tretende junge Mann mit dem Kurzhaarschnitt nicht anvertraut hätte. Lea, verwundert über so viel Vertrautheit, zog ihn zwar wegen seines Beschützerinstinktes auf, aber das war, wie so vieles, nicht wirklich ernst gemeint. »Kopf hoch, Hajo, das kommt in den besten Familien vor.«

      »Ich weiß. Aber zugesetzt hat es mir trotzdem.« Marquard stierte bedrückt vor sich hin. »Mal ehrlich, Tom: Würdest du dich freuen, wenn Lea dich als Kriminellen bezeichnet hätte?«

      Obwohl ihm nicht danach war, konnte sich Sydow ein Lächeln nicht verkneifen. »Hast du eine Ahnung, was Lea mir schon alles an den Kopf geworfen hat!«, übte er sich in Humor, was, wie er sehr wohl wusste, der Situation nicht angemessen war. Und ruderte prompt zurück: »Ich weiß, so was ist nicht zum Lachen. Tut mir leid, Hajo. Zumal ich mir sicher bin, dass du ein grundanständiger Zeitgenosse bist.«

      »Freut mich zu hören, Tom«, entgegnete Marquard, die Andeutung eines Lächelns im glatt rasierten Gesicht. »Die Genossen und etliche meiner Kommilitonen sehen das leider anders.«

      »Die Genossen?«, rief Sydow aus, bestürzt, dass sich seine Vorahnung zu bewahrheiten schien. »Sag, dass du nichts damit zu tun hast!«

      »Falls du den Hickhack wegen der Tunnelbuddelei meinst – doch.«

      Sydow stieg die Zornesröte ins Gesicht. »Damit wir uns richtig verstehen, Hajo – «, rang er nach Worten, obwohl ihm klar war, worauf der sichtlich geknickte Theologiestudent hinauswollte, »du behauptest, beim Bau des Tunnels, der von Wedding aus in die Ost…«

      »Ich behaupte es nicht nur, Tom – ich war dabei.« Hans-Joachim Marquard lächelte gequält. »Hättest du mir nicht zugetraut, was?«

      Sichtlich geschockt, war Sydow die Lust am Witzereißen vergangen. »Heißt das, du warst mit von der Partie, als der DDR-Grenzer erschossen worden bist?«

      »Das heißt nicht ›DDR‹, sondern ›Ostzone‹. Originalton Sydow.«

      »Lenk nicht ab, Hajo. Du weißt genau, wie ernst die Sache ist.«

      »War, Tom, war.« Marquard hob den Kopf und sagte: »Wie dem auch sei – sie hat sich gelohnt.«

      »So, meinst du.« Obwohl er seit einem halben Jahr nicht mehr rauchte, begann sich in Sydow das dringende Bedürfnis nach einem Glimmstängel zu regen. Eine Verlockung, der er nur mit Mühe widerstand. »Und was genau hast du zum Gelingen beigetragen?«

      »Ich bin Schmiere gestanden.« Marquard, der die Rolle des bußfertigen Pennälers perfekt beherrschte, kratzte sich hinterm Ohr. »Auf der Weddinger Seite.«

      »Ausguck auf dem Dachboden, hab ich recht?«

      »Ich sehe, du kennst dich aus.« Heilfroh, das Schlimmste überstanden zu haben, trank Marquard einen Schluck Kaffee. »Wie du dir vorstellen kannst, ist es kein Pappenstiel, so ein Ding über die Bühne zu bringen«, fuhr er fort, längst nicht mehr so zurückhaltend wie zuvor. »Hat schließlich gedauert, bis wir fertig

      waren.«

      »Wir?«

      »Du verlangst doch nicht, dass ich dir eine Antwort gebe, oder?«

      »Nicht wirklich.« Sydow ließ die angestaute Atemluft entweichen. »Dann stimmt es also, was die Genossen behaupten. So kann man sich