Uwe Klausner

Stasi-Konzern


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schon lieber eine FdH-Kur.

      »Was guckst du denn so? Hab ich etwas Falsches gesagt?«

      »I wo. Wo denkst du hin.«

      »Sei doch nicht immer gleich be…«

      »Ich bin nicht beleidigt, Lea. Ich weiß selbst, dass ich zu viel Speck auf den Rippen habe.«

      »Speck oder nicht – ich muss jetzt los!«, erwiderte Lea Sydow, strich ihrem Mann über die Wange und hastete von dannen. »Mach’s gut, Brummbär – bis heute Nachmittag!«

      Du hast gut reden!, dachte Sydow bei sich, verzehrte die Reste seiner Stulle und konnte der Versuchung, ihr eine Portion Rührei folgen zu lassen, nicht widerstehen. Ein opulentes Frühstück war nicht zu verachten, besonders wenn man Kap Hoorn nur knapp umschifft hatte.

      Dachte er wenigstens.

      Und ahnte nicht, was ihm noch bevorstehen würde.

      Doch dann, kaum dass seine Frau zum Aufbruch gerüstet hatte, geschah es. Telefon, zu allem Unglück Dauerläuten. Das bedeutete nichts Gutes.

      Sydow angelte sich einen Speckstreifen, erhob sich, eilte mit vollem Mund an den Apparat und nahm ab.

      Kurz darauf, nach Beendigung des Gespräches, ließ er den Hörer auf die Gabel sinken.

      Freitag, der 9. Oktober 1964, versprach ein besonderer Tag zu werden.

      Ein Tag, an den er noch lange denken würde.

      5

      Ost-Berlin (Stadtbezirk Lichtenberg), Haus 1 des Ministeriums für Staatsicherheit in der Ruschestraße 103 │08:40 h

      Er war der Mann, mit dem es sich nicht einmal Ulbricht verderben wollte, und es gab nicht wenige, die ihn als heimlichen Herrscher der DDR bezeichneten. Er selbst, Tschekist aus Überzeugung, hörte es mit Vergnügen, reagierte jedoch ungehalten, wenn er darauf angesprochen wurde. Dass dies der Wahrheit entsprach, wusste er jedoch nur zu gut, doch war er klug genug, sich in Zurückhaltung zu üben. Dies galt vor allem für sein Auftreten gegenüber Spitzenkadern, wo er darauf bedacht war, den aufopferungsvollen Parteisoldaten zu mimen.

      Insgeheim jedoch, vor allem im Umgang mit Untergebenen, legte der Minister für Staatssicherheit ein ausgesprochen rüdes, um nicht zu sagen vulgäres Benehmen an den Tag. Erich Mielke, 56 Jahre und zweites von vier Kindern eines KPD-Aktivisten aus dem Wedding, betrachtete dies jedoch nicht als Makel. Um die Körpergröße von 1,63 Metern zu überspielen, hatte er früh gelernt, auf sich aufmerksam zu machen. Eine Angewohnheit, die er auch dann beibehielt, als er die Leitung des MfS übernahm. Umgangsformen, gepaart mit Zurückhaltung, waren seine Sache nicht, die Wutausbrüche, auch solche im kleinen Kreis, allseits gefürchtet. Mielke, seit 1957 Stasi-Chef, war kein Freund langatmiger Diskussionen. Durchgreifen, handeln, nicht lange fackeln – das, verbunden mit einem klaren Feindbild, war seine Devise. Der Arbeitersohn, den die Aura eines Bullterriers umgab, war nicht nur impulsiv, sondern auch verschlagen, trotz wachen Verstandes nicht übermäßig gebildet und jederzeit bereit, seine Gegner, auch solche in den eigenen Reihen, aus dem Weg zu räumen. An ihnen herrschte gewiss kein Mangel, doch wagte niemand, sich mit ihm anzulegen. Erich Mielke war und blieb der meist gefürchtete Mann der DDR, und nichts deutete darauf hin, dass sich dies ändern würde.

      »Eins weiß ich genau: Wenn wir die Ratten, die den Tunnel gebuddelt haben, in die Finger kriegen, werde ich sie eigenhändig liquidieren.« Mielke redete nicht bloß daher, er meinte es auch so. Für ihn, Absolvent der Moskauer Lenin-Schule und Stalinist, gab es nur zwei Sorten von Menschen: überzeugte Kommunisten und solche, die man zu ihrem Glück zwingen musste. Was Letztere betraf, war jedes Mittel recht, um sie mundtot zu machen, wenn es sein musste, auch unter Anwendung von Gewalt. Wer nicht für ihn war, wurde liquidiert, nur eine der Lehren, die er aus seinem Aufenthalt in der Sowjetunion gezogen hatte. »Als Tschekist bin ich das unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat schuldig.«

      Mielke, der hochrangigste der drei Männer im abgedunkelten Dienstzimmer der Ost-Berliner Geheimdienstzentrale, erntete keinen Widerspruch. Dazu war das Thema, um das es sich bei der Diavorführung drehte, viel zu ernst. »Kann mir mal einer sagen, warum kein Schwein etwas davon mitgekriegt hat?«

      »Bei allem gebotenen Respekt, Genosse Minister –«, tönte es aus dem hinteren Teil des Raumes, der zum Geheimsten zählte, was die DDR zu bieten hatte, »das frage ich mich auch.« Geheim vor allem deshalb, weil sich unmittelbar hinter Mielkes Schreibtisch der Panzerschrank des VEB-Stahlschrankwerkes ›Feuerfest‹ befand, in dem Mielke Unterlagen aufbewahrte, die nicht in fremde Hände gelangen durften. In diese Rubrik fiel natürlich nicht nur der Klassenfeind und mit ihm ein ganzes Heer von ›Fronstadt-Agenten‹, Diversanten und Saboteuren, sondern in erster Linie auch die eigenen Genossen, an ihrer Spitze Ulbricht und Honecker. Es gab niemanden, dem der Herr der Spitzel vertraute, und schon gar niemand, der von sich behaupten konnte ihn zu kennen. Mielke hütete seine Geheimnisse wie einen Schatz, um sie bei passender Gelegenheit aus dem Ärmel zu ziehen. Darin, im Abpassen des richtigen Moments, lag seine Stärke, und man konnte nie sicher sein, wen er als Nächstes ins Visier nehmen würde.

      »Wie dem auch sei, Kamerowski«, erwiderte der Stasi-Chef, den Ellbogen auf der Lehne seines Sessels, und trommelte mit der Linken auf dem blankpolierten Schreibtisch aus volkseigener Produktion herum. »Noch so eine Panne, und ich kann meinen Hut nehmen.«

      »Panne?«, echote Mielkes Sekretariatsleiter, vom Schreibtisch aus kaum zu erkennen. »Dagegen sind wir doch wohl …«

      »Machtlos?«, vollendete der Stasi-Chef, kurz davor, aus der Haut zu fahren. »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst, Kamerowski!«

      Um nicht anzuecken, verkniff sich der 53-jährige Generalmajor eine Erwiderung und wechselte rasch das Thema. »Bitte um Erlaubnis, meinen Vortrag fortsetzen zu können, Genosse Minister!«, schnarrte er, nach eigenem Empfinden reichlich übertrieben. Bei Mielke, dem Lektor für militärpolitische Fragen an der Moskauer Lenin-Schule und Veteran des Spanischen Bürgerkrieges, kam so etwas jedoch gut an. Umso mehr, weil er Widerspruch auf den Tod nicht ausstehen konnte. »Sie gestatten?«

      Mielke machte sich nicht einmal die Mühe zu nicken, sondern stieß einen unwirschen Grunzlaut hervor.

      »Wo waren wir stehen geblieben – genau!« Kamerowski betätigte die Fernbedienung, um das nächste Schwarz-Weiß-Dia zu erläutern. Es zeigte ein Treppenhaus, von dessen Wänden der Putz abblätterte, das Geländer und eine Flügeltür. »Der Hinterausgang«, erläuterte der Sekretariatsleiter und betätigte den Schalter in der rechten Hand erneut. »Dort hat es den armen Teufel erwischt.«

      Mielke reagierte nicht darauf.

      Kamerowski nahm dies als Aufforderung zur Eile, womit er zweifelsohne richtig lag. »Und hier die gleiche Stelle von außen, also vom Hof«, tat er mit Blick auf die Backsteinfassade und die offen stehende Flügeltür kund. »Dort hat …«

      »Dort hat es den armen Teufel erwischt, ich weiß.«

      Dies war zwar nicht das, was Kamerowski hatte sagen wollen, aber es genügte, um ihn aus dem Konzept zu bringen. »Und … und hier, Genosse Minister –«, unternahm der 53-Jährige einen weiteren Versuch, seinen Herrn gnädig zu stimmen, indem er einen Zeigestock zur Hand nahm und auf die betreffende Stelle deutete, »kam es zu der folgenschweren Schießerei.«

      »Schießerei?«

      »Wie Sie wissen, hat das Gutachten unserer Ballistik-Abteilung ergeben, dass die Waffe von Unteroffizier Schultz nicht zum Einsatz gekommen ist.« Kamerowski gab ein Verlegenheitsräuspern von sich. »Er hat keinen Schuss abgegeben. Keinen einzigen.«

      »Und die Frontstadt-Saboteure?«

      »Mindestens ein halbes Dutzend.«

      »Wie? Nicht mehr?«

      »Soweit ich informiert bin, hat die Spurensicherung insgesamt sieben Patronenhülsen gefunden, die aus der Waffe des Fluchthelfers …«

      »Das heißt nicht ›Fluchthelfer‹, Kamerowski, sondern ›faschistischer Provokateur‹!«, brüllte Mielke und