Uwe Klausner

Stasi-Konzern


Скачать книгу

die er mit 40 geheiratet hatte, eine Tasse Kaffee ein. »Oder denkst du, ich lasse dich allein frühstücken? Kommt gar nicht in die Tüte, schöne Frau!«

      »Du bist ein Schatz, Brummbär, weißt du das?«

      Sydow wurde regelrecht warm ums Herz, aber da er sich mit Emotionsbekundungen schwertat, flüchtete er sich in Humor. »Brummbär und Schatz – wie passt das denn zusammen?«

      »Sehr gut«, antwortete Lea, schälte ihr Frühstücksei und lächelte Sydow an, als sei dies ihr erstes gemeinsames Rendezvous. Sydow geriet ins Träumen. Blondes, auf die schmalen Schultern herabfallendes Haar, azurblau schimmernde Augen, helles Kleid, Sommersprossen und die Figur eines Teenagers. So hatte sie ausgesehen, als sie zum ersten Mal miteinander Tanzen gegangen waren. Und so sah sie, 49 Lebensjahren zum Hohn, immer noch aus. Obendrein hatte Lea das Glück, stets jünger geschätzt zu werden, ein Vorzug, der Sydow nicht zuteilwurde. Er war zwar über 1,90 Meter groß; bis auf das volle rotblonde Haar war das aber auch schon alles, was imposant an ihm war.

      Er war kein einfacher Typ, und das sah man Thomas Randolph von Sydow, Sohn eines Spitzenbeamten und einer Engländerin, auch an. Die Nase, scharf geschnitten und ein Erbteil seiner Mutter, war eine Idee zu spitz, und das Gleiche galt für die hohen Wangenknochen, denjenigen seines Vaters zum Verwechseln ähnlich. Aber auch so hatte Sydow viel von ihm geerbt, wenngleich er in die Luft ging, wenn er mit dem Ministerialdirigenten im Reichsaußenministerium verglichen wurde. Sydow war reserviert, reizbar und zuweilen barsch, und das, im Verein mit der unterkühlten Art, war sein alter Herr auch gewesen. Darüber hinaus besaß er einen ausgesprochenen Hang zur Ironie, womit er sich bei der Kripo nicht nur Freunde gemacht hatte. Bei so viel Ähnlichkeit fielen die blauen Augen, die zumeist rissigen Lippen und der ebenfalls rotblonde Oberlippenbart nicht mehr groß auf. Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm, wie Lea zu betonen nicht müde wurde, und das traf, seinem Unwillen von Trotz, auch auf die eine oder andere von Sydows Charaktereigenschaften zu. »Wie heißt es doch so schön: raue Schale, weicher Kern.«

      »Was anderes: Wie lange musst du heute arbeiten?«

      »Gute Frage. Wieso fragst du?«

      »Nur so.«

      Ohne aufzublicken, fuhr Lea von Sydow mit dem Schälen des Eis fort, schnitt es in Scheiben und verteilte sie auf ihrem Brot. »Glaub nur nicht, dass mir das Spaß macht, Tom!«, antwortete sie geraume Zeit später, als Sydow, der an seiner Stulle herumkaute, schon nicht mehr mit einer Antwort rechnete. »Momentan habe ich wirklich nichts zu lachen.«

      »Kein Wunder – bei dem Ehemann.«

      »Du sollst nicht immer alles ins Lächerliche ziehen, Tom. Ich meinte meinen Beruf.«

      Nicht gerade erpicht auf einen Disput, riss sich der Kriminalhauptkommissar außer Dienst am Riemen. »Wieso – wo brennt’s denn?«

      »Live-Interview mit einem Fluchthelfer. Punkt zehn. Thema: ›Tod eines DDR-Grenzpolizisten.‹ Noch Fragen?«

      »Das heißt nicht DDR, das heißt …«

      »Ostsektor von Berlin, ich weiß!«, fiel Lea Sydow ihrem Mann ins Wort. »Wie auch immer – keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.«

      »Na, wie denn wohl! Indem du ihn fragst, wie sich alles abgespielt hat.«

      »Genau das ist der Punkt, Tom.« Die Ellbogen auf der Tischkante, verschränkte Sydows Frau die Hände und ließ das Kinn auf den Daumenkuppen ruhen. »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber … aber irgendwie behagt mir die Angelegenheit nicht. Versteh mich nicht falsch: An sich finde ich es in Ordnung, dass man Leuten, die es drüben nicht mehr aushalten, unter die Arme greifen muss. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste mein Leben hinter Mauer und Stacheldraht … Nein, Tom, was das betrifft, versagt meine Fantasie. Ich glaube, ich würde die glatte Wand hochgehen.«

      »Ich auch, das kannst du mir glauben.« Nicht sicher, worauf Lea hinauswollte, schob Sydow den Teller beiseite, täuschte Gelassenheit vor und fragte: »Und wo liegt dann das Problem?«

      »Das Problem, mein lieber Tom, liegt darin, dass bei der Schießerei ein Mensch ums Leben gekommen ist. So etwas darf nicht passieren. Mord bleibt nun einmal Mord, egal, ob es einen Grepo oder einen deiner Kollegen trifft.«

      »Ex-Kollegen.«

      »Na schön, dann eben Ex-Kollegen.« Sydows Frau stieß einen gequälten Seufzer aus. »Du verstehst, was ich damit sagen will?«

      Sydow deutete ein Nicken an. »Das heißt aber nicht, dass ich einer Meinung mit dir bin.«

      »Hätte mich auch gewundert. Und wieso nicht?«

      »Die Jungs haben ihr Leben riskiert, Lea. Sie haben sich abgerackert, um anderen zu helfen. Ich war zwar nicht dabei, aber wer sagt dir, dass der Betreffende nicht in Notwehr gehandelt hat?« Die Hände verschränkt, lehnte sich Sydow zurück. »Siehst du, jetzt kommst du ins Grübeln.«

      »Mord bleibt Mord, Tom. Davon lasse ich mich nicht abbringen.«

      »Falls es dich beruhigt: Ich auch nicht. Aber es ist nun einmal so, dass der Bau eines Fluchttunnels kein Zuckerschlecken ist. Wer mitmacht, weiß, dass er ein großes Risiko eingeht. Und wer, frage ich dich, hat denn schon Lust, den Rest des Lebens im Gelben Elend zu verbringen? Wer immer den Grepo auf dem Gewissen hat: Versetz dich doch mal in seine Lage. Da schuftest du wie ein Sklave, ackerst wie verrückt und verlangst keine müde Mark dafür. Und riskierst, dass dich die Stasi hopsnimmt und nach allen Regeln der Kunst durch die Mangel dreht. Würde dir das gefallen? Nein? Ob du es nun hören willst oder nicht, Lea: Bei einem Unternehmen wie dem Tunnel 57 musst du mit allem rechnen. Vor allen Dingen, dass dir jemand in die Quere kommt. Da kann verdammt noch mal eine Menge schiefgehen. Versteh mich nicht falsch, Lea: Mir tut der Grepo, der dran glauben musste, genauso leid wie dir. Aber was nicht zu ändern ist, ist nun mal nicht zu ändern. Und noch was: Der Fluchthelfer, der auf den NVAler geschossen hat, hat es nicht aus Jux und Dollerei getan. Das kann ich mir nicht vorstellen. Wer sagt dir, dass es einer von den Fluchthelfern war? Schon mal was von Querschlägern gehört? Oder von dem, was die Amis ›friendly fire‹ nennen?«

      »Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass …«

      »Ich glaube überhaupt nichts, Lea. Außerdem war ich nicht dabei.«

      »Aber?«

      »Aber ich weiß, wozu die da drüben fähig sind. Denen traue ich alles zu. Allen voran der Stasi. «

      »Weißt du eigentlich, wie du dich gerade anhörst? Wie der fleischgewordene kalte Krieger. Hier die Guten, dort drüben die Schlechten. Um ihnen eins auszuwischen, ist jedes Mittel recht.« Bevor sie fortfuhr, holte Sydows Frau tief Luft. »Was macht es schon, wenn einer von denen draufgeht. Kommt in den besten Familien vor, oder? Wo gehobelt wird, fallen nun mal Späne. Hauptsache, der Coup gelingt. Und was den Getöteten betrifft: War doch eh nur einer von der NVA, oder?«

      »Das habe ich nicht gesagt.«

      »Aber gedacht.«

      »Wenn du meinst – du musst es ja wissen.«

      »Du bist doch nicht etwa eingeschnappt, oder?«

      »Eingeschnappt – ich? Wo denkst du hin!« Natürlich war er eingeschnappt. Und wie. Aber das würde er nicht zugeben. »Lass sehen – was haben wir denn da! Es geht doch nichts über Ingwerkuchen made by Lea, findest du nicht auch?«

      »Lenk nicht ab, Tom.« Da auch sie einem Krach aus dem Weg gehen wollte, trank Lea Sydow noch einen Schluck Kaffee, erhob sich und umrundete den Tisch. Dann fuhr sie ihrem Mann durchs Haar. »Und sitz nicht den ganzen Tag hier rum. Bis ich wieder hier bin, kann es dauern.«

      »Wie lange denn?«

      »Keine Ahnung.« Sydows Frau nahm seinen Kopf zwischen die Hände und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Wie wär’s, wenn du mal einen Dauerlauf machst? Das bringt dich auf andere Gedanken.«

      Dauerlauf. Das fehlte noch. Wenn Churchill in einem Punkt recht gehabt hatte, dann darin, dass Sport dem Wohlbefinden eines Gentleman abträglich war. Zwar rauchte er äußerst selten