Markus Warken

Tödliche K. I.


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Sprache meiner Heimat Islay, und heißt ›Willkommen, Jana, wie geht es dir?‹«

      Sein Deutsch war fehlerfrei, wenngleich mit einem starken Akzent, wobei sein gutturales R am meisten auffiel. Er überragte Jana fast um einen Kopf, seine roten Haare wallten ihm offen über die Schultern – und er trug einen Kilt. Seine Pranke packte ihre Hand, und Jana unterdrückte einen Schmerzenslaut.

      »Danke, mir geht es gut«, erwiderte sie und knetete verstohlen ihre Fingerknöchel. »Und ich bin beeindruckt: Sie haben ja eine imposante Karte, Herr Bayne. Ich bin wirklich beeindruckt.«

      »Das freut mich zu hören! Nenn mich bitte Iain und sag du zu mir. Förmlichkeiten vertragen sich nicht mit dem Genuss edlen Whiskys.«

      Iain und seine Bar gefielen Jana immer besser, und sie hatte den Eindruck, dass auch er sie mochte. Er bat sie mit einer einladenden Geste an den Tresen, was ihr das Gefühl gab, den Job so gut wie in der Tasche zu haben. Jana setzte sich auf den Stuhl, den Iain ihr zurechtschob, reckte den Hals und sah ihn offen an.

      »Ich hoffe, du kennst dich mit Whisky aus?«

      »Hmm, ich denke schon.«

      »Malt, Single Malt, Blend, Bourbon?«

      Bei jedem der Begriffe nickte Jana zustimmend.

      »Kennst du den Unterschied zwischen Whisky und Whiskey mit ›e‹?«

      »Klar, der mit ›e‹ ist aus Irland«, antwortete sie.

      »Und, kannst du darüber ein bisschen ausführlicher erzählen?«

      Sie sah Iain fragend an.

      »Irischer Whiskey, schön, aber das reicht mir nicht. Was ist das Besondere daran? Pot Still? Grüne Gerste?« Seine Stimme bekam einen ungeduldigen Unterton, der Jana unwillkürlich an die des Fremdprüfers in ihrer mündlichen Abiturprüfung erinnerte. Als sie nicht antwortete, sah er fast enttäuscht auf sie herab. Janas Gesicht glühte auf. Nach der halbstündigen Druckbetankung in Sachen Whisky-Wissen durch Tante Greta hatte sie sich als Expertin gefühlt. Jana versteifte sich. Kampflos wollte sie trotzdem nicht aufgeben.

      »Okay, als Whisky-Expertin kann ich vielleicht nicht durchgehen.« Sie setzte ihr gewinnendstes Lächeln auf. »Aber unter Umständen kann ich Sie, äh, dich auf eine andere Art beeindrucken …«

      Iain zog die rechte Augenbraue empor.

      »Ich habe gesehen, dass du drei reinsortige Kaffees auf der Karte hast.«

      »Ja, sicher. Meine Gäste sind anspruchsvoll.«

      »Warum führst du drei sehr kräftige, eher säurereiche Sorten und keine einzige milde?«

      »Was würdest du denn vorschlagen?«

      »Vielleicht einen Maragogype, zum Beispiel aus Mexiko?«

      »Oha, keine Whisky-, aber dafür Kaffeeexpertin? Haben deine Eltern eine Rösterei?«

      »Nein«, erwiderte Jana, »das ist ein Tick von mir, den ich mir eigentlich nicht leisten kann. Faule Kompromisse hasse ich.«

      »Du hasst also faule Kompromisse«, wiederholte der Barbesitzer und griff hinter sich in einen Schrank. Wortlos stellte er sechs Gläser vor sie und goss aus verschiedenen Flaschen ein.

      »Ardbeg aus meiner Heimat Islay, The Glenlivet, Slyr, Yamakazi, Jameson – einer mit ›e‹.« Dabei lächelte er sie auf eine Art an, von der sie nicht hätte sagen können, ob sie spöttisch oder verschwörerisch war. »Und der Vollständigkeit halber etwas von dem grauenvollen Zeugs, das die Amis brennen.«

      »Ein Bourbon?«

      »Ja, Kentucky, Sour Mash. Probier den zuerst. Dann hast du es hinter dir.«

      »Soll das heißen, dass ich den Job habe?«

      »Wir können es ja mal miteinander versuchen«, sagte er gedehnt. »Aber du musst wissen, wovon du redest, dich mit Whisky solide auskennen. Mit zusammengegoogeltem Halbwissen vergraulst du mir meine Gäste.«

      Geraume Zeit später trat Jana ins Freie. Der Whisky in ihrem Bauch wärmte sie so sehr, dass sie die kühle Luft kaum spürte. Sie hatte den Job und in ihrer Handtasche zehn Fläschchen ausgefallener Whiskys, die sie bis zu ihrer ersten Schicht kennen musste.

      Am nächsten Morgen wachte Jana gegen acht auf und tappte im Halbschlaf in Richtung Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Weil ihr aus dem Wohnzimmer ein seltsames Rauschen entgegendrang, bog sie ab und bemerkte, dass an ihrem Klapprechner ein gelbes Licht blinkte. Jana wunderte sich – normalerweise sah man an dem Rechner nur blaue und grüne Lichter – und trat näher heran. Sie hörte, dass der Lüfter wie verrückt arbeitete, hielt die Hand an die Lüftungsschlitze und zuckte zurück. Das Metallgitter war so heiß, dass sie sich fast verbrannt hatte, und das, obwohl der Computer im Bereitschaftsmodus nichts tun sollte.

      »Was machst du denn für einen Unfug?«, grummelte sie und klappte den Laptop auf. Der Bildschirm war schwarz. Sie drückte den Startknopf, ihre Arbeitsfläche leuchtete auf und zeigte das, was sie auch am Vortag vor ihrem Aufbruch ins »Fàilte!« gesehen hatte. Probeweise verschob sie mit der Maus ein paar Fenster und öffnete eine Datei. Alles schien einwandfrei zu funktionieren. Sie zuckte mit den Schultern und klickte sich zu ihrem neuen Postfach. Heute Morgen gab es nicht nur zwei E-Mails auf »[email protected]«, sondern 48. Sie begann die Nachrichten zu lesen. Es waren durchgängig plumpe Anwerbeversuche von Islamisten oder Neonazis.

      »Warum Islamisten und Neonazis und nicht zur Abwechslung Kommunisten oder Esoteriker?«, knurrte sie, ohne dass der Sarkasmus ihre Stimmung besserte. Die Sache wurde ihr unheimlich. Und überhaupt: Sie hatte sich in den Internetforen an Islamisten gewandt. Wieso belästigten sie auch Neonazis?

      Verärgert legte sie die Stirn in Falten und schüttelte den Kopf. »Alles Deppen«, murmelte sie und löschte kurz entschlossen alle E-Mails auf einen Schlag. Danach saß sie einige Sekunden regungslos vor ihrem Rechner und lauschte dem Lüfter, der weiterhin auf vollen Touren lief. Weil ihr nichts Besseres einfiel, hob sie das Notebook an und prüfte, ob vielleicht Staub den Lüftungsschacht blockierte, doch sie fand nichts. Die Erkenntnis, praktisch nichts über ihren Computer zu wissen, ernüchterte sie. Sie spitzte die Lippen und stellte das Gerät zurück auf den Schreibtisch.

      »Was soll’s. Ist ja noch Garantie drauf«, beruhigte sie sich und beschloss, das seltsame Verhalten fürs Erste zu übergehen. Wie meistens klickte sie sich zuerst auf ihre Facebook-Seite. Dort stand nichts Wichtiges, ebenso wenig bei Instagram oder in ihren E-Mails. Gerade wollte sie den Rechner ausschalten, als eine neue Nachricht in ihrem privaten elektronischen Postfach aufleuchtete. Sie öffnete die Nachricht und las:

      von: Abu Mujahed

      an: [email protected]

      Betreff: Streiter für die gerechte Sache!

      Jana, du möchtest für die Sache Gottes kämpfen? Schließ dich uns an! Willst du uns nicht sagen, wo du wohnst? Die Brüder in Berlin freuen sich darauf, dich kennenzulernen!

      Allahu akbar

      Jana stieß den Rechner von sich. Ihr Herz raste.

      »Das darf nicht wahr sein! Wie um alles in der Welt sind die auf Berlin, an meinen Namen und an meine richtige E-Mail-Adresse gekommen?«

      Kapitel 4

      Montag, 12. Oktober 2020 – Wilhelmsruh, Berlin

      Jana fühlte sich wie gerädert. Sie lag auf dem Rücken in ihrem Bett, Arme und Beine von sich gestreckt, und starrte an die Decke. Die ganze Nacht hatte sie kaum ein Auge zugetan. Inzwischen graute der Morgen, und erstes Licht fiel durch die Ritzen zwischen den Lamellen der Rollos. Ihre Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln bei dem Gedanken, wie lange sie mit sich gerungen hatte, die Teile anzuschaffen. Sie mochte weder Vorhänge noch Rollos, aber ihre Fenster hatten keine Rollläden, und im Hellen konnte sie nicht schlafen. Das waren damals Probleme! Inzwischen raubte ihr die Frage den dringend nötigen Schlaf, wie Abu Mujahed, wer auch immer sich hinter dem Namen verbarg, an ihre wahre Identität und