Olaf Müller

Rurschatten


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auf der Wildwasserbahn – alle warteten auf das Feuerwerk.

      »Wow-wow-wow-wow-wow. Hereinspaziert, immer ran hier an die Bühne. Das geht ab hier, das macht Laune. Männer und Frauen ohne Furcht. Die ›Steile Wand‹. Das ist Spitze, das ist Spannung. Fahrt auf Leben und Tod. Kein Netz, keine doppelte Sicherung. Alles hautnah. Kommen Sie ran hier. Heute auf allen Plätzen drei Euro – Ermäßigung.«

      »Bingo-Bingo-Bingo-Bingo-Bingo. Wieder ein Hauptgewinn hier. Wieder ein Original-Alf hier. Wieder 10.000 Punkte. Jetzt die Lose kaufen. Jetzt gewinnen. Mitmachen hier! Keine Nieten. Punkte sammeln. Bong-Bong-Bong. Wieder ein Alf für die süße Maus da vorne.«

      Neue Fahrt, neuer Tod

      Im Geisterschloss klappten die Bügel herunter. Neue Fahrt, neues Glück – eher Horror und Schreck. Das Geisterschloss kam seit 15 Jahren zur Annakirmes. Dauergast. Horror für vier Euro, Kinder bis zwölf die Hälfte. 22.20 Uhr. Die Raketen explodierten, zischten, knatterten: neueste Modelle aus China. Oh und ah. Die Schlangen an den Fahrgeschäften wurden kürzer. Alle schauten in den Himmel. 15 Minuten Feuerwerk. Menschen lieben Spektakel. Die drei Polizisten aus Düren checkten die Biertheken, schauten auf Umhängetaschen, flinke Jugendliche und torkelnde Männer: 22.23 Uhr.

      Ruckelnd und zuckelnd kamen die Gondeln aus dem Geisterschloss mit ihren Horrorfratzen. Die meisten Insassen hielten die Hände vor das Gesicht. Für vier Euro Erschrecken. Kopfschütteln, Aufatmen. Weiterer Knall. 22.25 Uhr. Eine Monstergondel krachte durch die Exit-Tür des Geisterschlosses. Nur ein Mann drin. Er liegt schräg im Wagen. Blut im Gesicht. Blut auf dem Sitz. Als der Wagen zum Ausstieg vorfährt, bleibt der Fahrgast liegen. Der junge Mann zum Mitreisen, Mirco aus Rumänien, der schauen muss, ob niemand sich erbrochen hat, und der beim Ausstieg hilft, tippt ihn an die Schulter und springt zurück: »Chefe!«

      Not-Stopp

      Der Not-Stopp für die Bahn wurde um 22.26 Uhr gedrückt. Mehrere Passagiere beugten sich über die Gondel mit dem blutenden Passagier. Kurze Schreie. Draußen schoben sich die Massen immer weiter.

      »Jemandem ist schlecht geworden. Geld bekommen Sie zurück.« Maria Losen, Inhaberin der Geisterbahn, schickte ihre rumänischen Helfer in die Bahn.

      »Alle Lichter an. Störung. Sorry. Kommen Sie. Hier raus. Dort lang«, riefen die Helfer, und die Bahn leerte sich ziemlich schnell, während verspätete Raketen in den Himmel über Düren zischten.

      Maria Losen rief die Hauptwache auf dem Kirmesplatz an. Die verständigte per Funk das Dreierteam. Schluss mit lustig. Noch immer knallten letzte Raketen, als um 22.30 Uhr die drei Polizisten an der Gondel auftauchten.

      »Kein Puls, Rettungssanitäter kommt schon, nein, kein Puls, Blut am rechten Hinterkopf. Ein Unfall?«

      »Nein«, sagte Thomas Weidenpesch, »sieht nicht so aus. Ruft mal in Aachen an.« Ruhig betrachtete er das schwarze Einschussloch am Hinterkopf des alten Mannes.

      Speed

      Um 22.35 Uhr klingelte das Telefon von Hauptkommissar Michael Fett.

      »Düren, Annakirmes, toter Mann in einem Wagen der Geisterbahn, Schusswunde am Hinterkopf.«

      »Wir kommen.« Fett winkte seinem Kollegen Schmelzer. Sie nahmen ihre Sakkos und liefen zum Dienstwagen. Von der Hubert-Wienen-Straße in Aachen bis zum Annakirmesplatz, fast zum Annakirmesplatz, schafften sie es in 20 Minuten. 180 auf der Autobahn A 4. Heat, dachte Fett. Mit Al Pacino und Robert de Niro. Abfahrt Düren, die Kläranlage stank.

      »Düren riecht man immer«, murmelte Kollege Bernd Schmelzer und störte Fett wieder einmal in seinen Gedanken.

      In Fetts Kopf lief das Standardprogramm ab. Konzentrier dich, pochte es in seinem Kopf: Annakirmes. Geisterbahn. Ein Mann, angeblich sehr alt, alleine im Wagen, tot, erschossen. Freitagabend. Feuerwerk, alles voll, laut. Warum sitzt ein alter Mann am Freitagabend allein in einer Geisterbahn? Warum nicht? Fett denkt, Kollege Schmelzer lenkt.

      »Fahren Sie über die Eisenbahnstraße«, sagte Fett. »Ich kenne mich hier aus. Geht schneller.«

      »Verdammt. Wie kommen wir dahin. Tausende Menschen.«

      »Stellen Sie den Wagen an der Landwirtschaftsschule ab. Wir laufen. Sonst liegt einer mit gebrannten Mandeln auf der Kühlerhaube.«

      22.55 Uhr. Die Geisterbahn ist abgesperrt.

      »Wir leiten die Leute um«, sagte Weidenpesch, »bloß keine Panik, das fehlt uns noch.«

      »Gut gemacht«, sagte Fett. »Keine Reporter? KTU schon drin?«

      »Ja«, antwortete Weidenpesch lakonisch.

      »Wer hat ihn gefunden?«

      »Mirco, 23, Rumäne, reist seit drei Jahren mit.«

      »Wer ist der Tote?«

      »Alexander Rütters, 88 Jahre, aus Düren. Ausweis und Portemonnaie. Er hatte ein Handy für Senioren. Liegt da in der Plastikhülle.«

      »Todesursache?«

      »Wohl ein Schuss in den rechten Hinterkopf. Was macht ein 88-Jähriger am Feuerwerksfreitag um 22.20 Uhr in der Geisterbahn?« Weidenpesch war irritiert.

      »Habt ihr alles abgesucht, gesperrt?«

      »Ja, so gut es ging. Hier sind geschätzt 20.000 Menschen unterwegs. Darunter auch der Täter.«

      »Der oder die Täter müssen ihn irgendwo da drinnen erwischt haben. Die KTU soll die Stelle suchen, da muss Blut an der Bahn kleben«, sagte Fett leicht genervt von dieser Mischung aus Lärm, Schweiß, Discomusik, »also vor circa 35 Minuten ist es passiert?«

      »Gegen 22.25 Uhr. Der wird ja nicht tot in den Wagen gesetzt worden sein. Außerdem ist hier alles voll Blut. Erschossen in der Geisterbahn.« Weidenpesch schüttelte den Kopf. »Lösen Sie eine Ringfahndung aus?«

      »Wonach? Wollen Sie 20.000 Menschen kontrollieren? Achten Sie darauf, dass hier alles in Ruhe abläuft. Unfall. Verstanden? Wenn hier das Gerücht über einen Mörder auftaucht, dann rennen sich die Leute über den Haufen. Kein Blaulicht. Der Tote wird hinten raus abtransportiert. Verstanden, Weidenpesch?«

      »Ja, Herr Fett.«

      »Angehörige? Vermisst den Toten jemand?«

      »Moment. Wache, gibt es Vermisstenmeldungen?« Weidenpesch horchte in sein Funkgerät und sprach das Ergebnis nach: »Alexander Rütters, 88, wird von seiner Tochter und dem Schwiegersohn vermisst. Seit 22.30 Uhr. Danke.«

      »Wo sind sie jetzt?«, fragte Fett.

      »Noch auf der Wache.«

      »Wir kommen. Danke.«

      Brauweilers Bierstand

      »Fett, guten Abend. Kripo Aachen. Sie sind die Eheleute Hoven?«

      »Ja, meine Frau Anne und ich. Wieso Kripo? Wir vermissen unseren Vater, also meinen Schwiegervater.«

      »Wann haben Sie ihn denn zuletzt gesehen?«

      »Wir waren so gegen 22.10 Uhr am Bierstand ›Brauweiler‹. Gemeinsam wollten wir das Feuerwerk anschauen. Was ist denn mit Vater?«

      »Und dann?«

      »Er schaute aufs Handy. Wohl wegen der Uhrzeit. Sagte, dass er kurz noch ein paar Reibekuchen holen wolle. Seitdem vermissen wir ihn. Oder, Anne?«

      »Ja. Was ist denn nun?«

      »Es tut mir sehr leid. Ihr Vater wurde tot in der Geisterbahn aufgefunden. Vor ungefähr 45 Minuten. Wir ermitteln noch die Ursache. Bitte kommen Sie mit nach nebenan.«

      »Wie – tot? Was ist passiert? Das muss eine Verwechslung sein.«

      Den Blick der Tochter würde Fett so schnell nicht vergessen. Er sammelte diese Blicke der nahen Verwandten, wenn er den schlimmsten Teil seines Jobs machen musste: den Angehörigen die Todesnachricht