Eva-Maria Bast

Kornblumenjahre


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einmal angefangen.«

      »So«, schnaubte Elsa, »feige seid ihr auch noch. Jetzt mir die ganze Schuld in die Schuhe schieben! Aber als ich euch erzählt habe, dass Raphaels Vater Franzose ist, da kannte eure Empörung keine Grenzen. Ihr wart es, die …«

      »Woher wissen Sie das denn überhaupt so genau?«, fragte Dorothea Haberstett. »Ich glaube kaum, dass Sophie ausgerechnet Sie ins Vertrauen gezogen hat.«

      »Ich weiß es aus absolut sicherer Quelle. Sozusagen aus erster Hand. Ich …«

      »Was ist denn hier los?«, rief eine tiefe Stimme von der Gartentür her. »Wer ist da?«

      Die drei Frauen zuckten zusammen.

      »Der Schuldirektor«, flüsterte Dorothea Haberstett entsetzt, »er ist zurück.«

      »Schnell weg!«, zischte Elsa Kleinschmitt. »Er darf uns nicht erkennen. Durch das hintere Gartentor!«

      Sie rafften ihre Röcke und rannten, so schnell sie konnten, davon.

      »Dort hinten!«, rief Sebastian. Johanna und er waren zeitgleich mit dem alten Schuldirektor in Überlingen angekommen. Sie hatten sich an der Einfahrt getroffen. Sebastian deutete in die Dunkelheit. »Dort hinten bewegt sich etwas!« Er rannte los. Friedrich Seiler folgte ihm.

      »Ich sehe nach, ob drinnen alles in Ordnung ist«, rief Johanna ihnen nach. Im Haus brannten alle Lichter und die Eingangstür stand sperrangelweit offen.

      Johanna wurde immer mulmiger zumute und eine kalte Angst packte sie. War jemand eingebrochen? Was, wenn noch einer der Einbrecher im Haus war? Und was – ihr stockte der Atem – was war mit Sophie und Raphael?

      Sie stürzte hinein und trug erst Robert und dann Susanne hastig ins Kinderzimmer. Sie wollte verhindern, dass sie aufwachten. Dann eilte sie, aufs Äußerste beunruhigt, wieder nach unten, wobei sie versuchte, sich so leise wie möglich zu verhalten. Sie stand eine Weile regungslos im Flur und lauschte. Es war totenstill.

      »Sophie?«, rief sie ängstlich. »Raphael?«

      Keine Antwort.

      Johanna atmete erleichtert auf, als sie kurze Zeit später Sebastian und Friedrich auf die Haustür zukommen sah.

      »Habt ihr sie noch erwischt?«, fragte sie.

      »Nein.« Sebastian ließ sich außer Atem auf einem Stuhl nieder. »Sie waren schon weg. Ist hier alles in Ordnung?«

      »Nein«, erwiderte Johanna. »Die Tür stand offen und ich kann Sophie und Raphael nirgends finden.«

      »Hast du schon im Wohnzimmer nachgesehen?«, wollte Friedrich wissen.

      Johanna schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht zugeben, dass sie sich nicht getraut hatte. »Nein«, sagte sie, »das wollte ich gerade tun.«

      Sie ging auf die Tür zu, und ihr Herz hämmerte heftig, als sie bemerkte, dass sie nur angelehnt war. Das Wohnzimmer war beheizt und die Tür zum Flur aufgrund des Kohlemangels immer geschlossen. Das war eine eiserne Regel, an die sich selbst die Kinder hielten. Ausnahmslos.

      Johanna atmete tief ein, schob die Tür ganz auf – und stieß einen gellenden Schrei aus.

      Sophie lag bewusstlos vor dem Sofa auf dem Boden, um sie herum war alles voller Blut.

      »Sophie!«, Johanna vergaß ihre Angst und sank neben ihr nieder. »Meine Güte, Sophie, was ist denn geschehen?«

      Auch Friedrich kniete sich neben seine Tochter und suchte nach ihrem Puls.

      »Was ist mit ihr?«, fragte Sebastian von der Tür her.

      »Sie ist bewusstlos, glaube ich«, erwiderte Johanna.

      In diesem Moment entdeckte Sebastian den Stein, der, mit Papier umwickelt, einige Meter von Sophie entfernt auf dem Fußboden lag. Er hob ihn auf, löste das Papier und las.

      »Das ist ja unglaublich!«, schnaubte er dann.

      »Was steht denn da drauf?«, fragte Johanna, ohne den Blick von Sophie zu wenden.

      »Lies selbst, ich gehe den Arzt holen.« Sebastian gab Johanna den Zettel und verschwand.

      In der Tür begegnete er Raphael und Doktor Schilling.

      »Ein Glück, dass Sie kommen, Herr Dr. Schilling!«, rief Sebastian erleichtert. »Gerade wollte ich Sie holen.«

      »Was ist denn geschehen?«, fragte der Arzt ratlos. »Der Junge sagt immer nur, dass seine Mutter tot sei! Aber das kann doch nicht sein!«

      Sebastian schüttelte den Kopf und zog Raphael an sich. Schutzsuchend schmiegte der Junge sich an ihn. »Tot ist Sophie Gott sei Dank nicht. Aber was geschehen ist, weiß ich auch nicht. Wir sind eben erst nach Hause gekommen. Sehen Sie selbst.«

      Er ließ den Arzt an sich vorbei ins Zimmer treten. Dann streichelte er Raphael das verzweifelte kleine Gesicht. »Keine Angst, mein Junge«, sagte er leise, »deine Mutter ist nicht tot. Sie ist nur ohnmächtig.«

      »Doch, sie ist tot, ich weiß es«, schluchzte Raphael verstört.

      »Nein, ich verspreche es dir.«

      Raphael sah ihn zweifelnd an. »Sagst du das nicht nur, um mich zu beruhigen?«

      »Du weißt, dass ich dich nie anlügen würde«, erwiderte er und sah ihm in die Augen.

      »Darf ich sie sehen?«

      Sebastian trat einen Schritt zur Seite, um Raphael an sich vorbeigehen zu lassen, und legte ihm die Hand auf die Schulter, während der Junge auf seine Mutter starrte.

      Dr. Schilling untersuchte sie. »Sie ist bewusstlos«, stellte er fest. »Wohl durch einen Schlag. Hier ist ja auch die Wunde.« Er verarztete Sophies blutende Schläfe. »Das Blut ist nicht schlimm«, sagte er beruhigend zu Raphael. »Es ist nur eine Platzwunde. Mehr Sorgen macht mir der Schlag, den sie abbekommen haben muss.«

      »Das hier lag ein paar Meter von ihr entfernt.« Sebastian hob den Stein auf und reichte ihn dem Arzt.

      Dr. Schilling nickte schwer, sagte dann aber mit einem warnenden Blick auf Raphael: »Wir unterhalten uns später darüber. Aber das könnte durchaus die Wunde verursacht haben.«

      Er wandte sich an Raphael, der noch immer verschreckt auf seine Mutter starrte. »Das hast du gut gemacht, mein Junge«, lobte er. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Deiner Mutter ist nichts Schlimmes passiert, sie wird bald aufwachen.«

      »Darf ich solange bei ihr sein?«

      »Ich fände es besser, wenn du dich etwas ausruhen würdest. Schließlich ist es schon sehr spät und du hast viel durchgemacht heute Abend.«

      »Aber Mutter …«

      »Ich werde bei ihr bleiben, und wenn sie aufwacht, werde ich dich rufen«, versprach der Großvater.

      Raphael zögerte. »Versprochen?«, fragte er schließlich.

      »Versprochen«, sagte der alte Schuldirektor.

      »Soll ich mit dir nach oben gehen?«, bot Johanna an.

      Raphael schüttelte den Kopf. »Nein. Ich gehe doch alleine ins Bett, seit ich zur Schule gehe.«

      Johanna lächelte. »Aber wenn du etwas brauchst, dann rufst du uns, ja?«

      »Ja.«

      »Armer Junge«, brummte Friedrich, als Raphael gegangen war. »Das war eine schreckliche Nacht für ihn.«

      In diesem Augenblick schlug Sophie die Augen auf und alle Aufmerksamkeit richtete sich auf sie.

      »Was ist geschehen?«, flüsterte Sophie.

      »Pst«, machte Johanna sanft. »Nicht reden, das strengt dich noch zu sehr an.«

      »Ich habe Durst.«

      Johanna sah Dr. Schilling fragend an. »Darf sie etwas trinken?«

      »Sie können