man und kriegte nur schlecht Luft.
Renate ging als Möhne mit langem Rock und Rüschenschürze. Als Möhnen gingen in Lützel fast alle Mädchen. Möhnen waren Omas in altmodischen Kleidern.
Aus der Schule hatte einer bunte Kreide mitgebracht und malte damit auf dem Hof einen Kreis, in dem man sich aufstellen konnte, wenn man Krieg spielen wollte. »Deutschland erklärt den Krieg gegen … Amerika!« Wenn man dann Rußland oder Frankreich war und wegsprang, hatte man verloren, aber auch, wenn man Amerika war und nur so weit weggesprungen war, daß der, der Deutschland war, mit einem Schritt an einen drankommen konnte.
Angelika Quasdorf spielte lieber Hüpfekästchen: auf einem Bein in bunten Quadraten rumhopsen.
D.b.d.d.h.k.P. Selbst Aspirin versagt.
Im Sandkasten schmiß einer mir immer Sand in die Haare. Ralfi Meier hieß der Arsch.
»Dann wehr dich doch mal!« sagte Mama und schickte mich wieder runter.
Ralfi Meier schmiß mir gleich die nächste Handvoll Sand ins Gesicht: »Da, du beleidigte Leberwurst!«
»Selber«, sagte ich.
»Selber sagen nur die dümmsten Kälber«, rief Ralfi Meier, und ich haute ihm mit der Schippe auf den Kopf, der sofort ganz voller Blut war, überall, Stirn, Backen, Nase, Kinn, auch die Hände, alles war blutig, und Ralfi Meier rannte heulend weg.
Von seiner Mutter hörte Mama später, daß er noch ins Krankenhaus gemußt hatte, wo die Wunde mit fünf Stichen genäht worden war. »Ich hab dir geraten, dich zur Wehr zu setzen, aber doch nicht, den Jungen krankenhausreif zu schlagen!«
Meine Schippe hatte Mama weggeschlossen, aber dafür ließ mich Ralfi Meier jetzt in Ruhe.
Renate ist ein artiges, stilles Kind und dürfte sich lebhafter am Unterricht beteiligen, stand in Renates Zeugnis.
Ostern fuhren wir mit dem Käfer nach Jever. Als Proviant hatte Mama wieder nur Kartoffelsalat mitgenommen, wovon ich die Kotzeritis kriegte.
Renate las uns was aus ihrem Buch mit Gutenachtgeschichten vor. Von dem Bonbonregen, der Schokoladenstraße und dem unsichtbaren Jungen, der in der Konditorei Nußhörnchen und Zwetschgenkuchen einsteckte, ohne daß ihn jemand fangen konnte. Und von dem Jungen, der immer die seltsamsten Fragen stellte: Warum haben die Schubladen Tische? Warum trinken die Briefmarken kein Bier?
An den Seitenfenstern liefen Regentropfen runter.
Müde bin ich, geh zur Ruh.
In Jever war auch Tante Dagmar, Mamas jüngste Schwester. Wer kommt in meine Arme? Wenn sie das rief, konnte man ihr in die ausgebreiteten Arme laufen und wurde rumgewirbelt.
Tante Dagmar war meine Patentante. Sie kam auch immer mit in den Schloßgarten zum Entenfüttern, und sie sagte, ich sei ihr Augenstern.
Abends gingen wir zum großen Osterfeuer. Einmal hatten sich Kinder aus Übermut in so einem Holzhaufen versteckt und waren dann jämmerlich verbrannt.
Das Feuer prasselte und knackte.
Jetzt war vielleicht auch schon der Osterhase auf Achse und versteckte die Ostereier, damit er am Morgen damit fertig war.
In Jever konnte ich oben auf dem Boden rumtoben und im Garten schaukeln, mit Renate und Volker Schubkarre spielen und Purzelbäume schlagen, aber ewig bleiben konnten wir in Jever nicht, weil Volker nach Ostern in die erste und Renate in die dritte Klasse kam.
Ich wollte auch gerne eingeschult werden, vor allem wegen der Schultüte, die man dann kriegte, aber in der Schule, auf die Renate und Volker gingen, wurde man dauernd verhauen. Die Jungs bekämen mit dem Stock den Arsch versohlt und die Mädchen Schläge auf die Finger, sagte Renate.
Dann war ich endlich selbst das Geburtstagskind. Im Wohnzimmer stand ein Kettcar, das gehörte jetzt mir. Auf dem Hof wollten alle mal damit fahren, aber wenn das denen ihr Kettcar gewesen wär, hätten sie’s mir auch nicht abgegeben.
Fünf Geburtstagsgäste durfte ich einladen, mehr erlaubte mir Mama nicht.
Alle, alle, alle Vögel fliegen hoch …
Mein Kababecher war blau, Renates gelb und Volkers grün.
Eins, zwei, drei, vier Eckstein. Ich versteckte mich unter der Bügelmaschine, und Angelika Quasdorf mußte suchen.
»Mäuschen, mach mal piep!«
Als alle wieder weg waren, rief Mama mich ans Wohnzimmerfenster und zeigte auf Rainer Westermann, der sich die Schnürsenkel zuband. Der konnte eben alles, auch Knoten machen oder Flöte mit der Zunge.
»Von dem kannst du dir ruhig ’ne Scheibe abschneiden«, sagte Mama, aber Rainer Westermann hätte schön gekuckt, wenn ich angekommen wär, um mir ’ne Scheibe von dem abzuschneiden.
Wenn Frau Quasdorf Mittagsschlaf machte, ließ sie Angelika und Ulrike nicht rein, und die klingelten dann immer bei uns, wenn sie aufs Klo mußten, jeden Tag, bis Mama sagte, sie sollten gefälligst ihr eigenes Klo benutzen.
Auf Quasdorfs war Mama sauer, weil Renate erzählt hatte, daß sie mit Ulrike bei denen im Badezimmer gewesen war, als Herr Quasdorf in der Wanne gelegen hatte.
Abends konnte man oft hören, wie Herr und Frau Quasdorf sich gegenseitig anbrüllten. Die wohnten ja gleich unter uns.
Über uns wohnte die alte Frau Jahn, die sich im Treppenhaus immer am Geländer festhielt.
Einmal brachte Mama den Müll runter, und als sie den Deckel von der Mülltonne aufmachte, saß Angelika dadrin und war am Kacken.
»Ich hab gedacht, ich seh nicht recht«, sagte Mama. »Sitzt da und grinst mich auch noch frech an. Überhaupt auf so ’ne Idee zu kommen! Ijasses!«
Angelika und das andere Gör, Ulrike, die würden es mal schwer haben im Leben. Kaum aus den Windeln raus und schon völlig verroht. Welche Rabenmutter lasse denn ihr Kind in die Mülltonne kacken? Die gehörten eben zum Plebs. Zum Pofel.
An meinen Bildern fand Renate falsch, daß ich den Himmel immer weiß und die Wolken blau gemalt hatte. Andersrum brauchte man aber viel länger, oder man mußte mehr Wolken malen.
Dann waren die Zootiere, die ich im Fernsehen gesehen hatte, alle bei uns im Hof, auch Zebras und Giraffen und ein Elefant, der mich mit dem Rüssel hochhob, um mich aufzufressen.
Das sei ein Alptraum gewesen, sagte Mama.
Nach Österreich fuhren wir ohne Renate, die lieber nach Jever gewollt hatte und von Papa hingebracht worden war. Hinten im Käfer durfte ich jetzt auf Renates Platz am Fenster sitzen.
Für die Reise hatte ich mir Hänschen im Blaubeerenwald mitgenommen. Das war mit Zwergenkindern, die barfuß im Wald auf Mäusen ritten.
Nach Österreich war’s noch weiter als bis nach Jever.
Mama und Papa hatten einen Bauernhof ausgesucht, der schon vierhundert Jahre alt war und einer alten Oma gehörte, Frau Weitgasser. Leider sei kein Fließwasser nicht da, sagte Frau Weitgasser, aber auf der Alm könnten wir die Tiere sehen in der guten Luft, und für die Kinder gebe es auch genug Platz zum Auslaufen.
Von Volker und mir wollte Frau Weitgasser den Namen und das Alter wissen.
In Österreich war alles voller Berge. Mama hatte Volker und mir kurze Lederhosen gekauft für die Wanderungen und Papa sich selbst einen Spazierstock und ein Fernglas mit Hülle und Henkelband zum Um-den-Hals-Hängen.
Geh aus, mein Herz, und suche Freud!
Wasser konnte man aus Brunnen am Wegrand trinken, und auf einem der Berge lag oben Schnee, mitten im Sommer. Mama machte viele Fotos, und dann machte Papa auch eins von Mama in ihrem blauen Blumenkleid.
Narzissus und die Tulipan, die ziehen sich viel schöner an als Salomonis Seide.
Bei