Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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gab auch Berliner, für jeden zwei, und in einem war Senf drin statt Marmelade, aber das hatte nur Oma gewußt, und dann war der mit dem Senf bei ihr selbst gelandet.

      Von den Berlinern kriegte ich kreblige Finger.

      »Klebrige heißt das, nicht kreblige«, sagte Renate.

      »Paprikaschnitzel, Piprikaschnatzel, Schnaprikapitzel, Schniprikapatzel«, sagte Oma, die auch noch andere Zungenbrecher kannte. Einen mußte sie Renate aufschreiben: El o lo, ka o ko, oko, loko, em o mo, omo, komo, okomo, Lokomo, te i ti, oti, moti, omoti, komoti, okomoti, Lokomoti, vau e ve, ive, tive, otive, motive, omotive, komotive, okomotive, Lokomotive.

      Die halbe Nacht lang lernte Renate das im Bett auswendig und brauchte am nächsten Morgen zum Aufsagen nur dreizehn Sekunden.

      Das gleiche ging auch mit dem Wort Kapuziner: Ka a ka, pe u pu, apu, kapu, zett i zi, uzi, puzi, apuzi, Kapuzi, en e er, ner, iner, ziner, uziner, puziner, apuziner, Kapuziner.

      Vom Moorland aus konnte man den Turm der evangelischen Kirche, den Turm der katholischen Kirche und den Schloßturm sehen. Als kleiner Junge war Gustav mal gefragt worden, zu welcher von den Kirchen er gehöre, und da hatte er gesagt: »Ich bin Schloßturm.«

      Zu seinem Geburtstag lud Volker auch den dicken Hansi Becker ein, der immer angefressene Fingernägel hatte. Renate sagte, der würde seine eigene Mutter hauen. Das hatte ihr Ulrike Quasdorf gesagt.

      Von Onkel Walter hatte Volker Tiere, ein Stück Wald und eine Futterkrippe für seine Eisenbahn gekriegt, aber als rauskam, daß Volker und ich Renates Puppe Annemarie mit der Nagelschere die Ponyhaare abgeschnitten hatten, schloß Papa den Trafo weg, und Mama sagte, wir hätten Zimmerarrest.

      Hoppel Langohr. Da flogen Hasen im Hubschrauber, ein Igel rauchte Pfeife, und die Bäume hatten einen Ast als Nase. Auf einem anderen Bild brachte Hoppel Langohr den Hühnern die Post.

      Unsere eigenen Bilder hatte Mama alle in einer Mappe aus Pappe gesammelt. Eine von Volker getuschte Prinzessin, Renates Schule, das Hoftor, Häuser mit Bäumen daneben und Jägerzaun davor oder Ritter beim Turnier. Renates Bilder waren die besten. Sogar unseren Käfer hatte sie mal gemalt und eine große Kirche mit rotem Dach und einem Wetterhahn obendrauf mit langen Schwanzfedern.

      Ich malte mit links, was Mama falsch fand. Schlangen mit buntem Muster und Schlangenloch.

      Karneval gingen Renate und ich als Harlekin mit Farbe im Gesicht und Tütenhut auf mit Papierkrause am Rand. Ich wäre lieber als Prinz gegangen, so wie Volker, mit Degen und goldenem Panzerhemd, aber Mama sagte, ich könne ja nächstes Jahr als Prinz gehen.

      Nächstes Jahr, das war noch lange hin.

      Einmal kamen Onkel Walter und Tante Mechthild mit Christiane zu Besuch, die unsere Kusine war. Wir hatten sechs Kusinen und vier Vettern.

      Onkel Walter war Papas Bruder und Volkers Patenonkel, und Volker zeigte ihm, was er für die Schule aus seiner Fibel abgeschrieben hatte. Wo ist Mutti? Was tut Mutti? Oma ist am Zaun. Was tut Oma? Kasper ist im Nußbaum. Was tut Kasper? Wo ist Fifi? Was tut Fifi? Was tut Rolf? Mu mu miau miau.

      Tante Mechthild war ganz dick, weil in ihr das nächste Baby drin war, genau wie in Mama, die uns schon gefragt hatte, was uns lieber wäre, ein Brüderchen oder ein Schwesterchen. Renate war für ein Schwesterchen, aber da war sie die einzige.

      Mit allen Mann und zwei Autos fuhren wir auf den Mallendarer Berg, wo Mama und Papa ein Haus bauen wollten, aber da waren noch nicht mal Straßen, und wo später das Haus stehen sollte, war nur Matsche.

      Als wir wieder alleine waren, ging Papa mit Volker und mir zur Mosel, wo wir übten, Steine auf dem Wasser aufditschen zu lassen. Das ging aber nur mit ganz flachen Steinen.

      Alle meine Entchen schwimmen im Klosett.

      Mama erzählte ich, wir hätten keinen einzigen Stein ins Wasser werfen dürfen.

      »Ach Gott, warum denn das nicht?« fragte Mama, und Papa sagte, ich würde Stuß reden. »Die halbe Mosel haben die zugeschmissen!«

      Neu an Ostern waren dieses Jahr die großen Holzeier mit Schleife drum und Schlickerzeug drin.

      Wenn Mama Fotos machte, stellte Renate ihre Füße immer so schief hin, wie sie es in der Ballettschule gelernt hatte.

      Mein schönstes Geburtstagsgeschenk war das Bilderbuch Johannes Nilpferd von Tante Dagmar. Wie Johannes Nilpferd aus dem Zirkus wegläuft und sich im Wald versteckt. Da erschrecken sich alle Tiere, als er gähnt, nur die Vögel auf seinem Rücken nicht, und dann fährt Johannes Nilpferd mit einem Schiff übers Meer nach Afrika und spielt den ganzen Tag im Fluß und freut sich.

      Mama wurde immer dicker. Sie hatte ein Umstandskleid an und wollte nicht mehr von der Seite geknipst werden.

      »Ich hab ’n kleinen Fußballer im Bauch«, sagte sie, und manchmal durften wir horchen.

      In den Füßen hatte Mama Wasser. Wenn das innen in die Füße floß, hätte ich an Mamas Stelle einfach keins mehr getrunken.

      Papa sperrte mein Kettcar im Keller weg, weil ich Frau Jahn in der Hofeinfahrt in die Hacken gefahren war, aber ohne Absicht. Frau Jahn war hingefallen, und ihr einer Fuß hatte geblutet.

      »Alles wegen dir«, rief Mama. »Hab ich dir nicht tausendmal gesagt, du sollst dich vorsehen? Hier rein, da raus!« Ins Grab würde ich sie noch bringen mit meiner Unartigkeit. Ob ich denn keine Augen im Kopf hätte? »Marsch ins Bett! Aber ’n bißchen plötzlich! Und daß du mir keine Fiesematenten mehr machst!«

      Bevor Mama ins Krankenhaus mußte, kam Oma Jever zu uns, und wir machten einen Ausflug nach Treis an der Mosel. Renate pflückte Blümchen, und ich hatte ein Klingen im linken Ohr.

      »Dann denkt jemand an dich«, sagte Oma. »Vielleicht Opa? Oder Tante Dagmar?«

      Das Klingen hörte aber schnell wieder auf. Die hätten ruhig noch länger an mich denken können.

      Das Schwesterchen, das wir gekriegt hatten, hieß Wiebke und war ein Koblenzer Schängel, weil alle in Koblenz auf die Welt gekommenen Kinder Koblenzer Schängel waren.

      Ich durfte Wiebke auch mal kurz halten und bei ihr am Hals kille-kille machen.

      Sie nuckelte am Fläschchen, bis sie Schluckauf kriegte und das Fläschchen alle-alle war.

      Puder, Öl, Nivea und Penatencreme. Auf dem Dosendeckel war ein Schafhirte mit Hirtenstab und Schaf.

      Wenn Wiebke gebadet wurde, tunkte Mama vorher den Ellbogen ins Wasser.

      Oma Jever brachte mich zu Tante Dorothea und Onkel Jürgen nach Düsseldorf. Da kotzte mir mein Vetter Klaus beim Autofahren meinen blauen Luftballon voll, und als ich im Bett lag, sang mir Tante Dorothea, die eine Schwester von Papa war, ein Gutenachtlied vor.

      Der Wald steht schwarz und schweiget, und aus den Wiesen steiget.

      Die traurigste Strophe war die mit dem kranken Nachbarn, von dem aber man nicht wußte, was der hatte.

      Tante Dorothea hatte schon ganz weiße Haare.

      Nach der Taufe wollte auch Renate mal mit Wiebke auf dem Arm aufs Foto, durfte aber nur die Hand unter Wiebkes Kopf schieben und hätte fast geheult.

      »Na, hat dir der Storch ein Schwesterchen gebracht?« fragte mich Frau Jahn im Treppenhaus.

      »Das ist bei meiner Mama aus dem Bauch rausgekrabbelt«, sagte ich, und dann beschwerte sich Frau Jahn bei Mama, daß ich ein loses Mundwerk hätte und daß ich vorlaut und frühreif sei.

      Wiebke kriegte Wurzelbrei eingeflößt und klassische Musik vorgespielt.

      »Wiebke, sing mal«, sagte Renate, und Papa nahm Wiebkes Getödel auf Kassette auf.

      Da fällt herab ein Träumelein.

      Aus Leibeskräften schreien konnte Wiebke aber auch.

      Beim