Agatha Christie

Der Tod auf dem Nil


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sehr albern! Aber eben auch – lästig.« Sie biss sich auf die Lippe.

      Poirot nickte. »Ja, das kann ich mir vorstellen. Sie sind, wenn ich das richtig sehe, auf Hochzeitsreise?«

      »Ja. Und zum ersten Mal passierte es in Venedig. Sie war auch da – im Hotel Danieli. Ich hielt es zuerst für Zufall. Ziemlich peinlich, aber mehr auch nicht. Aber dann haben wir sie in Brindisi auf dem Schiff entdeckt. Und es sah ganz so aus, als ob sie auch nach Palästina fahren wollte. Deshalb haben wir sie, so dachten wir jedenfalls, an Bord zurückgelassen und sind anders weitergefahren. Aber kaum kamen wir ins Mena House hier in Ägypten, da – da saß sie schon da und – wartete auf uns.«

      Poirot nickte. »Und dann?«

      »Wir haben den Dampfer nilaufwärts genommen. Ich – ich war fast sicher, dass wir sie an Bord auch wieder sehen würden. Als sie da doch nicht war, dachte ich, sie hat ihr – ihr kindisches Benehmen vielleicht aufgegeben. Aber kaum kamen wir hier an, da – da – saß sie wieder da und wartete auf uns.«

      Poirot musterte sie eine Weile eindringlich. Sie wahrte noch immer die Contenance, aber die Knöchel der Hand, mit der sie sich an der Tischplatte festklammerte, waren weiß vor Anspannung.

      »Und jetzt fürchten Sie, das geht immer so weiter?«, fragte er.

      »Ja.« Sie hielt inne. »Natürlich ist die ganze Sache idiotisch! Jacqueline macht sich doch höchst lächerlich! Ich muss mich sehr wundern, dass sie nicht mehr Stolz hat – mehr Würde.«

      Poirot winkte ab. »Es gibt Zeiten, Madame, da gehen Stolz und Würde – über Bord! Da herrschen andere, stärkere Gefühle vor.«

      »Ja, schon möglich.« Linnet klang ungeduldig. »Aber um Himmels willen, was für einen Gewinn verspricht sie sich denn von alldem?«

      »Es geht nicht immer um Gewinne, Madame.«

      Etwas an Poirots Ton war Linnet unangenehm. Sie wurde rot und sagte hastig: »Sie haben recht. Es geht nicht darum, ihre möglichen Motive zu erörtern. Der springende Punkt ist einfach, dass dies alles endlich ein Ende haben muss.«

      »Und was schlagen Sie zu diesem Zweck vor, Madame?«, fragte Poirot.

      »Nun ja – es versteht sich ja wohl von selbst, dass – mein Mann und ich nicht länger Zielscheibe derartiger Belästigungen sein dürfen. Es muss doch für derlei irgendeine rechtliche Handhabe geben.« Sie klang wieder unduldsam.

      Poirot sah sie nachdenklich an. »Hat sie Sie in der Öffentlichkeit verbal bedroht? Beleidigt? Körperliche Angriffe versucht?«

      »Nein.«

      »Dann, Madame, sehe ich offen gestanden nicht, was Sie dagegen tun könnten. Wenn eine junge Dame Gefallen daran findet, bestimmte Orte zu besuchen, und diese Orte sind zufällig die, an denen Sie und Ihr Mann sich aufhalten – eh bien – was soll’s? Die Luft ist für alle da! Sie dringt ja nicht in Ihre Privatsphäre ein, oder? Diese Begegnungen passieren doch immer in aller Öffentlichkeit?«

      »Sie meinen, ich kann gar nichts dagegen tun?« Linnet schien es nicht fassen zu können.

      »Überhaupt nichts, soweit ich es sehe«, bestätigte Poirot ruhig. »Mademoiselle de Bellefort hat das Recht auf ihrer Seite.«

      »Aber – aber es macht einen wahnsinnig! Es ist doch eine Zumutung, dass man mich mit so etwas behelligen darf!«

      Trocken gab Poirot zurück: »Mein Mitgefühl, Madame – zumal ich mir vorstellen kann, dass Sie nicht sehr oft behelligt werden mit solchen Zumutungen.«

      Linnet runzelte die Stirn. »Es muss doch irgendwie möglich sein, das zu beenden«, murmelte sie.

      Poirot zuckte die Schultern. »Sie können jederzeit abreisen – woandershin fahren«, schlug er vor.

      »Dann kommt sie hinterher!«

      »Sehr wahrscheinlich – ja.«

      »Das ist doch absurd!«

      »Ganz recht.«

      »Und überhaupt, wieso sollte ich – sollten wir denn vor ihr weglaufen? Als ob – als ob –« Sie schwieg.

      »Ganz recht, Madame. Als ob –! Darum geht’s, nicht wahr?«

      Linnet hob den Kopf und starrte ihn an. »Was meinen Sie?«

      Poirot beugte sich vor und fragte in vertraulich-sanftem Ton, aber eindringlich: »Warum macht Ihnen das so zu schaffen, Madame?«

      »Warum? Das macht einen doch wahnsinnig! Eine Provokation sondergleichen! Ich habe Ihnen doch erklärt, warum!«

      Poirot schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt.«

      »Was meinen Sie?«, fragte Linnet noch einmal.

      Poirot lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und sagte fast gleichgültig, unpersönlich: »Ecoutez, Madame. Ich will Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Eines Abends vor einem oder zwei Monaten sitze ich in London in einem Restaurant. Am Nebentisch zwei Menschen, ein Mann und ein Mädchen. Sie sind ganz offensichtlich sehr glücklich, sehr verliebt. Sie schmieden Pläne für die Zukunft. Nicht, dass ich da etwas belausche, das nicht für mich gedacht ist; den beiden ist einfach egal, wer ihnen zuhört und wer nicht. Der Mann sitzt mit dem Rücken zu mir, also kann ich das Gesicht des Mädchens genau sehen. Ein sehr ausdrucksvolles Gesicht. Sie ist verliebt – mit Herz und Leib und Seele, und sie ist keine von denen, die sich oft und leicht verlieben. Bei ihr geht es deutlich um Leben und Tod. Die beiden sind verlobt und wollen heiraten, so stellt sich heraus, und sie besprechen auch, wo sie ihre Flitterwochen verbringen werden. Sie wollen nach Ägypten.« Er machte eine Pause.

      »Und?«, fragte Linnet scharf.

      »Das ist, wie gesagt, jetzt ein, zwei Monate her – aber dieses Gesicht werde ich nie vergessen. Ich weiß, ich erkenne es wieder, sobald ich es irgendwo sehe. Genau wie die Stimme des Mannes. Ich nehme an, Madame, Sie können sich denken, wo ich das eine wieder sehe und die andere wieder höre. Hier in Ägypten. Der Mann ist tatsächlich auf Hochzeitsreise – aber auf der Hochzeitsreise mit einer anderen Frau.«

      Linnets Antwort war wieder scharf. »Na und? Die Tatsachen hatte ich Ihnen ja genannt.«

      »Die Tatsachen, ja.«

      »Also – und?«

      Bedächtig fuhr Poirot fort: »Das Mädchen in dem Restaurant erzählte auch von einer Freundin – einer Freundin, da war sie ganz sicher, die sie nie im Stich lassen würde. Und diese Freundin waren, glaube ich, Sie, Madame.«

      »Ja. Ich sagte bereits, wir waren befreundet.« Linnet wurde rot.

      »Und sie hat Ihnen vertraut?«

      »Ja.« Sie zögerte einen Augenblick und biss sich ungeduldig auf die Lippe. Als sie merkte, dass Poirot keine Anstalten machte weiterzureden, sagte sie laut und heftig: »Selbstverständlich ist das alles sehr bedauerlich. Aber so etwas kommt eben vor, Monsieur Poirot.«

      »Ah ja! Doch, das kommt vor, Madame.« Er hielt inne. »Sie sind Anglikanerin, nehme ich an?«

      »Ja.« Linnet sah ihn verdutzt an.

      »Dann hat man Ihnen in der Kirche sicher aus der Bibel vorgelesen. Und Sie haben von König David gehört und von dem reichen Mann mit der großen Viehherde und dem armen Mann, der nur ein einziges Jungschaf besaß – und davon, wie der Reiche dem Armen sein einziges Schaf weggenommen hat. Das ist auch etwas, das eben vorkommt, Madame.«

      Linnet schoss im Stuhl hoch. Ihre Augen funkelten böse. »Ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen, Monsieur Poirot! Sie denken, ich hätte meiner Freundin, um es salopp zu sagen, den Liebhaber gestohlen. Sentimental betrachtet – und so müssen es Menschen Ihrer Generation vermutlich betrachten –, mag das sogar so sein. Aber die wirkliche und schmerzliche Wahrheit ist eine andere. Ich bestreite ja nicht, dass Jackie leidenschaftlich in Simon verliebt war, aber ich glaube, Ihnen ist bisher entgangen, dass er ihr womöglich nicht gleichermaßen zugetan