Agatha Christie

Der Tod auf dem Nil


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ich, keine Zeit zu verlieren.«

      »Aber warum denn ich

      »Streng doch mal deinen Grips an, Junge, streng ihn mal an. Dich hat Linnet Ridgeway noch nie gesehen, Pennington auch nicht. Mit dem Flugzeug kannst du gerade rechtzeitig da sein.«

      »Mir – mir gefällt das nicht.«

      »Das mag wohl sein, du wirst aber müssen.«

      »Ist das denn wirklich nötig?«

      »Meiner Meinung nach«, sagte Mr Carmichael, »ist es sogar lebensnotwendig.«

      XII

      Mrs Otterbourne rückte den Turban aus einheimischen Stoffen, den sie um den Kopf geschlungen trug, wieder zurecht und bemerkte verdrießlich: »Ich weiß wirklich nicht, warum wir nicht nach Ägypten weiterfahren sollten. Von Jerusalem habe ich die Nase jedenfalls gestrichen voll.«

      Und als ihre Tochter nicht reagierte: »Du könntest wenigstens antworten, wenn man mit dir redet.«

      Rosalie Otterbourne war in ein Porträtfoto in der Zeitung vertieft. Darunter stand gedruckt:

      Vor ihrer Hochzeit zählte Mrs Simon Doyle zu den bekanntesten Schönheiten der Gesellschaft und hieß Miss Linnet Ridgeway. Mr und Mrs Doyle weilen zurzeit auf Hochzeitsreise in Ägypten.

      Schließlich fand sie die Sprache wieder: »Du möchtest nach Ägypten weiter, Mutter?«

      »Ja, das möchte ich«, schnappte Mrs Otterbourne. »Ich bin nämlich der Ansicht, dass man uns hier ausgesprochen geringschätzig behandelt. Wenn ich hier absteige, ist das schließlich Reklame für die – sie müssten mir eigentlich Rabatt geben. Als ich das aber nur mal zart angedeutet habe, da sind die meiner Ansicht nach sogar unverschämt geworden – ausgesprochen unverschämt. Ich habe ihnen daraufhin natürlich deutlich meine Meinung gesagt.«

      Die Tochter seufzte. »Hotels sind eins wie das andere. Von mir aus können wir sofort los.«

      »Und heute Morgen«, fuhr Mrs Otterbourne fort, »hatte dieser Hotelmanager doch tatsächlich die Frechheit, mir zu erzählen, sämtliche Zimmer seien vorbestellt und er brauche unseres in zwei Tagen.«

      »Dann müssen wir ja woandershin.«

      »Mitnichten. Ich bin durchaus gerüstet, für mein Recht zu kämpfen.«

      »Wir könnten aber ebenso gut gleich nach Ägypten fahren«, murmelte Rosalie. »Es ist doch sowieso egal.«

      »Eine Frage von Leben und Tod ist es jedenfalls nicht«, pflichtete Mrs Otterbourne bei.

      Womit sie allerdings ziemlich falschlag – denn genau das würde es sein, eine Frage von Leben und Tod.

      Zweites Kapitel

      »Das ist Hercule Poirot, der Detektiv«, sagte Mrs Allerton zu ihrem Sohn.

      Sie saßen in scharlachrot lackierten Korbsesseln im Vorgarten des Hotel Cataract in Assuan und sahen hinter zwei Menschen her, die sich gerade entfernten – einem kleinen Mann in einem weißen Seidenanzug und einem großen, schlanken Mädchen.

      Für seine Verhältnisse ungewöhnlich lebhaft, schoss Tim Allerton hoch. »Der komische Knirps da?«, fragte er ungläubig.

      »Der komische Knirps da!«

      »Was um Himmels willen macht der denn hier?«

      Seine Mutter lachte. »Liebling, du klingst ja ganz aufgeregt. Warum finden Männer Kriminelles eigentlich so toll? Ich hasse Detektivgeschichten, ich lese sie nie. Ich glaube auch gar nicht, dass Monsieur Poirot zu einem bestimmten Zweck hier ist. Ich nehme an, er hat einfach eine Menge Geld gescheffelt und guckt sich die Welt an.«

      »Und hat offenbar gleich ein Auge auf das hübscheste Mädchen am Platz geworfen.«

      Mrs Allerton legte den Kopf ein wenig schräg, um die allmählich entschwindenden Rückseiten von Monsieur Poirot und seiner Begleiterin genauer betrachten zu können.

      Das Mädchen überragte ihn um fast zehn Zentimeter und hatte einen anmutigen Gang, nicht gestelzt, aber auch nicht zu salopp.

      »Ich muss zugeben, ziemlich hübsch ist sie«, sagte Mrs Allerton mit einem kurzen Seitenblick auf ihren Sohn. Zu ihrer Belustigung biss der Fisch sofort an.

      »Mehr als ziemlich. Schade, dass sie so einen Schmollmund macht und schlecht gelaunt aussieht.«

      »Vielleicht trägt man das heute so.«

      »Ein fieser kleiner Teufel, finde ich. Aber ausgesprochen hübsch.«

      Der Gegenstand dieser Bemerkungen war Rosalie Otterbourne. Sie drehte, während sie langsam neben Poirot herging, an ihrem zugeklappten Sonnenschirm herum und hatte genau den Gesichtsausdruck, den Tim beschrieben hatte. Sie schien zu schmollen und schlechte Laune zu haben. Sie hatte die Augenbrauen fest in der Mitte zusammengekniffen und die scharlachroten Lippen nach unten gezogen.

      Die beiden gingen jenseits des Hoteltors nach links und kamen in den kühlen, schattigen Stadtpark. Hercule Poirot redete im sanften Plauderton und sah aus, als wäre er glücklich und bester Laune. Sein weißer Seidenanzug war tadellos gebügelt; dazu trug er einen Panamahut und einen reichverzierten Fliegenwedel mit einem Griff aus Bernsteinimitat. »… ich bin ganz hingerissen«, sagte er eben, »die schwarzen Felsen auf der Insel Elephantine und die Sonne und die Boote auf dem Fluss. Ach ja, es ist schön, am Leben zu sein.«

      Er machte eine Kunstpause. »Finden Sie nicht, Mademoiselle?«

      »Es ist wohl ganz in Ordnung«, beschied Rosalie Otterbourne knapp. »Aber Assuan ist ein trübsinniges Pflaster, finde ich. Das Hotel ist halb leer, alle Gäste sind um die hundert –« Sie biss sich auf die Lippe.

      Hercule Poirot zwinkerte zurück. »Das stimmt, ja. Und ich stehe auch schon mit einem Bein im Grab.«

      »Ich – ich habe doch nicht Sie gemeint«, sagte das Mädchen. »Entschuldigung. Das war ungezogen.«

      »Überhaupt nicht. Es ist ganz natürlich, dass Sie sich Gesellschaft in Ihrem Alter wünschen. Nun ja, ein junger Mann ist immerhin vorhanden.«

      »Der ständig mit seiner Mutter zusammenhockt? Sie gefällt mir, aber er sieht grässlich aus, finde ich – so eingebildet!«

      Poirot lächelte. »Und ich – bin ich auch eingebildet?«

      »O nein, finde ich nicht.«

      Sie hatte deutlich kein Interesse an ihm – aber Poirot schien das nicht zu ärgern. Er gab nur gelassen und zufrieden zurück: »Meine besten Freunde behaupten, ich sei sehr eingebildet.«

      »Oh – tja«, entgegnete Rosalie zerstreut, »Sie haben wohl auch Grund, sich etwas einzubilden. Leider interessieren mich Verbrechen ganz und gar nicht.«

      »Ich bin entzückt zu hören«, erklärte Poirot formvollendet, »dass Sie kein schlimmes Geheimnis zu verbergen haben.«

      Einen winzigen Moment lang verschwand der Schmollmund, und sie schoss ihm einen neugierigen Blick zu.

      Poirot schien ihn nicht bemerkt zu haben, sondern sprach einfach weiter. »Ihre Mutter war heute Mittag gar nicht beim Essen. Madame ist doch hoffentlich nicht indisponiert?«

      »Es passt ihr alles nicht hier«, war die knappe Antwort. »Ich bin froh, wenn wir wegkönnen.«

      »Wir fahren zusammen, nicht wahr? Wir machen alle denselben Ausflug nach Wadi Halfa und zum zweiten Nil-Katarakt?«

      »Ja.«

      Sie traten aus dem schattigen Park hinaus auf ein Stück Uferstraße und gerieten prompt ins Visier von fünf Perlen-, zwei Ansichtskarten- und drei Gipsskarabäusverkäufern, ein paar Burschen auf Eseln und schmutzigen Straßenjungen, die nicht dazugehörten, sich aber auch Hoffnungen machten.

      »Sie wollen Perlen, Sir? Sehr gut, Sir. Ganz billig …«

      »Lady,