A. F. Morland

5 Romane Auswahlband Ärzte und Schicksale Februar 2019


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– verändert?“

      „Sie ist nicht mehr so fröhlich und unbeschwert wie zuvor“, sagte Torben. „Manchmal kommt sie mir so vor, als würde sie eine unsichtbare Last mit sich herumtragen, aber sie spricht mit mir nicht darüber, und sie ist seit Kurzem ziemlich verschlossen.“

      „Ich denke, daran ist die Schwangerschaft schuld“, meinte Sven Kayser. „Du bist Arzt. Du weißt das. Wenn eine Frau Mutter wird, geht es in ihr eine Zeitlang drunter und drüber. Nicht jede verkraftet diese umfassenden Umstellungen gleich gut, aber ich bin zuversichtlich, dass Nicola dieses Tief in einigen Wochen überwunden hat, und dann wird sie auch wieder gut gelaunt und heiter sein.“

      17

      „Wieso ist der Videorecorder kaputt?“, fragte Dr. Nicola Sperling ihren Stiefbruder ärgerlich.

      Bruno machte eine vage Handbewegung. „Du kriegst einen neuen.“

      „Was hast du damit gemacht?“

      „Nichts. Einen Film habe ich mir angesehen, und hinterher wollte das dämliche Ding die Kassette nicht mehr herausrücken. Also habe ich mich ein wenig damit herumgespielt – und auf einmal ging überhaupt nichts mehr. Aber die Kassette habe ich herausgekriegt.“

      Bruno saß vor dem Fernseher und schaute eine Sportsendung. Seine Beine lagen auf dem Couchtisch. Popcorn und Bier befanden sich in Reichweite. Selbstverständlich lagen auch Popcornkrümel auf dem Teppich.

      „Seit ihr hier seid, ist mein Haus nicht wiederzuerkennen“, beschwerte sich Nicola.

      Bruno griente. „Wir sind keine Pedanten.“

      „Aber ich hab’s gerne ordentlich“, gab Nicola gereizt zurück.

      Bruno machte mit der Hand eine beschwichtigende Geste. „Rosy ist zwar keine Putze, aber ich sag’s ihr. Sie wird dein schmuckes Heim morgen in Ordnung bringen. Zufrieden?“

      Für ihn war die Angelegenheit damit erledigt, aber nicht für Nicola. Es ärgerte sie, dass er sie ignorierte, dass sie für ihn Luft war, dass er sich nur noch für das blöde Fußballspiel interessierte.

      „Drei, vier Tage hast du gesagt“, kam es grimmig über Nicola Sperlings Lippen.

      „Wie?“

      „Drei, vier Tage!“

      „Was?“

      „Hör mir gefälligst zu, wenn ich mit dir rede!“, herrschte die Kinderärztin ihren Stiefbruder an.

      „Später, okay?“

      „Nein, jetzt!“

      „Ich würde gern das Spiel sehen.“

      Sie schaltete den Fernsehapparat kurzerhand ab.

      Bruno sah sie entgeistert an. „Nicola, was soll das?“

      „Ich muss mit dir reden.“

      „Hat das denn nicht bis später Zeit? Das Spiel ist in einer halben Stunde zu Ende …“

      „Du hörst mir jetzt zu!“, verlangte die junge Ärztin schneidend.

      „Na schön, schieß los.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie abwartend an. Ein süffisantes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sagte: „Steht dir übrigens gut, wenn du wütend bist.“

      Nicola funkelte ihn an. „Drei, vier Tage, hast du gesagt. Drei, vier Tage! Nur so lange, bis du etwas Passendes gefunden hast. Nun ist schon beinahe eine Woche vergangen, und ihr seid noch immer hier.“

      „Ich hatte mir die Suche leichter vorgestellt.“

      „Du suchst ja gar nicht.“

      „Wer sagt denn das?“

      „Wann immer ich nach Hause komme, lungerst du irgendwo herum und lässt es dir auf meine Kosten gut gehen.“

      „Ich erledige das per Telefon“, erklärte Bruno. „Schließlich bin ich kein mieser, kleiner Klinkenputzer.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe deine künstliche Erregung nicht, Schwesterherz. Ist es denn so schwierig für dich, ausnahmsweise mal ein gutes Werk an einem Mitmenschen zu tun? An einem Mitmenschen, der noch dazu blutsverwandt mit dir ist?“

      „Ihr verwandelt mein Haus in einen Schweinestall, macht alles kaputt …“

      „Alles? Bloß den Videorecorder, und der muss schon vorher ein Leiden gehabt haben.“

      „Solange nur ich ihn bediente, war er in Ordnung.“

      „Ich habe doch gesagt, du kriegst einen neuen.“

      „Mit welchem Geld willst du den denn bezahlen? Du kannst dir ja nicht einmal ein Hotel leisten.“

      „Soll ich mein gutes Geld verschwenden, wenn meine Schwester allein in einem großen Haus wohnt?“

      Nicola stemmte die Fäuste wütend in die Seiten. „Hör zu“, fauchte sie, „ich gebe dir noch eine Woche, dann bist du mit deiner Freundin verschwunden – ob du bis dahin nun eine Wohnung gefunden hast oder nicht. Ist das klar?“

      „Großer Gott, wie aggressiv du geworden bist! So warst du früher nicht. Was ist mit dir passiert, während ich in Hamburg war? Was hat dich so verändert?“

      „Du hast noch sieben Tage“, sagte Nicola kalt. „Du solltest die Zeit nutzen, sonst sitzt du mit Rosy in einer Woche auf der Straße.“

      18

      Es belastete Nicola immer mehr, dass sie Torben nicht die Wahrheit gesagt hatte, und wenn er sie fragte, wie weit die Umbauarbeiten bereits gediehen seien, musste sie sich jedes Mal eine neue Lüge einfallen lassen. Es tat ihr in der Seele weh, dem Mann gegenüber, den sie so sehr liebte, so unaufrichtig sein zu müssen, und irgendwann sagte sie sich: So darf es nicht weitergehen. Torben vertraut mir – und ich belüge ihn. Das darf nicht sein. Das darf ich nicht mehr tun. Ich muss ihm endlich die Wahrheit sagen. Wenn ich weit genug aushole, wird er mich verstehen und mir nicht böse sein.

      Sie wollte ihm Bruno in den schwärzesten Farben schildern – eben so, wie ihr Stiefbruder tatsächlich war. Dann würde Torben nachvollziehen können, wie sie empfand, und ebenfalls nichts von dem Taugenichts, mit dem sie unglücklicherweise verwandt war, wissen wollen.

      Heute, dachte sie entschlossen. Heute sage ich ihm endlich alles. Und dann wird nie mehr eine Lüge zwischen uns sein.

      Sie besuchte den fünfjährigen Matthias. Der kleine Patient war mit starken Halsschmerzen, Husten, Erbrechen, hohem Fieber, Kopf- und Bauchschmerzen und Herzrasen eingeliefert worden. Die ersten drei Tage war seine Zunge belegt gewesen, danach hatte sie himbeerartig ausgesehen – Scharlach, hatte Dr. Nicola Sperling unschwer diagnostiziert und Penizillin verordnet.

      Zwei Wochen nach Krankheitsbeginn wurde Matthias’ Urin auf Blut kontrolliert, um festzustellen, ob man mit der Komplikation einer Nierenkörperchenentzündung rechnen musste.

      Da dies nun zweifelsfrei nicht zu befürchten war, konnte die junge Kinderärztin dem kleinen Patientin eröffnen: „Morgen darfst du nach Hause gehen.“

      Matthias riss die großen dunkelbraunen Augen auf. „Ehrlich?“

      „Ehrlich.“ Dr. Sperling nickte. „Ich habe deiner Mutti bereits Bescheid gesagt.“

      Matthias’ Augen wurden noch größer. „Sie holt mich morgen ab?“

      „Das hat sie mir versprochen.“ Dr. Nicola Sperling strich dem Kind sanft übers blonde Haar. „Freust du dich schon auf zu Hause?“

      „Ja. Auf meine Spielsachen und auf Pipsi.“

      „Wer ist Pipsi?“

      „Mein Wellensittich.