A. F. Morland

5 Romane Auswahlband Ärzte und Schicksale Februar 2019


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      Die Seebergs kamen zurück und schwärmten vom schönsten Urlaub ihres Lebens.

      Sven befand sich im Büro des Klinikchefs und hörte sich von Ruth und Uli an, was sie alles erlebt hatten. Dr. Ulrich Seeberg sagte: „Wir haben zwölf Ein-Stunden-Videobänder mitgebracht.“

      Sven Kayser wiegte den Kopf und lachte. „Bei aller Liebe …“

      Dr. Seeberg hob die Hände. „Keine Sorge, das tun wir dir nicht an. Ich werde die Aufnahmen auf zwei, maximal zweieinhalb Stunden zusammenschneiden. Das wird sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, und sobald die Arbeit getan ist, setzen wir uns zu einem gemütlichen Videoabend zusammen, einverstanden?“

      „Einverstanden“, sagte der Grünwalder Arzt und wechselte dann das Thema. Er erzählte den Freunden von Dr. Nicola Sperlings furchtbarem Schicksalsschlag.

      Ruth und Ulrich Seeberg waren betroffen.

      „Mein Gott, wie entsetzlich“, sagte die Frau des Klinikleiters, voll tief empfundenen Mitgefühls. „Können wir irgend etwas für sie tun?“

      Sven Kayser schüttelte langsam den Kopf. „Das einzige, was sie braucht, ist Zeit, um darüber hinwegzukommen.“

      „Ich werde ihr sagen, sie kann zu Hause bleiben, solange sie es für nötig erachtet“, erklärte Dr. Seeberg. „Sie soll sich nicht durch ihr ausgeprägtes Pflichtbewusstsein unter Druck gesetzt fühlen. Die Arbeit auf der Kinderstation erfordert ein besonders stabiles seelisches Gleichgewicht. Das muss sie nach diesem schmerzlichen Verlust erst mal wiedererlangen.“

      „Wie wird Torben damit fertig?“, fragte Dr. Ruth Seeberg.

      Sven Kayser rieb die Handflächen aneinander. „Ich habe irgendwie das Gefühl, er ist nicht mehr derselbe wie früher.“

      „Das wundert mich nicht“, sagte Dr. Seeberg. „So etwas hinterlässt sehr tiefe Wunden, die ganz schlecht heilen. Bei manchen Menschen heilen sie überhaupt nie.“

      „Das ist bei Nicola und Torben hoffentlich nicht der Fall“, sagte Sven. Er sprach über die Heiratspläne der beiden, und es freute Ruth und Ulrich Seeberg, dass sie den Bund fürs Leben nicht ohne ihr Beisein schließen wollten.

      „Sie können selbstverständlich auf uns zählen“, sagte der Klinikchef, und seine attraktive Frau nickte zustimmend.

      26

      Dr. Torben Lorentz stand im Lift und dachte an sein rätselhaftes Erlebnis mit dieser mysteriösen Romy Schatz. „Meine Freunde nennen mich Schätzchen.“

      Er hatte nie wieder von ihr gehört. Kein Anruf. Kein Brief. Nichts. So unvermittelt wie sie in sein Leben getreten war, war sie aus diesem auch wieder verschwunden.

      Nach wie vor hatte er keinen blassen Schimmer, was sich während seines Blackouts zugetragen hatte, wieso er nackt in seinem Bett aufgewacht und Romy nicht mehr dagewesen war.

      Inzwischen hegte er den Verdacht, dass Romy ihm irgend etwas in den Whisky gegeben hatte. Doch wozu? Sie hatte ihn nicht bestohlen.

      Er hatte x-mal nachgesehen – es fehlte nichts, absolut nichts. Aber welches Mädchen, bei dem keine Schraube locker ist, betäubt einen Mann, schleppt ihn ins Schlafzimmer, legt ihn ins Bett, entkleidet ihn – und verschwindet dann? Er hätte eine Menge Fragen gehabt. Würde er sie Romy jemals stellen können?

      Der Fahrstuhl hielt. Dr. Lorentz verließ die Kabine und trat wenig später aus der Seeberg-Klinik. Dr. Peter Stein kam ihm entgegen.

      Er war ebenfalls Chirurg und – obwohl verheiratet – ein ewiger Playboy. Torben konnte den Kollegen nicht verstehen. Dr. Stein hatte eine bezaubernde Frau, eine reizende Tochter und einen lieben Sohn.

      Wieso genügte ihm das nicht? Wieso stellte er die eifrige Jagd auf alles, was dem weiblichen Geschlecht angehörte, nicht endlich ein?

      Er hatte auch bei Nicola sein Glück versucht, sich aber einen riesengroßen Korb geholt. Seitdem war sie – was Torben natürlich sehr begrüßte – tabu für ihn.

      „Oh, hallo, Herr Kollege“, sagte Dr. Stein freundlich. „Dienstschluss?“

      Dr. Lorentz nickte. „Ja.“

      Dr. Stein verzog das Gesicht. „Für mich geht es jetzt erst los.“

      Torben Lorentz lächelte. „Des einen Freud ist des anderen Leid.“

      „Wie geht es Nicola?“

      „Schon etwas besser.“

      „Grüßen Sie sie von mir, wenn Sie sie sehen.“

      „Mach’ ich“, sagte Dr. Lorentz und ging weiter, während Dr. Stein die Seeberg-Klinik betrat. Torben erreichte die Parkplätze, die für das Klinikpersonal reserviert waren. Er schob die Hand in die Hosentasche und fingerte die Fahrzeugschlüssel heraus.

      „Herr Dr. Lorentz!“, sprach ihn plötzlich jemand an.

      Er blieb stehen und drehte sich um. „Ja, bitte?“

      Ein sportlich gekleideter junger Mann kam auf ihn zu – Laufschuhe, Jeans, hauchdünner Windbreaker mit Kapuze, die hinten herunterhing. „Kann ich Sie kurz sprechen?“, fragte er.

      „In welcher Angelegenheit?“, erkundigte sich Torben.

      Der junge Mann lächelte. „In einer sehr persönlichen.“ Er ließ seinen Blick schweifen, vergewisserte sich, dass sie nicht beobachtet wurden.

      Torben kniff die Augen zusammen. Der Mann gefiel ihm nicht. „Kenne ich Sie?“, fragte er.

      „Nein. Nein, Sie kennen mich nicht, obwohl …“

      „Obwohl?“

      „Obwohl ich kürzlich in Ihrer Wohnung war.“

      Torben staunte. „Sie waren in meiner Wohnung?“

      „Ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus.“

      „Was hatten Sie in meiner Wohnung zu suchen?“, wollte der Chirurg wissen. „Wieso weiß ich nichts von Ihrer Anwesenheit?“

      Der junge Mann griente. „Oh, ich war anwesend, als Sie abwesend waren.“

      Torben Lorentz zog die Augenbrauen zusammen. „Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht. Was haben Sie während meiner Abwesenheit in meiner Wohnung gemacht?“

      Bruno Pfaff setzte ein süffisantes Lächeln auf. „Ich habe Sie fotografiert“, sagte er. „Möchten Sie die Aufnahmen sehen?“ Er holte einen Umschlag aus dem Windbreaker. „Sie sind sehr scharf geworden – in des Wortes doppelter Bedeutung.“

      Torben Lorentz überlief es kalt. Er entriss Bruno Pfaff das Kuvert, öffnete es, nahm die vielen Hochglanzfotos heraus, die ihn mit einem rothaarigen Mädchen – er nackt, sie nackt – im Bett zeigten, und verlor die Beherrschung. Jetzt war ihm alles klar. Jetzt gab es keine offenen Fragen mehr. Dieses liederliche Pärchen hatte ihn gerissen hereingelegt. Romy – oder wie immer das Mädchen mit den roten Zöpfen heißen mochte – hatte sich absichtlich von ihm anfahren lassen.

      Die Sache war clever ausgeheckt, raffiniert eingefädelt und gewieft ausgeführt worden. Eine Zornwelle schoss in dem sonst so besonnenen Arzt hoch.

      Er packte Bruno Pfaff, krallte seine Finger in dessen Windbreaker und rammte ihn hart gegen seinen Wagen. „Du verdammter Mistkerl!“

      Bruno befreite sich mit einem schmerzhaften Tritt. Dr. Lorentz stöhnte auf. Bruno funkelte ihn gefährlich an.

      „Tu das nie wieder!“, fauchte er. „Hörst du? Nie wieder! Sonst breche ich dir beide Hände, dann bist du als Chirurg erledigt!“ Er nahm Torben Lorentz die Bilder wieder weg. „Sieht so aus, als hättest du jede Menge Spaß mit der Kleinen gehabt.“

      „Ich war bewusstlos.“