A. F. Morland

5 Romane Auswahlband Ärzte und Schicksale Februar 2019


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      Torben Lorentz nickte. „Ja.“

      „Wie fühlst du dich?“

      Torben rümpfte die Nase und schüttelte ernst den Kopf. „Nicht so besonders.“

      „Das sehe ich dir an. Wird seine Zeit dauern, bis ihr darüber hinweg seid.“

      Torben Lorentz nickte wieder. Er dachte an die sonderbare Geschichte mit Romy Schatz, hätte gerne mit Dr. Kayser darüber gesprochen, doch da war eine Sperre in ihm, die dies nicht zuließ. Wollte er sich nicht blamieren? Wollte er nicht, dass Sven sich wegen des Filmrisses, den er gehabt hatte, Sorgen machte? Ein Chirurg mit Blackouts … Wenn so etwas im OP passierte … Während einer schwierigen Operation …

      Dr. Kayser und Dr. Lorentz sprachen über Nicola.

      Torben sah auf seine schlanken Finger. „Wir haben uns dieses Baby so sehr gewünscht.“

      „Es ist noch nicht aller Tage Abend“, sagte Sven Kayser.

      „Du meinst, Nicola könnte noch einmal schwanger werden?“

      Dr. Kayser nickte. „Genau.“

      „Und wenn nicht?“

      Dr. Kayser lächelte. „Hast du deinen Optimismus verloren?“

      „Das nicht“, antwortete der junge Chirurg, „aber ich möchte mir nichts vormachen. Ich bin zwar Optimist, jedoch kein Phantast.“

      „Ich glaube, Nicola wird bald wieder in der Lage sein, schwanger zu werden“, sagte Sven zuversichtlich. „Was wird nun mit eurer Hochzeit? Werdet ihr damit noch etwas warten?“

      Dr. Lorentz schüttelte den Kopf. „Nein. Wozu?“

      Dr. Kayser zuckte mit den Schultern. „Manche Leute heiraten erst, wenn garantiert mit Nachwuchs gerechnet werden kann.“

      Torben setzte eine Miene auf, die erkennen ließ, wie ernst ihm die Sache war. „Ich möchte, dass Nicola meine Frau wird, ob sich nun Kindersegen einstellt oder nicht, weil ich diese Frau einfach liebe und wahnsinnig gerne mit ihr zusammen bin.“ Ihm fiel ein, dass sie ihm am Tag des folgenschweren Sturzes etwas hatte sagen wollen.

      Er wusste bis heute nicht, was sie hatte loswerden wollen, und jetzt war auch kein guter Zeitpunkt, sie danach zu fragen. Nicola würde es ihm ein andermal sagen, da war er ziemlich sicher. Oder es hatte sich mittlerweile überholt und von selbst erledigt und war nicht mehr wichtig.

      „Sobald die Seebergs wieder im Lande sind, wird ein Hochzeitstermin festgesetzt“, sagte Torben.

      „Und vielleicht werdet ihr schon im nächsten Jahr zu dritt sein“, bemerkte Sven Kayser hoffnungsvoll.

      24

      Als Dr. Nicola Sperling nach einer Woche heimkam, herrschte vorbildliche Ordnung in ihrem Haus. Ihr Stiefbruder griente.

      „Da staunst du, was? Damit hast du nicht gerechnet. Rosy und ich haben dein Häuschen auf Hochglanz poliert, damit du uns in guter Erinnerung behältst. Wir werden dich nämlich verlassen, haben endlich was Passendes gefunden.“

      Nicola konnte es fast nicht glauben. „Wo?“, fragte sie erfreut.

      „In Schwabing“, antwortete Bruno Pfaff. „Eine Wohnung. Gemütlich möbliert. Kannst uns ja mal besuchen, wenn du möchtest.“ Er sah die Kinderärztin ernst an. „Das mit dem Baby tut uns übrigens sehr leid, Schwesterherz …“

      Sie biss sich auf die Lippen.

      „Ehrlich“, sagte Bruno. „Wir hätten dich auch gern mal in der Seeberg-Klinik besucht, wenn wir sicher gewesen wären, dass wir willkommen sind, aber wir wussten nicht, ob du dich über unser Erscheinen gefreut hättest.“

      Ich glaube, ich hätte mich nicht gefreut, dachte Nicola, obwohl sie tief in ihrem Inneren den Wunsch verspürte, das Kriegsbeil zu begraben.

      „Hier“, sagte Bruno. Er schnippte mit den Fingern und zeigte auf einen neuen Videorecorder. „Ich habe versprochen, dass du einen anderen kriegst. Er ist angeschlossen und eingestellt …“ Nur bezahlt ist er nicht, dachte Bruno, aber das muss ich ihr ja nicht unbedingt auf die Nase binden.

      Er hatte sich gestern in einigen Wochenendhäusern außerhalb der Stadt „umgesehen“, und der Fischzug hatte sich gelohnt. Eine Briefmarkensammlung, alte Münzen, Schmuck, Bargeld und dieser funkelnagelneue Videorecorder samt Fernbedienung waren an seinen Fingern kleben geblieben.

      Und was er sonst noch an Geschäften angeleiert hatte, kam auch zufriedenstellend in die Gänge. Er konnte sich im Augenblick wirklich nicht beklagen, wurde von seinem Glücksstern allerbestens bestrahlt.

      Vielleicht war es ein Fehler gewesen, nach Hamburg zu gehen. Vielleicht wäre er hier in München in derselben Zeit viel weiter gekommen. Nun, mit zweiundzwanzig Jahren hatte er ja noch – höchstwahrscheinlich – ein langes Leben vor sich und konnte all die Dinge, die ihm bisher nicht so gut gelungen waren, besser machen.

      Tags darauf zog Bruno Pfaff mit seiner Rosy aus. „Darf ich dich hin und wieder anrufen und mich erkundigen, wie es dir geht, Schwesterherz?“, fragte er beim Abschied.

      Nicola nickte. Er schien sich tatsächlich geändert zu haben. Möglicherweise hatte sie ihm unrecht getan. Sollte dies der Fall sein, würde sie sich für eine angemessene Entschuldigung nicht zu gut sein. Aber zuerst musste Bruno noch mehr zeigen, dass er nicht mehr der war, den sie früher nicht aus stehen konnte.

      Sobald er und Rosy Kupfer das Haus verlassen hatten, kam es Nicola seltsam leer vor, aber sie sehnte die beiden nicht zurück.

      Endlich war ihr Haus frei für Torben. Wenn er noch immer den Wunsch hatte, zu ihr zu ziehen, hätte sie es begrüßt. Es gab da nur ein Problem: Sie hatte ihm erzählt, dass sie ihr Haus familiengerecht adaptieren lassen würde, doch es war nichts geschehen. Wie sollte sie ihm das erklären? Eine Stimme in ihr sagte: „Mit der Wahrheit fährt man immer noch am besten.“ Und sie dachte: Ich werde auf die beste Gelegenheit warten und ihm dann entschlossen reinen Wein einschenken.

      Sie nahm einige Tage Urlaub. In der Seeberg-Klinik, auf der Kinderstation, war nicht allzu viel zu tun. Nicola wurde gut vertreten.

      Zu Hause war sie nie allein. Entweder war Torben bei ihr, oder Dr. Kayser leistete ihr Gesellschaft. Noch war Torben nicht zu ihr gezogen.

      Er wollte sie nicht überfordern. Sie hatten noch nicht einmal einen Termin für seine Übersiedlung ins Auge gefasst. Das hatte keine Eile.

      Wichtiger war, dass Nicola sich so rasch wie möglich erholte, ihre verantwortungsvolle Tätigkeit in der Seeberg-Klinik wieder aufnehmen und sich damit wieder absolut vollwertig fühlen konnte.

      Als wieder einmal Sven Kayser bei ihr war, sagte er: „Da ist ein Ausdruck in deinen Augen, der mir nicht gefällt, Nicola.“

      Sie senkte den Blick. „Ich habe sehr Schlimmes hinter mir.“

      „Das weiß ich“, sagte der Grünwalder Arzt, „aber mir kommt vor, als hätte dieser Ausdruck damit nichts zu tun.“

      „Womit denn sonst?“, fragte sie mit unsicherer Stimme.

      Sven Kayser hob die Schultern. „Ich weiß es nicht. Sag du es mir.“

      Ein mattes Lächeln huschte über ihr schönes Gesicht. „Ich habe keine Ahnung, was du hören willst.“

      Sven Kayser, ein sehr guter Menschenkenner, ging nicht näher darauf ein. „Weißt du, was merkwürdig ist?“, fragte er stattdessen.

      „Was?“

      „Dass sich in Torbens Augen ein sehr ähnlicher Ausdruck befindet.“

      „Ist mir noch nicht aufgefallen.“

      „Gibt es etwas, worüber ihr weder mit mir noch miteinander reden wollt?“,