Heidrun Wolkenstein

Der Mann aus Samangan


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diese Verbundenheit spüren zu können. Dass diese Küsse von Farid etwas Einzigartiges für mich bedeuteten war mir klar, wie noch nie zuvor bei einem Mann. Ich spürte sofort, dass da mehr war zwischen uns! Eine sehr tiefe Verbundenheit! Es fühlte sich an, als würden wir uns schon ewig kennen. Es war, als hätten wir uns wiedergefunden. Seine Küsse waren so feurig wie Blitze am Himmel. Er war der Seelenpartner, den ich in meinem Leben noch treffen sollte. Ich wusste es vom ersten Moment an, als ich ihm in seine dunklen Augen schaute. Es war ein Gefühl der tiefsten Vertrautheit. Und nicht nur das! Es war so, als würde ich ihn schon seit einer Ewigkeit kennen! Ich fühlte mich glücklich, weil ich ihn endlich gefunden hatte! Sofort wusste ich, dass ich ihn liebte In Vergangenheit du Zukunft.

      Von den vielen Beziehungen und Bekanntschaften, die ich in meinem Leben hatte, habe ich die wahre Liebe nur zweimal kennengelernt. Farid war dieser Zweite und ich wusste, dass ich diese Liebe nicht mehr verlieren wollte. Meine Mutter hat mir einmal gestanden, dass sie, obwohl sie zweimal verheiratet war, nie in ihrem Leben einen Mann wirklich geliebt hatte, und dass sie überzeugt war, gar nicht zu wissen, was Liebe eigentlich ist. Es ist für mich auch heute noch sehr traurig, wenn ich an diese Worte von meiner Mutter denke. Vor allem an den traurigen Blick, den sie damals machte, als sie mir das erzählte. Allein der Gedanke an diesen Satz schmerzt mein Herz immer wieder. Meine Mutter war zum Schluss leider ein todunglücklicher Mensch. Sie starb mit dem Gefühl, etwas im Leben versäumt zu haben. Der Tod ist nichts Schlimmes – schlimm ist nur, dass die meisten Menschen nie richtig gelebt haben! Meine Mutter zählte leider zu diesen Menschen. Zu spät hat sie erkannt, dass Geld und Luxusgüter, die Liebe nicht ersetzen können, und vor allem, dass diese materiellen Dinge nicht in die Ewigkeit mitgenommen werden können. Die Liebe aber schon!

      Die Liebe nimmst du mit auf deinen Seelenweg, wenn dieses Leben zu Ende ist! Nichts ist schlimmer als die Erkenntnis, dass man in seinem Leben nie wirklich geliebt hat. Welchen Wert hat das Leben denn ohne Liebe? Ich glaube, keinen. Ich war mehr als vier Jahre single nach meiner letzten Beziehung und hatte während dieser vier Jahre auch mehrere Männerbekanntschaften. Aber es war niemand dabei, der es auch nur annähernd in mein Herz geschafft hätte. Die Liebe begegnet einem eben nicht oft und nur mit Glück begegnet sie uns überhaupt. Sie trifft dich genauso selten wie ein Blitz dich treffen kann. Ich wünschte mir dieses tiefe Gefühl der Liebe so sehr! Das Gefühl, für einen Menschen alles tun zu wollen und für ihn immer da zu sein. Und dann traf mich Farid mit seinem Blick wie ein Pfeil ins Herz. Niemand weiß, wie sich das Herz entscheidet. Niemand kann sich aussuchen, in wen er sich verliebt. Es ist ein geheimnisvolles, mystisches Band, das uns verbindet. Wir kennen die Wege nicht, die unsere Seelen wählen, um einander wiederzufinden. Oder gibt es überhaupt nur eine Seele, die nach ihren Anteilen sucht? Es war so schön, dieses Gefühl zu spüren. „Soll ich mit dir nach Hause fahren?“, fragte er plötzlich und zitterte vor Kälte. Zuerst war ich geschockt über diese Frage und lehnte erstmal ab. Aber dann dachte ich mir, was ist schon dabei? Ich habe morgen Geburtstag! Ich werde morgen 47 Jahre alt! Warum sollte ich ihn nicht einfach als mein schönstes Geburtstagsgeschenk mit nach Hause nehmen? Ein ganz besonderes Geschenk. Und ich stellte mir vor, wie ich alleine nach Hause fahre und mich ärgern würde, wenn ich ihn nicht mitnehme. Ich möchte in meinem Leben nichts mehr bereuen müssen. Und am meisten bereut man die Dinge, die man nicht getan hat. Es gab schon zu viele Dinge in meinem Leben, die ich aus Angst vermieden hatte. Also wandelte ich mein Nein in ein Ja um und wir machten uns auf den Weg. Wir hatten fast eine Stunde Fahrt vor uns. Ich war sehr aufgeregt und angespannt, aber ich glaube, ihm ging es nicht anders. In meiner Wohnung wartete mein Hund Felix. Felix ist ein süßer, rotbrauner Cocker Spaniel. Eigentlich wollte ich ihn gar nicht so lange allein lassen. Nachdem wir kurz mit Felix draußen waren, stürzten wir uns aufeinander. Farids Küsse waren elektrisierend! Er war fordernd und wenn er mich zwischen den Küssen anschaute, konnte ich dieses starke Feuer zwischen uns spüren. Seine fast schwarzen Augen zogen mich in ihren Bann und fesselten mich in den tiefsten Abgründen meiner Seele.

      Wir standen immer noch im Vorraum und genossen dieses unbeschreibliche Gefühl des Verlangens. Fordernd streifte ich ihm seine Lederjacke von den Schultern. Er zog langsam den Reißverschluss meiner Jacke hinunter. Wir küssten uns die ganze Zeit, während ein Kleidungsstück nach dem anderen auf dem Boden landete. Die Energie zwischen uns steigerte sich ins Extreme. Wenn ich meine Augen schloss, konnte ich dieses lodernde Feuer zwischen uns spüren. Nein, wir schafften es nicht einmal bis ins Schlafzimmer, so groß war das gegenseitige Verlangen. Als würden wir miteinander tanzen, bewegten wir uns eng umschlungen auf die Couch zu. Und schon spürte ich die kalte Ledercouch auf meinem Rücken. Sie war nicht lange kalt. Schnell wurde sie heiß! Unsere beiden Körper heizten sie viel zu schnell auf. Ich genoss es, wie er auf mir lag. Meine Finger gruben sich in seinen Rücken, um dann wieder sanft über seine muskulösen Schultern und Arme zu streicheln. Dann begannen wir küssend den Körper des anderen zu erforschen. Es war wie eine ekstatische Reise durchs Universum. Ich verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum. Es schien mir, als würde es nur noch Farid und mich auf dieser Welt geben. Wir ließen uns sehr viel Zeit für das feurige Liebesspiel und wir hatten es nicht eilig, zum eigentlichen Höhepunkt zu kommen. Obwohl wir beide gierig danach waren, endlich miteinander zu schlafen, wollten wir dennoch intuitiv damit warten, um dieses lodernde Feuer noch weiter zu entfachen. Wir wollten es so weit hinauszögern, bis es nicht mehr auszuhalten war. Wir drehten und bewegten uns in alle Richtungen, um keinen Zentimeter unserer Körper zu vernachlässigen.

      Er saß auf der Couch, als ich begann, seinen Körper mit meinem Mund zu erforschen. Seine durchtrainierte Statur und seine Männlichkeit, ließ mich noch tiefer in dieses ekstatische Gefühl verfallen. Wie ein Cowboy schwang ich mich schließlich auf meinen wildgewordene Hengst. Es musste sein – plötzlich konnte ich es nicht mehr länger aushalten! Seine Hände umfassten meine Taille und gaben einen strengen Rhythmus vor. Noch nie zuvor hatte ich einen lustvolleren Höhepunkt. Farid war mir so fremd und gleichzeitig so vertraut. Danach blieben wir noch lange in dieser Position. Wir konnten nicht aufstehen – als hätten wir Drogen genommen – so intensiv und berauschend war dieses Erlebnis. Erst als es uns auf der Couch allmählich zu kalt wurde, schafften wir den Weg ins Badezimmer und dann ins Bett. „Wahnsinn! Es ist schon 2.00 Uhr!“, bemerkte er. „Alles Gute zum Geburtstag“, sagte er dann sanft und küsste mich wieder. Die Zeit ist tatsächlich relativ! Unsere erste sexuelle Begegnung dauerte zwischen einer gefühlten halben Stunde und einer Ewigkeit. Irgendwo zwischen einer halben Stunde und der Ewigkeit lag die Wahrheit – sofern es sie gab. Nach einer kurzen Ruhepause wurden seine Küsse wieder fordernder. So wie es aussah, dachte er nicht daran, in dieser Nacht zu schlafen.

      Wir liebten uns die ganze Nacht. Immer wieder und wieder. Geschlafen haben wir nur zwei Stunden. Ich wollte diesen Moment – diese Nacht – für immer festhalten. Ich wusste, in welcher Situation er war und ich wusste jetzt schon, dass ich ihn liebte, obwohl ich ihn erst ein paar Stunden kannte. Für die echte Liebe ist es egal, wie lange man sich kennt. Man spürt es sofort. Liebe muss sich nicht entwickeln. Es ist ein Gefühl, tiefster Verbundenheit – wenn es echt ist. Ein Zauber, der uns umgibt und der uns jede Sekunde an diesen Menschen denken lässt.

      Und dann wollte er plötzlich weg. Ich machte Frühstück. „Ich muss heute noch einem Freund helfen“, sagte er. Ich war schon ein bisschen enttäuscht, weil ich eigentlich hoffte, dass er mit mir meinen ganzen Geburtstag verbringen würde. Aber ich wollte ihm das auch nicht so sagen. Auf keinen Fall wollte ich mich aufdrängen! Wenn jemand nicht bleiben will, dann möchte ich ihn auch nicht aufhalten. Plötzlich fiel mein Blick auf seinen Unterarm. Ich bemerkte vier runde Narben, mit jeweils etwa zwei Zentimetern Durchmesser, die sehr eigenartig aussahen. „Was ist das?“, fragte ich neugierig und zeigte auf die Narben hin. „Das habe ich mir selbst angetan“, antwortete er. „Ich habe mich mit Zigaretten verbrannt, als ich erst ganz kurz in Österreich war“, erzählte er weiter. Er erklärte mir, wie angespannt, unter Strom und völlig überfordert er war, von dem Stress, den er während der Flucht erlebte und auch von dem Stress, dem er in seiner Heimat über die ganzen Jahre hindurch ausgesetzt war. Völlig unbewusst verbrannte er sich selbst, als dieser Stress in Österreich – in der vermeintlichen Sicherheit – dann nachließ. Er hat keine Schmerzen dabei gespürt. Sein Bewusstsein war während dieser langen Jahre des Krieges und der Angst vor den Taliban und von der Angst, auch diese Flucht eventuell nicht zu überleben, so abgespalten, dass er sich selbst überhaupt nicht mehr spüren konnte.