Christine Schick

Die reiche Zukunft hat ein Double


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…“

      Dario breitete die Arme aus, dann faltete er die Hände. „Bitte, spuck’s endlich aus.“

      „Wir haben uns in der Kantine getroffen, sie hat was angedeutet von Problemen in der Firma. Es wirkte so, als hätte sie einen schweren Stand bei der Arbeit“, sprudelte es aus Malik heraus. „Jetzt hab ich ein bisschen recherchiert. Sie kommt aus einflussreichen Kreisen, ist Topabsolventin internationaler Universitäten und alles andere als ein armer Underdog.“

      „Und was ärgert dich daran? Du könntest dir doch sagen: Da hab ich mir mal eine Frau auf Augenhöhe angelacht.“

      „Sehr witzig.“

      „Du hast Angst, dass sie dich verarscht. Aber warum sollte sie? Weiß sie über dich Bescheid? Kennt sie die Fakten über das Hackergespenst?“

      „Das glaube ich nicht, aber ich kann es natürlich nicht ausschließen. Trotzdem ist es recht unwahrscheinlich. Es gab nur eine Begegnung.“ Die Unterhaltung mit Dario tat ihm gut, es war entlastend, Dinge auszusprechen, gemeinsam zu überlegen. Wahrscheinlich machte er das wirklich viel zu selten.

      „Es geht ihr gesundheitlich nicht so gut, eigentlich würde ich sie gern mal in der Klinik besuchen, in die sie eingeliefert worden ist. Aber jetzt denke ich, sie hat doch ihre Leute, und wir kennen uns ja noch gar nicht.“

      „Dreh die Sache doch einfach um und frag dich, was du empfinden würdest.“

      Malik blinzelte, schüttelte den Kopf. Er verstand nicht.

      „Na, angenommen du liegst im Krankenhaus. Würdest du dann auch denken: Wenn Dario und Sohan mich besuchen, reicht das. Zusatztermine von einem flotten Feger brauch ich nicht.“

      Malik atmete aus und sah seinen Bruder dankbar an.

      „Als altes Hackergespenst müsstest du auch berücksichtigen, dass so eine Recherche sehr selektiv ist. Aneinandergereihte Fakten ergeben noch kein Bild eines Menschen. Frag sie nach ihrer Geschichte, lass sie auch selbst an ihrem Image mitstricken“, sagte Dario.

      Malik nickte und lächelte. „Danke.“

      „Meine Praxis ist immer für dich geöffnet“, sagte sein Bruder und trommelte leicht auf Maliks Schenkel.

      6

      Malik war extra früh aufgestanden, was sich auf der Fahrt zur Klinik bezahlt machte. Er bekam einen Sitzplatz und konnte noch ein bisschen dösen.

      Als er ins Foyer des Hauptgebäudes einlief, stellten sich seine Nackenhaare auf. Er hatte sich nicht umsonst eingeredet, dass sein Besuch Suri vielleicht nur irritieren oder in eine peinliche Situation bringen würde. Malik hasste Krankenhäuser. Sie waren zu eng mit den Erinnerungen an Vaters Unfall und den Folgen verbunden.

      Er steuerte auf die Lautsprechersäulen an der Infotheke zu. Als er in ihren Umkreis trat, erkundigte sich eine Männerstimme übereifrig: „Was können wir für Sie tun?“

      „Ich möchte jemand besuchen. Ihr Name ist Suri Temme“, sagte er und registrierte die Kameras an der Wand gegenüber.

      Nach einem Augenblick Bedenkzeit meldete sich die Stimme zurück. „Suri Temme wird auf der Neuroimmunologie behandelt, fünfter Stock, Zimmer 598. Leider müssen wir Sie bitten, von Geschenken wie Blumen oder Speisen abzusehen.“

      Das machte Malik weniger Sorgen als die Fachabteilung, in der Suri lag. Neuroimmunologie. Das hörte sich nicht banal an. Wenn Kopf und Immunsystem betroffen waren, konnte so einiges durcheinandergeraten. Eines der beiden Gebiete hätte ihm eigentlich schon gereicht.

      Malik nahm die Treppe, um noch ein bisschen mehr Zeit zum Ankommen zu haben. In der fünften Etage öffnete er die Tür und trat auf einen kalt beschienenen, leeren Gang. Ein drahtiger Pfleger kam aus einem der Zimmer und musterte ihn im Vorbeigehen. Sicher, für einen typischen Wochenendbesuch war er etwas zu früh dran.

      Als er vor dem Zimmer stand, zögerte er. Was, wenn sie noch schlief? Tat sie nicht. Im Krankenhaus wurde man um 5 oder 6 Uhr geweckt. Jedenfalls vor 20 Jahren war das noch so. Was, wenn ihre Eltern bei ihr waren? Himmel, dann würde er dem alten Haudegen auf die Schulter klopfen und sagen, er habe ihn schon lange nicht mehr in den Nachrichten gesehen. Was denn los sei mit ihm? Malik atmete tief durch und klopfte.

      Da er nichts hörte, öffnete er die Tür vorsichtig. Suri saß im Bett und wandte den Blick zu ihm. Sie sah ihn etwas ungläubig an, schüttelte leicht den Kopf und strahlte. Malik schloss die Tür und trat näher heran.

      „Hey, Suri. Was machst du denn für einen Quatsch?“, fragte er.

      Sie kniff die Lippen zusammen, blinzelte, fasste sich in den Nacken und rieb mit ihrer Hand hin und her. Ihr Lächeln verblasste. „Ja, das stimmt“, sagte sie. „Ganz schöner Quatsch.“ Sie wirkte irgendwie versunken auf ihn, wie hinter Wasser. Gleichzeitig sah sie ihn aufmerksam an, so als erwarte sie, dass er im nächsten Moment wie eine Seifenblase zerplatzen würde.

      „Ich hoffe, sie haben dir unten keine Blumen angedreht, die sie dir oben wieder aus der Hand gerissen haben“, sagte Suri.

      Malik war irritiert. Diese Frau war niemand, der freiwillig über Blumen sprach. Jedenfalls hätte er das noch geschworen, bevor er durch diese Tür trat. Sollte er sich so dermaßen in ihr getäuscht haben? Aber was erwartete er eigentlich? War es wirklich angemessen, dass er Suri besuchte? Vermutlich hatte sie ganz andere Sorgen, als einer flüchtigen Bekanntschaft Auskunft über ihren momentanen Gesundheitszustand zu geben. Wieso war er auf die Idee gekommen, dass eine einzige Begegnung schon eine Brücke gebaut hatte?

      Bei deutlich mehr Zeit, die man zusammen verbrachte, war das schon schwer genug. Ganz davon abgesehen, dass er nicht gerade ein Held in diesen Dingen war. Malik versuchte, sich selbst den Druck zu nehmen. Er würde ein paar Worte mit Suri wechseln und sie dann in Ruhe lassen.

      „Ich gebe zu, wenn ich an eine Kleinigkeit gedacht hätte, wäre es vielleicht eher ein Reader mit ein paar aktuellen Fachzeitschriften-E-Papern von Cyberlab oder Algopop gewesen“, sagte Malik.

      „Cyberlab hab ich schon ewig nicht mehr gelesen“, meinte sie und atmete mit einem sehnsuchtsvollen Stöhnen aus. Dann hielt sie inne und sah ihn an. „Du hast dich über mich erkundigt, oder?“ Suri rieb sich mit beiden Händen die Schläfen.

      „Hast du Schmerzen?“ Malik ging ein Stück näher ans Bett, traute sich aber nicht, sich zu setzen.

      „Ja, nein, ich …“, sagte sie. „Ich bin so überrascht, dass du hier bist. Ich freu mich.“

      Wow, 100 Punkte für seinen Bruder. Malik setzte sich vorsichtig auf die Bettkante und beobachtete sich selbst ein bisschen ungläubig dabei.

      „Weiß man denn, was dir gesundheitlich zusetzt? Können dir die Fachleute hier helfen?“, fragte er.

      Da war sie wieder, die unsichtbare Wand, die sich zwischen sie schob. Obwohl Suri ihn anlächelte, schien sie sich in einer seltsamen Art und Weise zurückziehen zu wollen. Möglicherweise versuchte sie, sich einfach nur höflich zu verhalten, obwohl ihr der Besuch eigentlich zu viel war.

      „Nicht so richtig, leider“, sagte Suri. Es klang ermattet.

      Malik lächelte und stand auf. „Jetzt lass ich dich mal wieder in Ruhe. Beim nächsten Besuch hab ich jede Menge Reader mit Cyberlab-E-Papers dabei, versprochen.“

      Suris Augenbrauen schoben sich zusammen. Sie streckte die Hand aus und sagte: „Ich würde dir so gerne was erzählen und auch von dir hören, ich meine, wenn all die vielen, vielen Untersuchungen hier vorbei sind, weißt du.“ Mit ihren Händen zeigte sie in die Umgebung des Krankenzimmers, ließ ihren Blick noch mal von links nach rechts schweifen und sah Malik dann in die Augen.

      Die Wand war weg. Plötzlich verstand er. Mein Gott, wieso hatte er so lange gebraucht, um zu schalten? Suri konnte nicht frei sprechen, überall waren Kameras und Audiogeräte integriert. Im nächsten Augenblick fiel ihm die Unterhaltung mit Hedi ein.

      „Warte“, sagte er, „also ich meine, lauf nicht weg, ich habe eine Idee