Christine Schick

Die reiche Zukunft hat ein Double


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aber doch in einer der Stationsschubladen noch einen alten Notizblock und einen Kugelschreiber. Zurück im Zimmer, setzte sich Malik wieder neben Suri, lockerte ihre Decke etwas und formte sie zu einer leichten Wölbung über ihrem Bauch, sodass sie und er verdeckt unter ihr schreiben konnten.

      Da war er wieder, der strahlende Blick. Er sagte ihm, dass er richtig lag. Seine Schrift war verdammt krakelig, aber Suri schien keine Probleme beim Entziffern zu haben.

       Hast du Angst vor der Firma?

      Sie nickte und nahm ihm den Stift aus der Hand. Die Berührung verursachte ein Kribbeln in seinem Nacken.

      Sie haben vor, die Menschen in ein Kontrollkorsett zu stecken, sie in Kasten einzuteilen und wie auf einem Schachbrett hin und her zu schieben.

      „Was meinst du mit …?“ Suri legte ihre Hand auf seinen Mund. Er nahm den Kuli und schrieb.

       Was ist mit den anderen Firmen, sie verfügen doch nicht über alle Daten?

      Das ist nicht das Problem, sie ersticken in Informationen.

      Suri schloss die Augen, rieb sich wieder den Nacken. Malik sah sie fragend an. Sie hatte offensichtlich Schmerzen. „Du solltest dich ausruhen“, flüsterte er. Sie schüttelte den Kopf, also schrieb er weiter.

       Was wollen sie erreichen?

      Menschen kontrollieren, manipulieren und sich bereichern.

      Das ist jetzt nicht wirklich neu.

      Suri lachte leise, dann fasste sie sich an die Stirn.

      Nein, aber mit dem, was sie planen, können sie eine Menge anrichten, alles unter dem Deckmantel einer gerechten Ressourcenverteilung und des Erhalts der gesellschaftlichen Stabilität.

       Planen?

      Noch hat die Entwicklung Projektstatus.

      Im nächsten Moment klopfte es an der Tür und sie zuckten zusammen. Suri drückte ihm den Notizblock in die Hand, den er sich hektisch in die Hosentasche schob. Die Tür ging auf und es kamen ein Paar sowie Hans Vidal herein.

      Malik erkannte Suris Eltern. Sie waren um einiges älter als auf den Bildern, die er gesehen hatte.

      „Oh, du hast Besuch!“ Alva Temme kam auf sie zu.

      Malik streckte ihr die Hand entgegen, woraufhin sie einschlug. „Ich hoffe, wir stören nicht“, sagte sie.

      Hans Vidal schnaubte.

      „Guten Tag, Frau Temme, Malik Cerny“, sagte er und nickte. Als sie seine Rechte freigegeben hatte, begrüßte er auch Suris Vater kurz und kam sich dabei fürchterlich steif vor. Machte man das überhaupt noch so oder war das längst auch in diesen Kreisen verpönt?

      „Äh, ich könnte den Pfleger fragen, ob es irgendwo Stühle gibt“, schlug er vor.

      „Was wird das? Machst du hier auf Familie?“, sagte das Gepardenfrettchen leise, aber gut artikuliert, sodass es alle hören konnten. „Seit wann umgibst du dich mit Straftätern, Suri? Ich glaube, ich muss mir echt Sorgen machen.“

      Suri schloss die Augen und kniff die Lippen zusammen.

      Dieses unglaubliche Riesenarschloch, dachte Malik. Wie konnte deine Schwester nur? „Vermutlich, weil Sie Suri so ausgesprochen zuvorkommend bei der Arbeit behandeln, dass sie weder ein noch aus weiß vor Unterstützung und Wertschätzung“, sagte Malik mit einem kalten Lächeln. „Da hat sie sich in die Arme eines, Achtung, und da lege ich Wert drauf, S 100, gestürzt, um wieder etwas Luft holen zu können.“

      Alva und Kai Temme sahen aus, als hätten sie gleichzeitig auf eine große Zitronenscheibe gebissen und würden nun den Tequila danach vermissen. Sie blickten von ihm zu Hans Vidal.

      Das Gepardenfrettchen grinste, lachte, dann ging er unvermittelt auf Malik los, packte ihn am Pulli und schleuderte ihn gegen die Wand, sodass ihm kurz die Luft wegblieb. Alva Temme gab einen hohen Laut von sich, ihr Mann war mit zwei Schritten bei ihnen und drängte sich mit Unterarm und Ellenbogen zwischen sie. Malik spürte, dass Kai Temme durchaus noch Kraft hatte.

      „Hans, Hans, hör sofort auf. Sofort!“, schrie er.

      Suri hatte angefangen, zu husten, ihre Mutter ging zu ihr. Malik konnte noch erkennen, dass sie die Hände um ihren Kopf legte. Es wirkte so, als habe sie Angst, dass er ihr einfach davonflöge. Scheiße, kein Wunder bei diesem Chaos. Und Malik Cerny mittendrin. Er bekam ein hundsmiserabel schlechtes Gewissen. Riskierte hier eine Prügelei mit ihrem Familienhanswurst, obwohl es Suri einfach nur schlecht ging.

      Malik riss die Arme hoch, schaffte es, sich aus Vidals Klammer zu lösen, und sagte laut: „Es tut mir leid, wirklich. Ich gehe jetzt ganz unauffällig.“

      „Verdammt gute Idee“, zischte Vidal.

      „Nein, Malik, bitte bl… “

      Das, was wohl ein bleib hätte werden sollen, ging in einem Würgen unter. Dann erbrach sich Suri aufs Bett. Mehrfach. Ihre Mutter hielt sie und rief: „Bitte, Kai, drück den Alarm!“

      Noch bevor ihr Mann ein panisches „wo?“ ausstieß, war Malik an ihm vorbei und legte seine Hand auf den Knopf über dem Bett an der Wand.

      Unendlich viele Sekunden später waren zwei Medizinerinnen bei ihnen. Malik versuchte, nicht im Weg herumzustehen. Gleichzeitig wurde es seltsam ruhig um ihn herum. Es kam ihm so vor, als hätte sein vegetatives Nervensystem beschlossen, den Ton abzudrehen.

      Die Ärztinnen schoben Suri im Bett nach draußen und verschwanden. Sie wurden auf dem Gang um die Ecke zwischen Kaffeeautomat, Highcontrollerladestation und Bänken abgestellt.

      Malik saß auf einem an die Wand getackerten Plastikstuhl. Suris Eltern stand die Angst ins Gesicht geschrieben und Hans Vidal bekam seine Panik fast nicht mehr unter Kontrolle. Er telefonierte, lange, vermaß den Gang und schien dabei in sein Gerät zu kriechen.

      Schließlich berichtete er umständlich von irgendeinem wichtigen, unvorhersehbaren Geschäftstermin, der sich nicht verschieben ließ, bat Kai Temme, ihn sofort anzurufen, wenn die Ärzte etwas sagen konnten. Dann spurtete er los.

      Als die Tür zur Treppe hinter ihm zufiel, atmete Malik tief aus und sah die fast identisch ablaufende Bewegung bei Alva Temme, die zwei Meter entfernt von ihm auf einer Bank saß. Sie spürte seinen Blick und wandte den Kopf zu ihm. Alva grinste, dann lachte sie leise. „Wehe, Sie verraten mich.“

      „Tue ich nicht.“ Malik lächelte. Kai Temme lehnte an der Wand. Auch sein Blick hatte nichts Ablehnendes mehr.

      Aus dem Gang kam wie aus dem Nichts eine der beiden Ärztinnen auf sie zu. Alva Temme stand auf und ging zu ihrem Mann. „Bitte sagen Sie uns, was los ist, ich bin eine Kollegin.“

      „Ihre Tochter hat neurologische Probleme, wir müssen noch verschiedene Möglichkeiten abklären.“

      „Ist sie ansprechbar? Ich denke, es wäre gut, sie zu fragen, ob sie gestürzt ist oder irgendeinen Unfall hatte“, sagte ihre Mutter.

      Doch die Ärztin schüttelte den Kopf.

      „Was? Was heißt das? Sie ist nicht mehr bei Bewusstsein? Liegt sie im Koma?“, hakte Kai Temme nach.

      Die Medizinerin nickte, dann schaute sie in seine Richtung.

      Malik wurde kalt. Im Koma. Gerade hatte er doch noch mit ihr gesprochen. Er spürte den Notizblock in seiner Hosentasche. Das konnte doch alles nicht wahr sein.

      „Entschuldigen Sie die Frage, aber gehören Sie zur Familie?“, erkundigte sich die Ärztin.

      „Nein, ich bin nur ein Bekannter“, sagte er.

      „Ich möchte Sie bitten, das, was Sie hier mitbekommen haben, nicht nach außen zu tragen“, sagte sie. Ohne eine Reaktion von ihm abzuwarten, forderte sie das Ehepaar auf, ihr in ein Besprechungszimmer zu folgen.

      Alva und Kai Temme nickten ihm kurz zu und