Untote. Sie teilt sich zwar nicht mehr, aber ihr Stoffwechsel läuft auf Hochtouren. Jede unserer Körperzellen, die ihr Limit erreicht hat, kann auf diese Weise seneszent werden. Was der Auslöser dafür ist, den Weg des Selbstmords oder des Zombies einzuschlagen, das ist bislang nicht geklärt.
Was macht denn nun die Untoten zu Untoten – und was ist ihr biologischer Sinn? Zunächst: Seneszente Zellen kommen in allen Säugetieren und in allen Altersstufen vor. VALERY KRIZHANOVSKY vom Weizman Institut für Wissenschaften in Israel gelang es vor Kurzem, deren Zahl bei Mäusen zu bestimmen. Während bei jungen Mäusen höchstens ein Prozent aller Zellen seneszent waren, betrug der Anteil der Zombiezellen in einigen Organen zweijähriger Mäuse bis zu 20 Prozent. Unglaublich viele Untote schleppen nicht nur Mäuse mit sich herum!
Seneszente Zellen haben zwar ihre Teilung eingestellt, aber sie sind hochaktiv, indem sie Hunderte verschiedener Proteine produzieren: Zytokine, also Steuerungsproteine, Wachstumsfaktoren sowie Proteasen (das sind Enzyme, die große Proteine spalten). Damit können die Untoten direkt benachbarte Zellen beeinflussen (ähnlich wie der »Faule-Apfel-im-Korb-Effekt« oder wie ein Virus), und zwar meist nicht zum Guten: Sie rufen unter anderem Entzündungsreaktionen hervor – die ja für etliche der altersbedingten Krankheiten verantwortlich gemacht werden. Wie ein Zombievirus veranlassen sie in der Nähe befindliche gesunde Zellen, sich an der Funktionsstörung zu beteiligen. So reicht das Injizieren einer geringen Zahl von seneszenten Zellen in junge Mäuse bereits aus, um sie deutlich zu schwächen, gebrechlich zu machen und ihnen anhaltende Gesundheitsprobleme zu bereiten.
JUDITH CAMPISI vom Buck’s Institute for Research on Aging in Kalifornien bezeichnete diesen Proteinschwall der Zombiezellen als »seneszenzassoziierten sekretorischen Phänotyp« (SASP) – der uns offenbar im Laufe unseres Alterns zum Verhängnis wird.
Ich (Dominik) lernte Prof. JUDITH CAMPISI im Jahr 2014 kennen, als wir beide zu einer Expertenkonferenz in Orlando, Florida eingeladen waren. Als ich mit ihr auf dem Podium stand, um über meine Ergebnisse zur Stammzellalterung zu berichten, war ich zugegebenermaßen ein wenig nervös, denn sie war bereits damals eine sehr bekannte Wissenschaftlerin. Ich war beeindruckt von der Prägnanz, mit der sie den »evolutionären Balanceakt« von Zombiezellen erläuterte.
Natürlich haben seneszente Zellen eine elementar wichtige Funktion, um unseren Körper gesund zu halten, sonst hätte die Evolution nicht zugelassen, dass sie über die Jahrtausende hinweg in uns präsent sind. Zum einen hat sich der Mechanismus des »Nicht-mehr-Teilens« entwickelt, um den Körper vor mutierten oder verletzten Zellen zu schützen. Das heißt, die Seneszenz tritt dann ein, wenn höchste Gefahr droht: Zellen, die durch Mutation zum Beispiel zu Tumorzellen würden, stellen durch diesen – noch nicht erforschten – Mechanismus ihre Teilungen ein. Ihr tödliches Potenzial können sie damit nicht an ihre Tochterzellen weitergeben. Die Seneszenz ist insofern ein Selbstschutz vor Krebserkrankungen. Viele solcher Zellen auf dem Weg zur Entartung töten sich durch Apoptose selbst. Weshalb aber verfallen andere in dieses merkwürdige stoffwechselaktive Dasein der Untoten? Weil offenbar viele der Proteine, die sie produzieren, auch sehr positive Effekte haben – in jungen Körpern, wohlgemerkt. Offenbar regen sie in benachbartem Gewebe Reparatursysteme an, um zerstörte Zellen zu regenerieren. Ebenso können sie bei der Wundheilung helfen. Manche der Proteine wirken auch als eine Art Notsignal, um dem Immunsystem zu signalisieren: »Diese Zellen schaffen es nicht – bitte beseitigen!«
Prof. CAMPISI kam dann auf die andere Waagschale der »evolutionären Balance« und damit auf dunkle Seite der Zombiezellen zu sprechen. Seneszente Zellen entstehen also, um Krebs zu verhindern. Das erklärt, weshalb junge Menschen selten daran erkranken. Sie werden aber zum Schadensfall, wenn sie im Körper lange aktiv bleiben, was bei der Alterung passiert. Unser Immunsystem scheint mit der Zeit vom Ansturm der seneszenten Zellen überfordert zu sein – und kann nicht mehr auf sie zu reagieren. Nach Prof. CAMPISI spielt es für die Evolution keine Rolle, was nach dem Kinderkriegen mit uns passiert. Ab dem Alter von 50 Jahren sammeln sich Zellen an, anstatt dass sie effektiv aussortiert werden. Deshalb stellt sich laut ihr für die Forschung die Frage, wie die Zellen eliminiert werden und das Gewebe in jugendlichere Zustände zurückversetzt werden kann. Prof. CAMPISI gründete deshalb bereits 2011 gemeinsam mit einem weiteren Star der Seneszenzforschung, JAN van DEURSEN, in San Francisco die Firma Unity Biotechnology, um Senolytika zu entwickeln, von denen man sich die Anti-Aging-Wunderwaffe der Zukunft erhofft. Der Produktname ist Programm. Er setzt sich aus »Senescence« und »lytic – zerstörend« zusammen. Es geht also um Wirkstoffe, die Untote endgültig ins Jenseits befördern, die seneszente Zellen ein für alle Mal killen, ohne dabei gesunde Zellen zu schädigen.
Was sind nun Senolytika?
Zunächst forschten die Seneszenz-Spezialisten an Mäusen, um Medikamente zu finden, die Zombiezellen töten. Hochspannend, was sie dabei über die Überlebensstrategien der Untoten herausfanden. Sämtliche Versuche, seneszente Zellen auf direktem Wege abzutöten, scheiterten kläglich.
Doch als JAMES KIRKLAND, wie JAN van DEURSEN von der berühmten Mayo Clinic in den USA, danach suchte, wie sich seneszente Zellen denn vor dem eigenen Selbstmordprogramm schützen könnten, da wurden er und sein Team fündig. Sie fanden sechs charakteristische Signalwege, mithilfe derer sich die Zombiezellen davor bewahren, den programmierten Suizid einzuleiten.
In dieses Schutzprogramm einzugreifen und es lahmzulegen, war nun das Ziel der Wissenschaftler. Es ist ihnen im Prinzip gelungen: 14 senolytische Substanzen sind bislang bereits definiert, darunter kleinere Moleküle, Antikörper – und seit 2017 ein Peptid, das einen zum Zelltod führenden Signalweg aktiviert. Die Ergebnisse, die damit in Mausversuchen erzielt worden sind, sind mehr als vielversprechend.
Schäden, Krankheiten und die Signale anderer Zellen während der Entwicklung können Seneszenz induzieren. | Im seneszenten Zustand hören Zellen auf, sich zu teilen, und schütten Proteine wie etwa Zytokine aus, die Immunmoleküle anlocken. |
Das Immunsystem kann seneszente Zellen abtöten und dadurch eine Regeneration des Gewebes bewirken. Doch in erkranktem oder alterndem Gewebe kommt es zu einer Anhäufung seneszenter Zellen. | In der Entwicklung befindliche Medikamente schalten die Überlebenstricks der seneszenten Zellen aus und beseitigen diese aus Gelenken, Blutgefäßen oder den Augen. |
An normal alternden Mäusen konnte die Gruppe von JAN van DEURSEN nachweisen, dass altersbedingte Schädigungen, unter anderem an Herz und Nieren, beim Einsatz von Senolytika signifikant zurückgingen und sich die durchschnittliche Lebenserwartung der Mäuse um rund 25 Prozent erhöhte. In anderen Versuchen, in denen die Behandlung an sehr alten Mäusen (die umgerechnet ungefähr 75 bis 90 Menschenjahre alt waren) angewandt wurde, verlängerte sich deren Lebensdauer sogar um durchschnittlich 36 Prozent!
Um welche Senolytika handelt es sich hier? 2015 hatte das KIRKLAND-Forscherteam die ersten Wirkstofftypen identifiziert: Dasatinib, ein zugelassenes Chemotherapeutikum für die Behandlung von Leukämie, in Kombination mit dem uns bereits bekannten Nahrungsergänzungsmittel Quercetin (siehe >), das unter anderem in Trauben und grünem Tee vorkommt. Ein Chemotherapeutikum, fragen Sie? Das würde ja niemand freiwillig nehmen, nur um Alterungserscheinungen zu lindern. Und doch: Bereits bei kurzzeitiger Gabe stellten sich deutliche Effekte ein, die Zombiezellen nahmen stark ab.
Darüber hinaus entdeckte DAOHONG ZHOU von der University of Arkansas im Jahr 2016, dass das Krebsmittel Navitoclax etliche seneszente Zellen ausschaltet, auch solche im Gehirn, die im Verdacht stehen, Alzheimer auszulösen.
Sie sehen, es sind starke Medikamente, die auch starke Nebenwirkungen haben können. Doch die Effekte sind frappierend. Im Gegensatz zu der tatsächlichen Therapie bei Krebs, wo die Präparate täglich eingenommen werden müssen, reichte zur Lebensverlängerung