Nina Ruge

Altern wird heilbar


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      Die Teilung von Stammzellen erfolgt entweder symmetrisch (A) oder asymmetrisch (B). Sie ergibt zwei Stammzellen sowie zwei Tochterzellen (Gewebezellen) oder aber jeweils eine Kopie der ursprünglichen Stammzelle und darüber hinaus eine Tochter (Gewebezelle).

      Unter der sogenannten Proliferation versteht man das schnelle Wachstum oder auch die Vermehrung von Zellen.

      Spätestens jetzt geht uns ein Licht auf: Wenn Stammzellen im normalen Prozess der Zellerneuerung – wie im Darmepithel (die Zellschicht an der Innenseite des Darms), aber auch zum Beispiel bei der Wundheilung oder Muskelregeneration – so hochpräzise wirksam sind, weshalb sollte man sie dann nicht im ganz großen Stil für die moderne Biomedizin einsetzen, als multipotente Heilmittel sozusagen, wenn diese auf adulten Stammzellen basieren? Und noch weiter gedacht: Als pluripotente, also noch wesentlich umfangreicher wirksame Heilmittel, könnte man embryonale Stammzellen nutzen – wenn es gelänge, sie künstlich herzustellen, also ohne dafür auf Embryonen zurückgreifen zu müssen. Das wäre toll oder? Dazu weiter unten mehr!

      Adulte Stammzellen, die direkt dem Körper eines Patienten (oder eines passenden Spenders) entnommen werden, setzt man bereits seit über 40 Jahren bei der Therapie von Blutkrebs und Lymphomen ein. Die Heilkraft anderer adulter Stammzellentypen wird bei Lähmungen durch Wirbelsäulenverletzungen, bei Parkinson- und Herzinfarkt-Patienten und auch bei Arthritis und anderen Knorpel- und Knochenschädigungen erforscht und getestet – zum Teil mit erstaunlichem Erfolg.

      Enorme Chancen auf revolutionäre Therapieformen (und Gewinne) eröffnen sich aber, wenn man weitergeht und Stammzellen manipuliert. Das Ziel ist, körpereigene und damit gut verträgliche Ersatzmaterialien für Organe oder Organteile zu züchten (der Fachausdruck dafür: »Tissue Engineering«). Im Prinzip muss man nicht unbedingt Stammzellen verwenden, um aus Körperzellen neue Herzklappen, Blutgefäße, Knochen oder Haut herzustellen, die keine Abwehrreaktionen des Immunsystems hervorzurufen. Bei der einfachsten Methode lässt man unipolare, ausdifferenzierte Körperzellen in einem Kulturmedium mithilfe von Wachstumsfaktoren auf einem Gerüst (»Scaffold«) zu neuen Blutgefäßen oder Knorpelgewebe auswachsen und implantiert diese dann.

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      Für die Herstellung von menschlichen Geweben außerhalb des Körpers wird dem Patienten eine kleine Gewebeprobe entnommen und für die Isolation von Zellen genutzt. Diese Zellen lassen sich mithilfe von Zellkulturtechniken vermehren und anschließend für die Besiedlung einer biologischen oder synthetischen Trägerstruktur (Scaffold) einsetzen. Diese Methode hat gegenüber der sogenannten Allotransplantation, also der Transplantation von Gewebe eines Menschen in einen anderen Menschen, den Vorteil, dass durch die Verwendung von patienteneigenen Zellen auf eine lebenslange Immunsuppression verzichtet werden kann.

      Für komplexere Regenerationsaufgaben ist diese Methode jedoch nicht geeignet. Spannend ist das »einfache« Tissue Engineering aber für die medizinische Forschung und die pharmazeutische Industrie, Wirkstoffe können an künstlich erzeugtem Gewebe getestet werden. Ein Segen für alle Tiere, die bislang in solchen Testverfahren grauenhaft leiden müssen. Auch künstliches Fleisch könnte auf diese Weise produziert werden. Kaum auszudenken, wenn die Quälerei in der Massentierhaltung endlich ein Ende hätte! Die Verwendung von adulten Stammzellen öffnet allerdings noch größere Chancen für die regenerative Medizin: Da sie multipotent sind, können komplexere Gewebe aus ihnen entwickelt werden. Je nach späterem Einsatzgebiet im Körper müssen sie aber wie aus dem Knochenmark oder inneren Organen im besten und einfachsten Falle aus dem Fettgewebe gewonnen werden. Letzteres bedeutet ja einen nur kleineren chirurgischen Eingriff in Form einer Fettabsaugung.

      Umwandlung von unipotenten Zellen in pluripotente

      Deshalb kommt hier die bahnbrechende Entwicklung von SHINYA YAMANAKA von der Kyoto-Universität gerade recht. Im Jahr 2006/2007 sorgte er für internationales Aufsehen, als er in einem renommierten Magazin davon berichtete, dass es ihm gelungen sei, erst ganz normale Mäusezellen und dann ganz normale menschliche Körperzellen genetisch so umzuprogrammieren, dass sie in den Zustand embryonaler Stammzellen zurückfielen. Unipotente Zellen konnte der Wissenschaftler also in pluripotente Stammzellen umwandeln (induzierte pluripotente Stammzellen, kurz: iPS-Zellen). Diese sind nicht nur praktischerweise aus allen normalen Zellen des Menschen herstellbar, ihre Potenz, also die Fähigkeit der Differenzierung in andere Zellen und Gewebe ist weitaus breiter als bei den adulten Stammzellen aus beispielsweise Knochenmark und Fettgewebe. Die Herstellung dieser iPS-Zellen gelang, indem mithilfe von Viren vier Gene in die Zell-DNA eingeschleust wurden. Aus diesen »wiedererwachten« embryonalen Stammzellen konnte YAMANAKA dann tatsächlich in der Petrischale die verschiedensten menschlichen Zellen entstehen lassen. Welch eine Errungenschaft! Querschnittslähmung, Herzinfarkt, ja Alzheimer würden irgendwann komplett heilbar werden?! Diese Hoffnung brachte ihm und dem britischen Forscher JOHN GURDON, der die geniale Vorarbeit leistete, 2012 den Medizin-Nobelpreis ein.

      Für Ernüchterung sorgte allerdings die Erkenntnis, dass zwei der eingeschleusten Gene offensichtlich Krebs auslösen können. So war es gelungen, eine neue Netzhaut für Erblindete zu züchten. Doch in diesen Netzhautzellen kam es erstaunlich häufig zu Zell-Entartungen. Deshalb wird derzeit an Alternativen zur Gen-Einschleusung fieberhaft gearbeitet.

      Eine solche Methode hat Prof. TIMO OTONKOSKI mit seiner Forschungsgruppe in Helsinki im Juli 2018 publiziert – eine neuerliche Sensation! Während bei YAMANAKAs Vorgehen mit dem Einfügen externer Gene das Krebsrisiko blieb, hat sich OTONKOSKI der zu Weltruhm gelangten Genschere mit dem Namen CRISPR/Cas bedient. So unaussprechlich sie auch klingt, so phänomenal ist ihre Arbeit. Mit ihr können Gene aus der DNA herausgeschnitten, neue Gene eingesetzt und bestehende Gene verändert werden. Höchste Präzision im Molekülbereich – da kann uns nicht anders als schwindlig werden. Jedenfalls nutzte OTONKOSKI und sein Team CRISPR/Cas für die Veränderung bestehender Gene. Er aktivierte nämlich in menschlichen Hautzellen genau die natürlich vorhandenen Genbereiche, die für die pluripotenten Fähigkeiten der embryonalen Stammzelle verantwortlich waren. Mit der Geburt waren sie ausgeschaltet und damit pluripotente zu multipotenten Stammzellen und dann zu unipotenten Körperzellen geworden. Doch nun ist es gelungen, aus »normalen« menschlichen Hautzellen, die kinderleicht zu isolieren sind, embryonale Stammzellen zu erzeugen. Und das auch noch sicher! Fantastisch. Ein gigantisches Spektrum an Heilungsmöglichkeiten tut sich auf.

      Die Schlüsselfunktion von Stammzellen

      So. Und spätestens jetzt fragen Sie sich, warum wir hier diesen umfangreichen Exkurs in die Stammzellenforschung gewagt haben. Zugleich ahnen Sie selbstverständlich: Weil Stammzellen für die komplexen Prozesse der Alterung eine Schlüsselfunktion haben, leider!

      Wir (das Team um Dominik DUSCHER und Kollegen) konnten nachweisen, dass unsere adulten Stammzellen, die also gewebsspezifisch in Darm, Haut, Blut etc. wieder und wieder für Reparatur und Erneuerung sorgen – dass diese adulten Stammzellen mit der Zeit ebenfalls altern. Sie zeigen sich erschöpft, kraftlos bis hin zu wirkungslos. Das ist zweifellos fatal. Ohne Erneuerung und Regeneration bleibt nur Verfall. Wir wollen natürlich wissen: Was passiert da in den Stammzellen? Wie kommt es genau, auf Zell- und molekularer Ebene, zum Schlappmachen der multipotenten Helfer in unserem Körper? Die jüngsten Forschungsergebnisse stellen wir Ihnen nun vor: Welche Bedeutung spezielle Schutzräume, die Stammzellen-Nischen, für Stammzellen haben, welche Rolle sie für deren Altern spielen – und wieso auch Stammzellen-Erbgut im Alter Schaden nimmt. Denn: »Wenn du den Feind kennst und dich selbst kennst, brauchst du den Ausgang keines Kampfes fürchten.« (SHUN TZU) Der chinesische General, Militärstratege und Philosoph ist übrigens um 470 v. Chr. gestorben. Also dann!

      Der Mensch ist so alt wie seine Stammzellen

      Welchen Einfluss haben nun also adulte Stammzellen auf unser Altern? Gegenfrage: Gibt es adulte Stammzellen, die stärker »alt machen« als andere? Und welche Typen sind das nach aktuellem Forschungsstand? Wie es derzeit aussieht, sind es die blutbildenden, sogenannten hämatopoetischen Stammzellen HSC (zur Erinnerung: Sie bilden rund 300