der Stammzellenexistenz schlechthin: Was passiert nun genau in den Zellen unserer so kompetenten internen Ersatzteil- und Reparaturmannschaft, dass sie zu schwächeln beginnt und gravierende Ausfälle zeigt?
Spätestens jetzt ist der nächste Kniefall fällig – vor der genialischen Intelligenz der Regenerationskraft unseres Körpers. Denn wir beschäftigen uns nun mit den Reparaturmechanismen unserer Reparateure, und die sind fantastisch. Wenn sie fehlerfrei funktionieren. Es geht um die körpereigene Erbgut-Polizei, das DNA-Reparatursystem, das Veränderungen, Mutationen aufspüren, analysieren und die DNA wieder instandsetzen kann. Für Stammzellen sind Mutationen der DNA ja viel schlimmer als für normale Körperzellen. Schließlich sind Stammzellen dafür ausgelegt, uns ein Leben lang mit Ersatzzellen zu versorgen, während die anderen unipotenten Körperzellen irgendwann den programmierten Zelltod sterben (wenn alles glattgeht zumindest, siehe dazu das nächste Kapitel).
Stammzellen müssen also ihr Erbmaterial über viele Generationen sicher und exakt identisch weitergeben, sonst drohen Organen, der Immunabwehr, all unseren Körperfunktionen elementare Gefahren. Das heißt natürlich: Die Stammzellen-DNA muss bei der Zellteilung absolut fehlerfrei kopiert werden (symmetrisch in zwei neue Stammzellen oder zwei Ersatzzellen oder asymmetrisch in je eine Stammzelle und eine Ersatzzelle – Sie erinnern sich!).
Der Desoxyribonukleinsäure-Strang DNA ist chemisch recht stabil und hat sich vermutlich deshalb auch in der Evolution als Träger des Gencodes durchgesetzt. Doch die Herausforderung seiner Duplizierung bei der Zellteilung ist gigantisch. Beim Menschen müssen 3,3 Milliarden Basenpaare verdoppelt werden – pro Zelle! Und siehe da: Es geht immer etwas schief. Durchschnittlich zwei von einer Million Basenpaaren werden falsch eingebaut im Duplikat. Um es noch dramatischer zu machen: Jede unserer Zellen erleidet rund 100.000 DNA-Schäden, und das jeden Tag! Diese hohe Zahl entsteht nicht nur durch Fehler bei der Zellteilung, sondern auch durch andere endogene Faktoren wie Angriffe durch Sauerstoffradikale (oxidativen Stress haben wir schon kennengelernt, siehe ab >) und durch exogene Faktoren wie UV-Strahlung, chemische Gifte oder Viren.
»Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch« – FRIEDRICH HÖLDERLIN hat das Prinzip Hochleistung der DNA-Reparatursysteme vorausgeahnt. Denn ihre Vielzahl und Komplexität ist frappierend. Doch für eine lebenslange Perfektion der Stammzellen reichen sie leider nicht aus. Denn offenbar ist die Zahl der Defekte, die im Laufe unseres Lebens in unseren Stammzellen auftreten, so enorm groß, dass es doch mit den Jahren zu so vielen fehlerhaften DNA-Sequenzen kommt, also zu Mutationen, die sich akkumulieren und auch die so hochpotenten Stammzellen letztlich umbringen – oder, noch schlimmer, sie zu Tumorzellen entarten lassen.
Stammzellen sind nun einmal unsere Lebensbegleiter von der Eizelle an. Sämtliche unserer aktuell aktiven Stammzellen stammen durch Duplikation von ihr ab. Und wenn sich ihr Erbgut durch Mutationen verändert, heißt das nichts Gutes. Nämlich: Einbahnstraße, Funktionsausfälle des Alters. Schuld ist offenbar die schnöde Statistik. Je älter wir werden, desto häufiger hat sich eine Stammzelle geteilt und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die großartigen DNA-Reparatursysteme nicht aller der Millionen Schäden Herr werden konnten.
Doch auch hier wächst das Rettende: Wir können unsere DNA-Reparatursysteme unterstützen! Heute wissen wir so viel über ihre filigrane Arbeitsweise, dass es tatsächlich Mutmachendes zu berichten gibt. Als Erstes sei die Familie einer spannenden Enzymgruppe ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt: Die sogenannten Sirtuine (ihr Name leitet sich vom Begriff »silent information regulator« her). Interessanterweise kommen sie im gesamten Tierreich vor, von Bakterien über Würmer und Insekten bis zum Menschen. Sie dürften also elementare Funktionen besitzen, und das ist – wie jüngere Forschungsergebnisse eindeutig belegen – Stressabwehr und Lebensverlängerung auf zellulärer Ebene. Sirtuine legen bestimmte Eiweißstrukturen im Zellkern still, die um die DNA gewickelt sind, sodass die Genaktivität vermindert wird und die DNA-Reparatur greifen kann, was natürlich lebensverlängernd wirkt. Wenn zum Beispiel unterschiedlichste Tierarten auf Diät gesetzt werden, verlängert sich ihre Fitness und ihre Lebenserwartung. Es konnte nachgewiesen werden, dass dieser Effekt auf einer Sirtuin-Aktivierung aufgrund der Kalorienreduktion beruht (dies werden wir in den folgenden Kapiteln zur Energieerzeugung und Entgiftung noch genauestens erklären).
Mäuse, denen das Gen für die Produktion von Sirtuin-7 entnommen wurde, zeigten zu 50 Prozent (!) eine deutlich verkürzte Lebensspanne und auch eine verminderte Stressabwehr. Sie konnten zum Beispiel bei niedrigen Temperaturen die Körpertemperatur nicht aufrechterhalten.
Für den Menschen ist Sirtuin-6 enorm wichtig. Es erhält die Länge der Telomere aufrecht (siehe ab >), ist unverzichtbar für die DNA-Reparatur und die Kontrolle von Entzündungsprozessen.
Also – nichts wie her damit, oder? Auf diesen Zug sind die Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln längst aufgesprungen. Denn die Sirtuin-Ausschüttung soll in unserem Körper durch zwei leicht verfügbare Pflanzenextrakte deutlich erhöht werden: Es handelt sich um sekundäre Pflanzenstoffe, beides Polyphenole, die chemisch miteinander verwandt sind. Das eine ist schon länger bekannt: Resveratrol, das als »Wirkstoff des Rotweins« gilt. Das andere ist erst seit jüngerer Zeit in der Diskussion und soll eine deutlich stärkere Wirksamkeit aufweisen. Es heißt Pterostilben. Für beide gilt dasselbe Wirkmuster: Sie sind Teil des pflanzeneigenen Immunsystems. Sie schützen die Trauben vor allem vor Pilz-, Bakterien- und Virusinfektionen. Deshalb enthalten Weintrauben aus Reben, deren Immunsystem durch witterungsbedingte Schwankungen (vor allem Feuchtigkeitsperioden) stark gefordert wird, deutlich mehr Resveratrol und wahrscheinlich auch Pterostilbene als Trauben aus sonnensicheren Regionen. Und weil sich Polyphenole gut in Alkohol lösen, enthält Rotwein deutlich mehr dieser beiden Antioxidantien als Traubensaft.
Die sirtuinstimulierende Wirkung dieser beiden Polyphenole soll zumindest teilweise das sogenannte »Französische Paradoxon« erklären: Die erstaunliche Erkenntnis von Epidemiologen in den 1990er-Jahren, dass vor allem im Süden des Landes die Herzinfarktrate um 30 bis 40 Prozent niedriger liegt als in anderen europäischen Ländern oder auch in den USA, obwohl die Franzosen viel rauchen und viel Fleischessen, also jede Menge ungesunder gesättigter Fettsäuren.
Spannend wird zu beobachten sein, wie der Langlebigkeits-Wettlauf zwischen Resveratrol und Pterostilben ausgehen wird. Denn die Aufmerksamkeit der Forschung war seit 2003 vor allem auf Resveratrol gerichtet. Sicherlich, weil es in Weintrauben und damit in Wein in sehr viel höheren Mengen vorhanden ist als Pterostilben und damit einfach und für viele mit großem Genuss zu konsumieren ist. Studien zur Frage der Wirkung beider Substanzen auf die Lebensdauer waren somit sehr ungleich verteilt: 1 zu 10 für Resveratrol. Doch das ändert sich nun. Denn Pterostilben wird – obwohl chemisch sehr nah mit Resveratrol verwandt – deutlich besser vom Körper aufgenommen und verwertet.
Resveratrol und Pterostilben haben sich als so vielseitige biologische Vielzweckwaffen erwiesen, dass sie in einer US-Veröffentlichung als »Schweizer Armeemesser der Natur« gelobt wurden. Sie wirken gefäßschützend, entzündungshemmend, krebshemmend, und, was uns besonders interessiert, sirtuinstimulierend. Resveratrol und Pterostilben gibt es in hoher Dosierung frei verfügbar als Nahrungsergänzungsmittel zu kaufen, und das Geschäft läuft glänzend. Interessant ist, dass einige Pharmariesen ihre Resveratrol-Programme dennoch eingestellt haben. Man entwickelt stattdessen gerade synthetische Substanzen, die dem Resveratrol und dem Pterostilben sehr, sehr ähnlich sind, aber noch weit stärker sirtuinstimulierend wirken sollen. Die Bioverfügbarkeit von Pterostilben liegt entsprechend bei 80 Prozent, bei Resveratrol nur bei 20 Prozent. Pterostilben ist allerdings nicht nur in Weintrauben, sondern auch in anderen Früchten nur in sehr viel geringeren Mengen vorhanden. So birgt ein halber Liter Blaubeersaft nur 0,03 Milligramm Pterostilben.
Doch es kann synthetisch hergestellt werden, und das ist der Clou. In Zellkulturversuchen und auch Tierversuchen (muss das sein?!?) schnitt Pterostilben häufig besser ab als Resveratrol – und kann in Kapselform natürlich in deutlich höheren Dosen als Nahrungsergänzung aufgenommen werden als durch Früchte.