Manuel Lippert

Fluch der verbotenen Stadt


Скачать книгу

nickten zustimmend.

      Die Notärztin, die bisher abseits gestanden hatte, ging auf Tim und Rainer zu. Nach einer kurzen Begrüßung berichtete sie, dass sie nur noch den Tod des Mannes feststellen könne und eine Reanimation zwecklos gewesen sei. „Was ich jedoch schon zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann, ist, dass die Verletzungen des Opfers Zeichen äußerer Gewalteinwirkung aufweisen“, ergänzte sie. „Vielen Dank für Ihre Einschätzung. Wir werden uns das gleich näher anschauen.“ Tim blickte Rainer an. „Rufst du erst einmal die Staatsanwältin an? Wir sollten die Leiche erst begutachten, wenn der Rechtsmediziner und die Kollegen von der Kriminaltechnik ihre Arbeit beendet haben. Ich spreche währenddessen mit dem Spaziergänger.“ Rainer nickte.

      Rainer rief die zuständige Staatsanwältin an, um sie zu informieren und um den Einsatz des Rechtsmediziner vor Ort zu bitten. Gleichzeitig ging Tim zu dem Spaziergänger, der die Leiche gefunden hatte, um ihn zu befragen.

      Tim stellte sich kurz vor, beugte sich dann langsam zu dem Hund und streichelte den Labrador am Kopf. Dieser erwiderte die Streicheleinheiten mit treuem Blick und schnellem Schwanzwedeln. Tim war verrückt nach Hunden und insbesondere Labradore hatten es ihm angetan. Das lag nicht nur an ihrem Aussehen. Sie waren mittelgroß und kräftig gebaut, besaßen einen breiten Schädel und liebten das Apportieren. Tim war besonders von ihrem gutmütigen und gelassenen Wesen fasziniert.

      Als er die Personalien des Spaziergängers aufnehmen und mit der Befragung beginnen wollte, stupste ihn der Hund mit seiner Schnauze sanft aber fordernd am Oberschenkel an. Der Spaziergänger zog ihn zurück und entschuldigte sich. Tim lachte: „Machen Sie sich keine Sorgen! Ich habe auch einen Labrador zu Hause. Ich kenne ihre fordernde Art, was Streicheleinheiten betrifft, nur zu gut.“ Der Spaziergänger lächelte und wirkte auf Tim jetzt etwas entspannter. Außer zu dem Zeitpunkt des Auffindens des Toten und dem bereits bekannten Ablauf der Benachrichtigung und des Eintreffens der Schutzpolizei konnte der Spaziergänger keine neuen Hinweise geben. Tim gab ihm den Personalausweis zurück und verabschiedete sich.

      In diesem Moment traf die Kriminaltechnik ein. Tim ging ihnen entgegen und begrüßte sie. Er kannte die Kollegen vom Dezernat Ermittlungsunterstützung, nicht nur weil sie im gleichen Gebäude der Polizeidirektion untergebracht waren, sondern auch wegen der Zusammenarbeit in mehreren Fällen. Es waren nicht viele Worte notwendig und die Kollegen fingen sofort mit der Sicherung möglicher Spuren an. Tim nutzte die kurze Pause und sah sich um. Er hatte sich über die Jahre ein einfaches, aber strukturiertes Vorgehen angeeignet. Es half ihm, sich den Fundort beziehungsweise den Tatort sehr genau einzuprägen. Bis jetzt war es noch nicht nachgewiesen, dass der Fundort der Leiche hier auch der Tatort war. Üblicherweise suchte Tim sich einen Platz, vom dem er einen guten Rundumblick hatte und drehte sich langsam im Uhrzeigersinn um die eigene Achse. Dabei betrachtete er die Umgebung und merkte sich gezielt markante Punkte. Genauso ging er jetzt vor.

      Tim stand auf der schmalen Straße, die in Richtung der ehemaligen Schießbahnen führten. Dies hatte er aus der damaligen Führung in der Waldstadt von vor drei Jahren noch in Erinnerung behalten. Vor sich sah er in einiger Entfernung das Neubaugebiet mit ersten Einfamilienhäusern, an dem sie vorhin vorbeigefahren waren. Dieses ging in eine Wiese über, aus der einzelne Baumstümpfe herausragten. Ein Bagger und eine Planierraupe standen dort. Anscheinend sollten hier weitere Häuser gebaut werden. Allerdings waren noch keine Zufahrtswege zu erkennen. Zu seiner Rechten ging die Straße nach ungefähr zweihundert Metern in eine Linkskurve über und verschwand in einem Laubwald. Als er sich umdrehte, erkannte er neben der Straße eine Gruppe junger, schmal- und hochgewachsener Laubbäume auf einer Wiese. Als er seinen Blick weiter nach rechts in Richtung des Toten drehte, ging die Wiese abrupt in einen Laubwald über. Der Tote lag direkt am Waldrand angelehnt an einen im Gras befindlichen Baumstamm. Daneben lagen drei weitere Stämme, die vermutlich Waldarbeiter zugesägt hatten. Sie bildeten eine Art Barriere zwischen der Wiese und dem Wald. Vor den Baumstämmen schlängelte sich ein Trampelpfad von der Straße entlang des Waldrandes. Der Spaziergänger hatte Tim berichtet, dass er mit seinem Hund von dort kam, als er die Leiche entdeckte. Der Pfad endete direkt vor Tim an einer rotweißen Schranke, an der ein Schild mit einem Warnhinweis von Munitionsresten im Gelände befestigt war. Ein schwarzes Hollandrad lehnte an der Schranke. ‚Vermutlich gehört es dem Toten‘, dachte Tim.

      Er hatte genug gesehen. „Macht bitte ausreichend Fotos von der Umgebung. Untersucht auch beide Seiten des Straßenrandes. Vielleicht war der Täter mit seinem Auto hier und wir können Reifenspuren sichern.“ Allerdings hatte Tim nicht viel Hoffnung, dass sie brauchbare Spuren finden werden. Aber einen Versuch war es auf jeden Fall wert. Die Kollegen der Kriminaltechnik nickten ihm zu. Als Tim auf Rainer zuging, hörte er hinter sich Schritte. Ein anderer Kollege der Kriminaltechnik trat heran. „Was gibt es?“, fragte Tim. „Die hier hatte der Tote bei sich.“ Der Kriminaltechniker gab ihm die Brieftasche des Toten. Tim durchsuchte sie und zog einen Personalausweis heraus.

       6

      Ein silberner Sportwagen fuhr am Tatort vor und hielt direkt vor Rainer und Tim. Die Staatsanwältin Dr. Anna Richter stieg aus und begrüßte beide. Tim freute sich sie wiederzusehen. Auch wenn sie aufgrund der Vielzahl parallel zu bearbeitenden Fälle immer in Eile und Zeitdruck war, war die Zusammenarbeit mit ihr bisher immer sehr vertrauensvoll und angenehm gewesen. Mit ihren dreiundfünfzig Jahren war sie immer noch äußerst attraktiv. Ihre großen Ohrringe mit ihren offenen schwarzgrauen, schulterlangen Haaren betonten ihr zierliches Gesicht. Sie lächelte ihn an: „Schön, Sie wiederzusehen, Herr Beck. Leider habe ich nur sehr wenig Zeit und muss gleich zu einer wichtigen Besprechung zurück in die Staatsanwaltschaft. Bitte geben Sie mir einen kurzen Überblick.“ Tim nickte. Es war allgemein bekannt, dass sie äußerst effektiv und effizient arbeitete und daher oft zusätzliche Fälle zur Bearbeitung bekam. Jeder wusste, dass ihr Zeitdruck keinesfalls gespielt sondern ihre tägliche Herausforderung war.

      Tim nahm sie mit Rainer zusammen zur Seite und berichtete ihr kurz, was sie bisher an Informationen zusammentragen konnten. „Der männliche Tote heißt Günther Ludwig, war 48 Jahre alt und lebte hier in Wünsdorf. Die Kollegen der Schutzpolizei haben gerade eine Abfrage durchgeführt. Unter der Meldeadresse sind keine weiteren Personen eingetragen. Niemand hatte Günther Ludwig bis zum jetzigen Zeitpunkt als vermisst gemeldet.“ Die Staatsanwältin schaute sich mit Tim und Rainer den Fundort des Toten an. „Meine Herren, ich habe auf der Fahrt hierher bereits mit ihrem Chef telefoniert. Wir werden heute Abend die erste gemeinsame Besprechung bei Ihnen in der Mordkommission durchführen.“ Beide nickten zustimmend. Bei Mordermittlungen war es üblich, dass die Staatsanwaltschaft frühzeitig in die Ermittlungen eingebunden sein wollte. Und Dr. Anna Richter hatte klare Vorstellungen davon, wie dies konkret auszusehen hat.

      In diesem Moment fuhr ein weiteres Fahrzeug vor. Der Rechtsmediziner Dr. Ulf Bergmann hielt direkt vor ihnen und stieß zur Gruppe dazu. Nachdem er jedem die Hand gegeben hatte, nahm er seine Brille mit dem dicken, schwarzen Gestell ab und putze sie. Das war ein kleiner, aber wie Tim fand, sympathischer Tick von ihm. Er berichtete ihm kurz von dem Fund des Toten, der Untersuchung durch die Notärztin und dass der Tote bisher nicht bewegt wurde. Dr. Bergmann nickte kurz: „Vielen Dank Herr Beck. Dann mache ich mich mal an meine Arbeit.“ Er ging rüber zur Notärztin um sich von ihr einweisen zu lassen.

      Während die Staatsanwältin ein paar Telefongespräche führte, beobachtete Tim den Rechtsmediziner, der sich mittlerweile umgezogen und mit der Untersuchung des Toten begonnen hatte. Im weißen Schutzanzug sah er aus wie einer der Kollegen der Kriminaltechnik. Normalerweise arbeitete Dr. Ulf Bergmann in der Rechtsmedizin am Brandenburgischen Institut, Außeneinsätze waren für einen Rechtsmediziner eher die Ausnahme. Gemeinsam mit der Staatsanwältin hatten Tim und Rainer aber vorhin beschlossen, ihn schon am Fundort mit der Untersuchung des Toten beginnen zu lassen. Denn jede Spur konnte bei den Ermittlungen helfen. Und bisher hatten sie noch keinerlei konkreten Hinweise zur Tat und deren Umständen.

      Nachdem der Rechtsmediziner seine Untersuchung abgeschlossen hatte, kam er wieder zu ihnen und gab ihnen einen kurzen Bericht. Natürlich konnte er ohne Obduktion noch nicht viel sagen, aber Tim war immer wieder fasziniert, welche umfassenden Informationen ein Rechtsmediziner bereits durch eine erste oberflächliche Untersuchung geben konnte. „Was ich ihnen aktuell dazu sagen kann ist Folgendes“, begann Dr. Bergmann. „Der Tote