5 glorreiche Western 3/2020 - Helden, Halunken, Halsabschneider: Sammelband mit 5 Wildwestromanen
Sie nicht Ihre bekannt guten Beziehungen spielen lassen, Señor?«, fragte Sarto Singal vorsichtig, denn so viel Verantwortung war ihm nicht ganz geheuer.
Auf der ansonsten glatten Stirn Gomez‘ bildeten sich ein paar steile Falten. Er lächelte trübsinnig.
»Um ein Netz zu spinnen braucht es Zeit«, antwortete er bedächtig. »Wer eine Falle aufstellen will, muss sie vorher bauen. Ich fürchte nur, dass uns dieser Bastard diese Zeit nicht lassen wird. Er zwingt mich, mit seinen Mitteln zu kämpfen – nämlich Gewalt einzusetzen. Dieser Comanche weiß haargenau, wo seine einzige Chance liegt. Immerhin gilt er in diesem Land noch als vogelfrei. Ein Mann darf ihn ungestraft abschießen, solange er vor dem Gesetz nicht rehabilitiert ist. Doch dazu bedürfte es einer Gerichtsverhandlung – zu der es gar nicht kommen darf. Saltillo wird über diesen Punkt ähnlich denken und auf dem schnellsten Weg die Behörden in El Paso zu erreichen versuchen. Zuvor fangen wir ihn ab.«
»Seine Vaqueros und die Frau, die er bei sich hat, gelten aber nicht als geächtet«, gab Singal zu bedenken.
Dr. Miguel Gomez blinzelte müde.
»Solltest du tatsächlich noch nichts von Notwehr gehört haben?«
19
Träge wälzte sich der Rio Bravo dahin. Auf den wenigen Sandbänken spazierten hochbeinige Vögel auf und ab und pickten im Flussgras herum.
Ciudad Juarez, die Schwesterstadt des texanischen El Paso, lag scheinbar verlassen vor dem Reiterpulk. Die Geschäfte entlang dem Weg in den trockenen Süden waren noch wegen der Siesta geschlossen.
Im violetten Schatten der Häuser dösten einige zerlumpte Gestalten mit Strohsombreros über den Gesichtern dem Abend entgegen.
Juarez, wie diese Stadt von ihren Bewohnern nur genannt wurde, erwachte erst am Abend zu seinem richtigen Leben. Auf diese Seite des Flusses hatte die hektische Betriebsamkeit El Pasos noch nicht übergegriffen. Tagsüber. Nachts kümmerte sich keiner um die – mosaischen Regeln. Raub und Überfälle gehörten zum Alltag. Wer auf der texanischen Seite Dreck am Stecken hatte, brauchte nur über die neuerbaute schmale Holzbrücke zu reiten und war vor der Verfolgung durch den Town-Marshal sicher.
Und so kam es, dass Ciudad Juarez seine traurige Berühmtheit als eine der wildesten und lasterhaftesten Städte des Südwestens erlangte.
Saltillo betrachtete die vertraute Umgebung. Auch wenn er nicht sehr oft hier zu tun hatte, so war dieses Land doch auch schon ein Stück Heimat für ihn. Bis zu den Grenzen seines Besitzes war es nur noch ein Tagesritt.
Doch zuerst musste er mit Sheriff Leif Thunder sprechen, der neben dem Town-Marshal und seinen Deputys die Polizeigewalt innehatte. Über den blonden, stiernackigen gebürtigen Schweden ließ sich alles regeln.
Gomez war etwas zu voreilig gewesen, als er sich den Besitz unter den Nagel riss. Die Transaktion war unter falschen Voraussetzungen erfolgt. Vor drei Wochen hatte Saltillo noch als flüchtiger Mörder und Mädchenhändler gegolten, und sein Besitz war damit über die texanische Regierung für ein Butterbrot an Gomez gegangen.
Doch jetzt war Saltillo wieder da!
Er und seine Begleiter lenkten die Pferde der abfallenden Straße hinab, die zum lehmigen Strom hinunterführte. In den zahllosen Kneipen herrschte noch kein Betrieb.
Sichernd spähte Saltillo nach allen Seiten. Sein Pferd wurde vor jeder der abzweigenden Gassen eine Spur langsamer. Und alle anderen beobachteten mit ihm. So war es vereinbart.
»Singal kann keinen großen Vorsprung rausgeholt haben«, meinte Tortilla-Buck neben Saltillo.
»Er wird zu Gomez geritten sein. Wenn er‘s nicht vorzog, für immer zu verschwinden. Wir haben keine Spur mehr von ihm entdeckt.«
»Wir haben auch nicht danach gesucht.«
»Ist auch wieder wahr.«
»Du glaubst nicht, dass Gomez freiwillig abrückt?«
»Das wird er ganz bestimmt nicht. Wenn das ganze Belastungsmaterial von Esteban Moreno erst mal auf dem Schreibtisch des Sheriffs liegt, ist Gomez hier in Texas erledigt, und das weiß er. Dann helfen ihm all seine Kontakte und die Schmiergelder nichts mehr. Freunde von früher werden ihn fallen lassen wie eine heiße Kartoffel.«
»Und was schließt du daraus?«, wollte Buck Mercer wissen.
»Dass er sich zur Wehr setzen wird. Er ist nicht der Mann, der freiwillig geht. Wir werden um die Hazienda kämpfen müssen.«
»So ähnlich hab ich mir das vorgestellt«, brummte der zottelige Riese und klopfte auf den klobigen Schaft seiner »Betsy«. »Es ist mir die letzten zwei Tage über ohnehin ein wenig langweilig geworden. Bewegung soll dagegen gut sein, hab ich mir sagen lassen.«
»Wir werden noch jede Menge davon haben.«
Der Reitertrupp erreichte die Ufersohle. Hier am Strom war es drückend schwül. Moskitos schwirrten aus, und Buck Mercer erschlug einige davon. Dann erreichten sie die Behelfsbrücke.
Ein paar Zöllner in Uniformen standen lustlos herum. Es reichte, ein paar belanglose Worte zu wechseln, und den Männern ein paar Münzen zuzuwerfen, um sie unangefochten passieren zu können. Die Planken dröhnten hohl unter den Hufen der Pferde.
Auch auf der texanischen Seite gab es keine Formalitäten. Die Steckbriefe mit Saltillos Namen und seinem Bild, die noch vor zwei Wochen an jeder Wand und an jedem Zaun hingen, waren verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.
In El Paso ging es lauter zu als drüben auf der mexikanischen Seite. Die Geschäfte hatten geöffnet, und aufdringliche Bettler säumten ihren Weg.
Tortilla-Buck vertrieb sie mit ein paar »handverlesenen« Flüchen, die selbst eine erntefrische Tomate noch zum Erröten gebracht hätten.
Das Zentrum von El Paso befand sich auf halber Höhe eines Hangs, der in sanftem Schwung zum Rio Bravo abfiel. Hier standen auch die Kathedrale, die besten Hotels, die Restaurants und Tanzhallen. Auch die zweigeschossige City Hall mit dem Bürgermeisteramt und dem Gerichtssitz befanden sich hier.
Gleich gegenüber, von der weiträumigen Plaza mit Blumenrabatten getrennt, erkannte Saltillo das Sheriff-Office. Zwei Pferde waren davor angeleint. Daneben und dahinter erhob sich der gemauerte Zellentrakt aus rostroten Ziegeln, die seltsam mit der Bemalung der übrigen Häuser kontrastierten. Sie waren ebenso wie die Sandsteinfassade der Kathedrale weiß gestrichen.
An den knorrigen bleichen Ästen der Steineiche, die mitten zwischen den Blumen auf dem verbrannten Rasen wuchs, hatte Saltillo noch vor drei Wochen durch eine von Gomez aufgestachelte Meute gelyncht werden sollen.
Leif Thunder trat vor die Tür, als die Reitergruppe vor dem Office mit dem überdachten Verandavorbau anhielt. Mit steifen Gliedern rutschte Saltillo aus dem Sattel, warf einem seiner Vaqueros lässig die Zügel zu, ehe er auf den Sheriff zuging.
Saltillo setzte ein leicht gequältes Lächeln auf. Trotzdem streckte er die Hand aus. Er trug dem Sheriff nicht nach, dass er ihn damals hatte festnehmen müssen. Die Beweislast gegen ihn war zu erdrückend gewesen.
Leif Thunder hatte nicht anders handeln können. Er war ein guter Mann.
Jetzt ergriff er Saltillos Hand und schüttelte sie kräftig nach der Art der Leute, die aus Europa eingewandert waren und die Unsitte einfach nicht ablegen konnten.
»Es freut mich, Sie gesund wieder zu sehen, Mister O'Hara.«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte Saltillo grinsend. »Ich vermisse meinen Steckbrief.«
»Die hab ich alle einsammeln lassen«, erklärte Leif Thunder. Er war ein stämmiger Mann mit vielen Sommersprossen im gutmütigen Gesicht, das einen Gegner leicht täuschen konnte. Wie immer standen die Haare über den Ohren widerborstig ab. Über den Rest hatte er einen schmal krempigen grauen Hut gestülpt.
»Wie