Kristian Ignatov

Kick-Off in Dein Wahres Leben


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dass es für die Erschaffung deines Wunschlebens sekundär ist, welche Vergangenheit du auf deinem Rücken trägst und mit welchen und wie vielen Höhen und Tiefen dein Rucksack befüllt ist.

       Du kannst immer wieder aufstehen und gerade aus Krisen und Dramen etwas wunderbares Neues und noch Schöneres zaubern. Krisen sind die Sprache des Lebens, deiner Seele. Das Leben spielt immer für dich, auch wenn unser eingeschränkter Verstand dies im Moment selten verstehen kann.

      Mir ist es wichtig, ganz klar festzuhalten, dass ich nichts aus meiner Vergangenheit verurteile oder ändern wollen würde. Ganz im Gegenteil: All meine Gaben und Geschenke resultieren aus meinen Erfahrungen und ich bin in absolutem Frieden mit mir, allen Umständen und Menschen.

       Ich bedanke mich an dieser Stelle aus tiefstem Herzen bei allen Frauen und Männern, die Teil meiner Lebensgeschichte waren und sind. Alles ist in Vollkommenheit passiert und gehört als Teil meines Weges zu meiner Bestimmung.

       Film ab …

      Als aufgeweckter und neugieriger Junge im Alter von sechs Jahren musste ich den radikalen Abschied aus einem behüteten familiären Umfeld in meiner Herkunftsheimat Bulgarien auf mich nehmen. In dieser Zeit des Kommunismus hatte eine freie Meinung enorme Konsequenzen. Also durften meine Eltern aufgrund ihrer politischen Überzeugung (sie weigerten sich, Kommunisten zu werden) ihre Arbeit als Lehrer nicht mehr ausüben.

      Nachdem die Leiter meines damaligen Kindergartens von der politischen Meinung meiner Eltern erfahren hatten, bekam ich den kompromisslosen Ausdruck des Staates am eigenen Leib zu spüren. Es war ein früher, schon dunkler Winterabend in meinem Kindergarten in Bulgarien. Es konnte also nicht mehr allzu lange dauern, bis mein Vater mich abholen würde. Als ich gerade an meinem Saft schlürfte, stürmten zwei der Kindergarten-Pädagoginnen in das Zimmer und trommelten alle Kinder zu einem Sesselkreis zusammen.

      »Wessen Eltern sind keine Kommunisten?«, schrie eine der Pädagoginnen. Diejenigen sollten aufzeigten.

      Ich zeigte als Einziger auf.

      Eine der Pädagoginnen sprang auf, packte meine Hand und zerrte mich, ohne mir Jacke oder irgendetwas anzuziehen, auf die dunkle Straße hinaus. Ich sehe die Pädagogin noch heute vor meinem geistigen Auge, wie sie sich zu mir herunterbeugt und mir überzeugend mit einer stechend scharfen Stimme sagt: »Deine Eltern werden dich nie mehr finden. Du bist ab jetzt hier draußen verloren und für immer allein!«

      Sie drehte sich um, ging und ließ mich alleine zurück.

      Seit diesem Zeitpunkt weiß ich, was es bedeutet, Angst zu haben. Todesangst. Das Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht. Angst kennt kein Mindestalter.

      Der dichte Winternebel trübte meinen Blick und ich hatte das Gefühl, mein Herz würde jeden Augenblick explodieren. In der kindlichen Hoffnung nach einem Wunder begann ich zu weinen. Nach einer gefühlten Ewigkeit geschah für mich ein Wunder. Ich traf meinen ersten Mentor. Eine alte, zahnlose Frau blieb stehen und fragte mich, was ich alleine da draußen auf der Straße machen würde.

      Diese alte Frau war der Grund, dass ich nicht das allerletzte bisschen Vertrauen in das Leben verlor. Sie versuchte, mich aufzumuntern. Das war für mich das bezauberndste, zahnlose Lächeln meines Lebens, und es erwärmte mein Herz.

      Nach einiger Zeit fand mich mein Vater.

      Mit dieser Handlung von emotionaler Gewalt war die Schmerzgrenze meiner Eltern endgültig erreicht. Das war der Schlüsselpunkt, der meinen Vater schlagartig zum Entschluss brachte, dieses Land zu verlassen, um seiner Familie Meinungs- und Handlungsfreiheit zu ermöglichen. Eine freie Meinung haben zu dürfen, freies Denken und Handeln. In Bulgarien war dies leider nicht mehr möglich. Deshalb verließ er am nächsten Tag das Land und floh nach Österreich.

      Trotz des enormen Drucks aus dem familiären Umfeld, fahrlässig zu handeln, flohen meine Mutter und ich sechs Monate später zu meinem Vater. Wir fuhren in der Kriegszeit mit einem Zug, der mitten in der Nacht bombardiert wurde, durch das ehemalige Jugoslawien.

      Nach einer Nacht, ähnlich wie in einem amerikanischen Action-Thriller (das erklärt meine damalige Vorliebe zu solchen Filmen), kamen wir heil nach Budapest, wo mein Vater auf uns wartete. Die Einreise direkt nach Österreich war zu dieser Zeit politisch nicht möglich. Also flohen wir mit ihm gemeinsam von Budapest durch einen Wald mit Restminen und scharfen Grenzkontrollen in Richtung österreichischer Grenze. Alles verlief weitaus komplizierter, als erwartet, da wir uns verliefen.

      Es war stockdunkel und so leise, dass ich meine eigenen Herzschläge hören konnte, als säßen sie in meinen Ohren. Ich zitterte und mein Vater sagte: »Pssst, wenn du leise bist, werden uns die Grenzkontrollen nicht hören.«

      Darauf antwortete ich: »Nein, Papa, ich habe keine Angst vor den Grenzkontrollen. Ich habe Angst von dem Waldbären, dass er uns frisst!«

      In Bulgarien gab es zu der Zeit sehr viele Bären und der Bär spielte bei mir eine große Rolle. In sehr vielen Kindermärchen kam der Bär als Figur vor, der nicht brave Kinder auffrisst.

      Meine Mutter und ich versteckten uns in einem hohen Maisfeld, während mein Vater versuchte, die Route aufzuspüren. Die Taschenlampen der Grenzkontrollen wanderten durch das Gestrüpp an unseren Köpfen vorbei. Meine Mutter hielt mich ganz fest, um nicht aufzufallen. Denn ich konnte nicht aufhören zu zittern – aus Angst.

      Nach unzähligen Hindernissen schafften wir es unverletzt nach Österreich. Wir verbrachten einige Tage im Flüchtlingslager und kamen anschließend in eine kleine Dorfgemeinde.

      Meine Eltern, eigentlich Akademiker, fingen in Österreich komplett von Null an, mein Vater als Fliesenleger und meine Mutter als Näherin.

      Für mich begann sich der kindliche Glaube zu manifestierten, ich sei weniger wert als die einheimischen Kinder. Ich fühlte mich fremd und ausgeschlossen. Denn die Mitschüler in der Schule waren brutal ehrlich und scheuten nicht davor zurück, mir meinen Minderwert immer wieder zu bestätigen, bis sich eine Überzeugung daraus bildete.

      Nach zwei Jahren wurde mein Leben in seinen Grundfesten erschüttert. Mein Vater erkrankte an Krebs und verstarb mit nur dreiunddreißig Jahren. Das war der für mich unverständlichste und schrecklichste Abschied. Der Verlust des männlichen, stärksten Familienmitgliedes, und das in einem für mich noch fremden Land, ohne familiären Rückhalt.

      Ich versuchte, meinen Vater mit einem aus einem Kassetten-Walkman selbstgebauten Spielzeug-Arzt-Set zu heilen und fühlte mich ohnmächtig und schuldig, als ich dabei versagte. Nachdem ich miterlebte, wie er vor allen schaulustigen Nachbarn im Sarg aus dem Wohnhaus herausgetragen wurde, entstanden in mir ein Gefühl der Kleinheit, Minderwertigkeit und die Illusion, alle anderen seien und hätten es besser als ich. Spätestens hier muss sich wohl mein Wesen eines Kämpfers gebildet haben. »Ich zeig es euch allen!«, das war mein Gedanke.

      Schnell lief ich in die Wohnung zurück, um meinen braunen Plüschhund zu holen. Diesen legte ich meinem Vater in den Sarg. Wir hatten oft gemeinsam mit diesem Hund gekuschelt und er sollte meinen Vater ab diesen Zeitpunkt beschützen, damit er nicht allein war.

      Ich erinnere mich noch ganz klar an den Moment, in dem mein Papa in das Auto verladen wurde und meine Mutter und ich ihm hinterherschauten, als das Auto losfuhr. Das war ein überflutendes Gefühl der Ohnmacht. Ich hatte Todesangst, fühlte mich verloren und verstand die Welt nicht. Wieso fuhren diese fremden Männer meinen starken Papa in dieser engen Kiste mit einem Auto weg?

      In den darauffolgenden Monaten und Jahren prägten mich alle Verlust- und Existenzängste – es waren die meiner Mutter, einer alleinerziehenden Frau in einem noch fremden Land, einer Frau, die ihre große Liebe, ihren besten Freund und ihren Halt verloren hatte. Mich überrollten tiefste Ängste und Trauer, die ich nicht verarbeiten konnte. Stattdessen unterdrückte ich sie, wie es jedes Kind macht. Mein Vertrauen in das Leben war damit endgültig gebrochen.

      Durch die Verlustangst meiner Mutter entwickelte ich mich zum Hypochonder, indem ich alle Spitäler in kürzester Zeit und in regelmäßigen Intervallen kennenlernte. So verlor ich obendrein jegliches Vertrauen in meine Gesundheit und meinen