hervorheben. Die Gäste waren geblieben. Nur Bertram musste zu seinem Klinikdienst.
Dass Gunthers Tochter und sein Enkel geblieben waren, hatte er ihnen hoch angerechnet, denn das Verhältnis zwischen ihnen und Almuth war durch eine törichte Schuldzuweisung, die fast 30 Jahre zurück lag, erheblich gestört. Schwiegersohn Gunnar hatte sich aus dem ärgerlichen Zwist immer herausgehalten.
Gunther hatte den nur sehr lockeren Zusammenhalt der Familie stets bedauert. Es war ihm aber nicht gelungen, dies mit Appellen zu ändern. Es war wohl ein mütterliches Gen der Kinder, die das in allen Ländern und Kulturen der Welt enge und übliche Zusammengehörigkeitsgefühl und die Freude am Zusammensein nicht hatten aufkommen lassen. Auch Gunthers Bruder hatte dies stets bedauert.
Beide konnten sich hier auf ihrem Vater berufen, dem der Familienzusammenhalt und das gemeinsame Treffen eine tief verwurzelte Herzensangelegenheit war. So sind viele der Begegnungen mit dem Leben, viele Höhepunkte und persönliche Jubiläen ohne die Gemeinschaft der Familie vorübergegangen.
Burg Hohenfelden schien dies ändern zu wollen. Oder war es doch nur die Neugier? Die Neugier auf den See mit seiner gehobenen Gastronomie rings um, die Segeltouren auf seiner großen Wasserfläche und das Sonnenbaden an seinen feinsandigen Stränden?
Es gab Sonntage, da konnte Gunther mit dem Fernglas mehr als tausend Erholungssuchende in den Strandbädern ausmachen, auf den Wasserrutschen und auf den Tretbooten im See. Aber das störte die Ruhe auf Hohenfelden nicht.
Der See mit seinen 40 km2 war groß genug, den Besuchern ihren Spaß und ihre Erholung und dem Schloss mit seinen umgebenden Wäldern Ruhe und Stille eines einmaligen Areals zu geben.
Natürlich gab es auch Tage, da wagten sich Unbefugte den kleinen schlosseigenen Hafen an der südlichen Burgmauer anzusteuern. Aber die Schilder, die Albrecht weit im See aufgestellt hatte, wurden in Mehrheit respektiert.
Nun, Ende September, hatte der Andrang in den Bädern ringsum nachgelassen. Die Strände waren verwaist und nur die Marina am jenseitigen Ufer hatte noch Saison.
Die Gäste im Haus hatten den Tag genutzt, auf dem verschlungenen Seerundweg einen Spaziergang zu machen und sich danach, in dem aufkommenden Abendwind, auf der Terrasse aufzuhalten. Es gab wieder ein Bankett im Festsaal und diesmal zeigte sich Gräfin Mathilde sehr aufgeschlossen und ohne Trauer.
Und noch einmal drei Wochen später konnten sie Gräfin Mathildes 90. Geburtstag begehen. Hanna war der Gräfin wieder behilflich, ihr Festkleid anzulegen und ihre Haare zu einer würdevollen Frisur zu richten.
Sie hatte gebeten, kein Dinner im Festsaal zu geben. Sie aß allein in ihrer Suite, was Hanna ihr zubereitete. Im Festsaal wollte sie nicht feiern.
Sie lud aber die ‚Familie‘, zu der sie Gunther und Almuth neben Hanna, Albrecht und Anne rechnete, zum Tee. Als einzigen Gast zudem, ihren vertrauten Hausarzt Dr. Haussmann.
Albrecht hatte ihren Esstisch im Wohnzimmer um einen Beistelltisch erweitert, um allen sieben Personen genügend Platz und Beinfreiheit zu verschaffen. Dr. Haussmann überreichte ihr als Geschenk eine große Flasche eines selbst gebrauten Sherrys, der mehr ein Kräuterlikör war, mit der Aufschrift: "Vinum ad longam vitae - 2 mal täglich ". Das hat viel Heiterkeit bewirkt und die Gräfin ließ sich demonstrativ von ihm eine erste Probe einschenken.
Gunther gratulierte mit ihren Lieblingsblumen, die Hanna ihm verraten hatte. Er war sich nicht sicher, wo er irgendwo und -wie ihre noch nicht überwundene Vergangenheit berühren könnte.
Albrecht war schon am frühen Morgen, als die Gräfin noch schlief, auf ihrer Terrasse im Gange, um dort ein aufgebautes ‚Etwas‘ mit einem großen farbigen Tuch abzudecken.
Als alle Gäste ihre Geschenke überreicht hatten, trat er auf die Terrasse und zog das Tuch von dem darunter verborgenen ‚Etwas‘. Es war ein 1 mal 1 m großes Modell des Schlosses, an dem er monatelang gearbeitet hatte.
Die Gräfin war zu Tränen gerührt, hieß das doch, dass alle an diesem Tisch ihr Respekt und ehrliche Zuneigung entgegenbrachten.
Kinder und Verwandte haben eine merkwürdige Eigenschaft: Je reicher sie werden, desto entfernter werden sie.
Robert Rocca
Wenn alle Bande sich auflösen, wird man zu den familiären zurückgewiesen.
25.12.1806 Goethe, an Karl August,
( Das Wort ‚Familienbande‘ hat einen Beigeschmack von Wahrheit. )
Karl Kraus
Kap 14
Zwei Tage später, einen Tag hatte sie wohl zu ihrer Erholung benötigt, bat sie Gunther über Hanna zu ihrem 5-Uhr Tee.
Sie hatte sich wieder zurechtmachen lassen und wirkte auf Gunther wie ein Grande Dame aus dem Bilderbuch. Sie kam direkt und ohne Umschweife auf ihr Anliegen zu sprechen. „Ich habe ihre Familie kennen gelernt und bin von ihren Kindern sehr angetan; von den Persönlichkeiten und dem menschlichen und intellektuellen Potenzial.“
Sie machte eine kleine Pause und fuhr fort: „Seit unserer ersten Begegnung im Mai, als Sie mir das großzügige Angebot machten, hier als Gast auf Dauer wohnen bleiben zu dürfen, beschäftige ich mich mit dem Gedanken, Ihnen zu dem Schloss auch meinen Namen zu übertragen, das heißt, ich biete Ihnen an, Sie adoptieren zu dürfen. Die Reichsgrafen von Grainau gehen in direkter Agnaten-Linie auf das 11. Jahrhundert zurück, und unser Urahn hat schon mit Kaiser Barbarossa am zweiten Kreuzzug und unter Heinrich VI. am dritten Kreuzzug nach Jerusalem teilgenommen. Die Solms sind später dazugekommen. Ohne eine Adoption würde jetzt der alte Name aussterben. Mit ihrem Einverständnis hätte er eine Zukunft.“ Sie hatte sehr couragiert gesprochen, jetzt bebte ihre Stimme ein wenig. Ein Zeichen ihrer Angespanntheit und der Bedeutung, die sie diesem Gespräch beimaß.
Gunther war überrascht, aber er verstand ihr Anliegen.
„Ich bin im Grunde bereit Ihr Angebot anzunehmen", sagte er nach kurzem Überlegen. „Meine Kinder muss ich nicht fragen, es betrifft wohl mehr meine Enkel, als die Kinder", fuhr er fort und ließ den Tee kalt werden, den die Gräfin zuvor eingeschenkt hatte. „Leider haben wir nur einen leiblichen Enkel und eine angenommene Enkelin, die die Last und die Verantwortung tragen müssten, aber ich habe da eine Idee, von der ich aber noch nicht weiß, wie und ob ich sie umsetze", sagte er weiter, ohne zu ahnen, wie verschworen und intim das Gespräch sich jetzt zwischen ihnen entwickeln würde.
„Diese Idee würde mich sehr interessieren, da sie meinen Namen betrifft", sagte Gräfin Mathilde. „Aber ehe Sie antworten, möchte ich konsequent sein, und obwohl die juristischen und standesamtlichen Formalitäten noch nicht erledigt sind, sie bitten, mich Tante Mathilde zu nennen.“ „Ich mag das nackte Du nicht“, setzte sie hinzu. „Seit ich erwachsen bin, haben mich nur meine Eltern, eine Jugendfreundin und die Familie meines Sohnes mit ‚Du ‘ angeredet. Ich bin halt ein wenig altmodisch. Da uns nur wenige Jahre am Alter trennen, ist ein Mutter-Sohn-Verhältnis abwegig, aber ‚Tante‘ wäre mir lieb, vor allem im Verhältnis zu den Kindern."
„Einverstanden, Tante Mathilde", lächelte Gunther und nahm ihre Hand. „ Mir ist es egal und ‚Tante‘ drückt wohl am besten den großen Respekt aus, den ich für dich empfinde.“
„Mit diesem ersten ‚Du‘ war das letzte Eis gebrochen, und beide empfanden das so. „ Aber nun erzähle mir bitte, was du für eine Idee hast, was die Last des Namens anlangt", blieb sie - wie alle Frauen - unbeirrt am Thema.
„Ich überlege, eventuell einmal Anna-Maria zu adoptieren, wie du es jetzt mit mir vorhast", sagte Gunther zu ihr. „ Sie ist klug, von gutem Wesen und jung genug, viele Kinder, vor allem auch Söhne, zu bekommen, und das wäre gut für das Haus und jetzt, wie es aussieht, auch für deinen Namen.“
Mathilde sah Gunther prüfend an und sagte, „was den Namen anlangt, habe auch ich früher schon an sie gedacht. Aber meine Familie war nie arm gewesen und der Name einer Reichsgräfin mit nur einem kleinbürgerlichen Einkommen, das hätte nicht recht zusammen gepasst. Aber mit einem späteren Mitbesitz an diesem Haus und