Polizei gehen."
Er lachte. Fast wie irre. Und dabei fasste er sich an den Kopf und schüttelte ihn einmal kräftig. Ich hoffte nur, dass dadurch nicht der letzte Rest Ordnung in seinem Oberstübchen verloren ging.
Ich sagte: "Ich meine es ernst. Es ist besser, du gehst jetzt zur Polizei und nicht erst, nachdem du vielleicht einen Oberbürgermeister umgebracht oder auch nur auf ihn geschossen hast. Und sei es auch nur mit dem Ding da!"
"Halt's Maul!"
"Dann kannst du erzählen, was du willst, man wird ganz andere Motive vermuten als Notwehr oder etwas Ähnliches. Ich kann dir ein Lied davon singen."
"Du?"
"Ja. Die Polizei denkt nämlich, dass ich die Friedrichs umgebracht habe!"
Er nickte langsam. Man konnte ihm richtig ansehen, wie sein Verstand zu arbeiten begann. Langsam, aber gewaltig.
"Jetzt verstehe ich, warum du wirklich hier bist!", murmelte er. "Du willst jemanden, der für dich als Mörder der schönen Friedrichs herhält!"
"Wenn du sie wirklich nicht umgebracht hast, hast du in dieser Hinsicht doch nichts zu befürchten!", gab ich ihm zu bedenken. "Und den Mord an Jürgen Lammers kann dir wahrscheinlich niemand mehr nachweisen."
"Das war Leschek, der verdammte Idiot", meinte Grossmann. "Wir waren bei ihm, haben die Wanne volllaufen lassen und ihn dann ein bisschen untergetaucht. Und dann hat es ein kleines Handgemenge gegeben. Lammers wollte türmen, und Leschek ist ein wenig grob geworden."
Ja, dachte ich. So konnte es gewesen sein. Zuerst hatten sie für Dr. Werneck Licht in das Erpresserdunkel gebracht und ermittelt, wer hinter der Sache steckte und wo das Erpresserpaar zu finden war. Aber je mehr Leschek und Grossmann in der Angelegenheit herumgewühlt hatten, desto mehr hatte sich ihnen wohl der Gedanke aufgedrängt, das Geschäft doch selbst zu machen. Sie hatten Lammers unter Druck gesetzt, vermutlich um an irgendwelches belastendes Material heranzukommen, das sie bei ihm vermuteten. Und dabei war es passiert. Dann war Annette an den Tatort gekommen, hatte ihren toten Komplizen im Bad entdeckt und den Föhn hineinbefördert. Vermutlich unabsichtlich. Vielleicht aber auch, um die Spur zu sich selbst zu verwischen, denn bei einem Selbstmord sucht man die Gründe nicht so leicht bei Außenstehenden. Die Zeit drängte jetzt.
"Werneck kann dich nicht am Leben lassen", stellte ich fest. "Aber wenn du ihm zuvorkommst, wird dir niemand glauben, dass er dich umbringen wollte. Erzähl der Polizei mal, dass ein Oberbürgermeister ein Motiv haben könnte, jemanden wie dich abzumurksen! Umgekehrt glaubt man das sofort."
Er überlegte eine Weile. Dann meinte er: "Klingt irgendwie logisch."
"Es ist deine Wahl. Aber Werneck wird kommen, und wenn du dich mit ihm auf deine Art anlegst, bist du in jedem Fall der Verlierer. Selbst wenn du ihm mit deinen Pranken das Genick brichst."
Ich hatte ihn fast dort, wo ich ihn haben wollte. Das spürte ich ganz deutlich.
Aber in diesem Moment klingelte es an der Tür.
37
"Sie haben wirklich großes Glück gehabt", meinte Rehfeld, nachdem er meine Aussage zu Protokoll genommen und ich unterschrieben hatte. "Mein Kollege Lehmann, der die Aufgabe hatte, Sie zu observieren, hat vor Grossmanns Haus im Wagen gesessen und dann Werneck kommen sehen. Er hat beobachtet, wie unser OB einen Schalldämpfer auf seine Pistole geschraubt hat."
Ein Schalldämpfer. Deshalb war es wohl auch niemandem aufgefallen, dass Marco Leschek erschossen worden war.
"Und da hat Lehmann also zugeschlagen, ehe unser ehrenwerter Dr. Werneck damit Unfug anstellen konnte!", ergänzte ich.
Rehfeld nickte. "So ist es. Er hatte es zwar auf Grossmann abgesehen, aber ich glaube nicht, dass er Sie verschont hätte."
"Nein, das glaube ich auch nicht."
Rehfeld atmete tief durch. "Sie haben sicher auch schon die Zeitung gelesen, was?"
"Sicher."
"Ein Fressen für die Geier, kann ich da nur sagen! Der Saubermann ein Mörder!"
"Solche Geschichten mögen die Leute", meinte ich dazu. "Sie zeigen ihnen, dass auch die strahlendsten Sterne am VIP-Himmel ihre Flecken haben!"
Rehfeld zuckte die Achseln. "Na, Sie müssen es ja wissen. Das ist schließlich Ihr Niveau."
Diese Spitze überhörte ich geflissentlich. Stattdessen fragte ich: "Wissen Sie inzwischen auch, womit Werneck erpresst wurde?"
Rehfeld nickte. "Ja", sagte er. "Mit ein paar Microkassetten, wie man sie in Diktiergeräten benutzt. Die Friedrichs hatte sie so geschickt in das dicke Futter der Handtasche eingenäht, dass der Erkennungsdienst sie erst übersehen hat."
Das Verschwinden der Bänder war Leschek − und um ein Haar auch Grossmann − zum Verhängnis geworden. Die beiden hätten die Bänder beim besten Willen nicht auftreiben können, nachdem die Handtasche bei der Polizei gelandet war. Und Werneck hatte die Situation so interpretiert, dass die beiden ihn hereinlegen wollten.
Es war zufällig die Wahrheit.
Nach einer Pause fragte ich: "Und was war auf den Bändern?"
Rehfeld beugte sich vor. "Wernecks Sohn machte in der Westfälischen Landesklinik vor einiger Zeit eine Entziehungskur. Er war drogensüchtig. Und natürlich nahm er auch an einer begleitenden Psychotherapie teil. Diese Therapiesitzungen wurden auf Bändern festgehalten, um sie später für Forschungsarbeiten auswerten zu können."
Ich pfiff durch die Zähne. Die letzten Teile des Puzzles setzten sich jetzt zusammen. "Und wie kam die Verbindung zu Annette Friedrichs und Jürgen Lammers zustande?", fragte ich. "Annette war da vielleicht Patientin, aber ..."
"Lammers war dort Krankenpfleger."
"Und ich hätte geschworen, dass er keine Arbeit hatte!"
"Hatte er zuletzt auch nicht, weil man ihn wegen seiner eigenen Alkoholabhängigkeit rausgesetzt hatte. Ein Trinker kann schlecht andere Trinker trockenlegen, das klappt einfach nicht."
"Logisch."
"Aber solange er dort arbeitete, konnte Lammers an einen Generalschlüssel gelangen und hatte sich offenbar darauf spezialisiert, die bei den Therapiesitzungen entstandenen Bänder abzuhören, um sie für Erpressungen zu nutzen. Annette Friedrichs war tatsächlich als Patientin dort. Ich nehme an, dass sie Lammers auf die Schliche kam und er mit ihr halbe-halbe machen musste."
"So könnte dieses Traumpaar zusammengekommen sein", gab ich zu. "Und was war auf diesen Bändern an brisantem Material?"
Rehfeld hob die Augenbrauen und faltete die Hände. Die Daumen drehten sich ein wenig umeinander, bevor er weitersprach. "Dr. Werneck hatte offenbar vor Jahren einen Unfall, bei dem er Fahrerflucht beging. Es gab zwei Tote: eine Mutter und ihr zweijähriges Kind ... Ich habe mir die Akten kommen lassen. Die Sachverständigen waren damals der Ansicht, dass zumindest das Kind hätte gerettet werden können, wenn Dr. Werneck angehalten und geholfen hätte."
"Damit wurde unser aller Oberbürgermeister also erpresst!"
"Ja."
Ich nickte leicht. "Wenn das an die Öffentlichkeit gelangt wäre, hätte er sicher kaum noch Chancen gehabt, an seiner politischen Karriere zu basteln."
Rehfeld lachte heiser. Wie ein Saloonkeeper, der mindestens ebensoviel trinkt, wie er ausschenkt. "Seine eigene Partei hätte ihn nicht einmal mehr als Kassierer genommen!", meinte er.
"Und Hartmut wusste von der Fahrerflucht und hat davon seinem Therapeuten erzählt?", hakte ich nach. Ein bisschen mehr wollte ich noch wissen.
Rehfeld kratzte sich am Doppelkinn und lockerte dann ein wenig den dicken Windsorknoten seiner Krawatte. "Fast", sagte er gedehnt und genoss es sichtlich, mich ein wenig auf die Folter zu spannen.
"Sie wollen