A. F. Morland

Das Krimi All Star Jahrbuch 2020: 7 Romane


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      "Unten am Briefkasten steht aber Grossmann", bohrte ich nach.

      Die Frau zuckte die Achseln. "Kann schon sein", sagte sie. "Ich bin erst seit einem halben Jahr hier."

      "... und haben immer noch nicht das Schild umgetauscht?", hakte ich nach.

      Sie verzog das Gesicht. "Na und? Was geht Sie das an?"

      "Ist ja nur 'ne Frage."

      Sie fuhr sich mit der Hand durch das müde Gesicht. Entweder hatte sie eine außergewöhnlich wilde Nacht hinter sich, oder sie war mit irgendwelchen Pillen vollgedröhnt. Was auch immer. Ich hoffte nur, dass sie nicht einschlief oder zusammenklappte, bevor ich etwas über Mike Grossmann erfahren hatte.

      Sie zog den Schleim in ihrer Nase hörbar hoch und meinte dann: "Was glauben Sie, was der Postbote mir schon in den Kasten stecken könnte? Die Nachricht von einem fetten Lottogewinn vielleicht?" Sie lachte heiser und sehr vulgär. Dann schüttelte sie den Kopf und setzte hinzu: "Höchstens Rechnungen."

      "Haben Sie eine Ahnung, wo Ihr Vormieter hingezogen ist?"

      "Nein. Er war auch nicht mein Vormieter. Wir haben hier zusammen gewohnt."

      Naja, dachte ich. Im passenden Alter war die Frau ja wohl. Allerdings merkte man das nur, wenn man länger und sehr genau hinsah. Ich fragte: "Und jetzt?"

      Sie hob die Schultern. "Na, er wohnt halt nicht mehr hier."

      "Wo dann?"

      "Was weiß ich!"

      "Sie sind vor einem halben Jahr hier eingezogen. Aber Grossmann wohnte hier schon länger ..."

      "Ja, ich bin zu ihm gezogen, und dann haben wir irgendwann Streit gekriegt, und er hat sich verdünnisiert."

      "Wär's nicht logischer gewesen, wenn Sie ausgezogen wären? Es war doch Grossmanns Wohnung."

      Jetzt atmete sie tief durch − und zwar auf eine Art und Weise, die mir sagte, dass ich vorsichtig sein musste, wenn ich von ihr noch etwas erfahren wollte.

      "Was soll das?", fragte sie. "Ist doch meine Privatsache, oder? Was geht Sie das überhaupt an? Sie kommen hier einfach her und ..."

      Ich unterbrach sie. "Es geht um einen Mordfall", sagte ich mit einem Tonfall, der ernst und bedeutungsvoll klingen sollte.

      Ich hatte offenbar den richtigen Ton getroffen, wenn man nach ihrem langen Gesicht urteilte. "Ach so", meinte sie, und darin schwang so etwas wie Ergriffenheit mit. "Ein Bulle! Hat er was angestellt, der blöde Hund?"

      "Er ist nur Zeuge."

      "Bei einem Mord?"

      "Datenschutz, gute Frau. Ich darf nichts dazu sagen. Alles vertraulich ..."

      Sie zuckte die Achseln. "Verstehe ..." meinte sie bedauernd.

      Auf einmal schien sie ihre ganze Tranigkeit abgeschüttelt zu haben. Von einem Augenblick zum anderen.

      Um diese Fähigkeit war sie wirklich zu beneiden. Ich hatte leider auch nach jahrelangen Versuchen keinen Weg zu einer auch nur annähernd ebenso großen Vollkommenheit auf diesem Gebiet gefunden.

      "Wollen Sie hereinkommen?", fragte sie. "Ist zwar nicht aufgeräumt, aber ich wusste ja auch nicht, dass ich Besuch kriege."

      "Gerne."

      Sie führte mich in ein Wohnzimmer, in dem überall Wäscheteile herumlagen. Dem Geruch nach ungewaschen. Freundlicherweise räumte sie mir einen Sessel frei. Im Fernsehen kreischten indessen die Trickfilm-Superhelden. Der edle Captain Planet brachte gerade ein paar fiese Umweltverschmutzer zur Strecke.

      Ich setzte mich.

      "Ich würde Ihnen sofort sagen, wo sich Mike aufhält", gab sie dann zum Besten, wobei sie sich mit nervösen Fingern eine Zigarette in den Mund steckte. "Ich hab' nämlich noch immer eine Stinkwut auf den Kerl."

      "Und warum?"

      "Weil er mir noch fünfhundert Euro schuldet und ich die wohl nie wiedersehen werde! Und weil er ein Scheißkerl ist."

      "Ich verstehe ..."

      Indessen gab sie die Suche nach einem Feuerzeug erst einmal auf. "Haben Sie Feuer?"

      "Nein."

      "Nichtraucher, was?"

      "Ja."

      "Ist ja auch gesünder."

      "Ist Mike vielleicht zu einer anderen Frau gezogen?"

      Sie sah mich an wie ein leibhaftiges Gespenst. "Woher wissen Sie das?"

      "Geraten."

      Sie nickte. "Ja, könnte sein. Er hat mir nichts darüber gesagt. Es knatschte schon länger zwischen uns. Er hat die Nächte nicht mehr hier verbracht und ..." Sie brach ab und fand schließlich doch noch etwas, womit sie ihre Zigarette zum Glimmen bringen konnte. Nach ein paar kräftigen Zügen fuhr sie fort: "Eines Tages kam er dann, um seine Sachen abzuholen. Und in seinem Wagen saß eine Frau, die ein paar Klassen über seinem Niveau zu sein schien. Eine echte Dame. Sah aus wie jemand mit Geld."

      Ich gab ihr eine Kurzbeschreibung von Annette Friedrichs. Aber sie sprang nicht darauf an. "Sie war rothaarig", sagte sie mir. Damit schied Annette aus. Ich dachte an Hartmut Wernecks Ex-Ex-Freundin. Aber es gab viele Rote. Echte und falsche.

      Ich erhob mich. "Sie haben mir sehr geholfen."

      Sie grinste und gönnte mir einen Blick auf ihre gelben Raucherzähne. "So was hört man gerne!", meinte sie.

      "Nicht wahr?", murmelte ich mechanisch. Meine Gedanken waren schon längst woanders.

      Sie fragte: "Gibt's 'ne Belohnung?"

      "Was?"

      "Für sachdienliche Hinweise."

      "Ich glaube nicht."

      "Schade. Hätte ja sein können."

      33

      Als ich wieder hinter dem Steuer meines Fiat saß und den Wetterbericht im Radio hörte, fragte ich mich, welche Karte ich in diesem Spiel wohl noch ausspielen könne, wollte ich endlich einen Schritt weiterkommen.

      Ich konnte schließlich nicht darauf vertrauen, dass mir Grossmann und sein Spießgeselle nochmals über den Weg laufen würden. Gut möglich, dass sie eingesehen hatten, bei mir an der falschen Adresse zu sein.

      Und dann fiel mir die Nummer des schwarzen Mitsubishi ein, die ich mir gemerkt hatte.

      Ich fuhr zur nächsten Telefonzelle, aber die war kaputt. Ein paar Irre hatten sich einen Spaß daraus gemacht, alles zu zertrümmern.

      Die nächste Zelle fand ich erst mehrere Kilometer stadteinwärts, aber ich fuhr daran vorbei. Es war vielleicht besser, die Sache persönlich anzugehen. Mein Weg führte mich zum Straßenverkehrsamt, wo ich eine halbe Stunde von Zimmer zu Zimmer geschickt wurde, bis ich schließlich einem blassgesichtigen Mann mit dicker Brille und dünnem Haar gegenübersaß.

      Die Brille war so schwer und seine Nase so steil und rutschig, dass Erstere im Abstand von weniger als einer Minute immer ein Stückchen nach unten rutschte, woraufhin sie stets mit einer energischen Bewegung zurückbefördert wurde. Vom dauernden Hin- und Herrutschen hatte der Mann schon eine ganz rote Nasenwurzel.

      "Sie wollen also erfahren, wer der Halter eines schwarzen Mitsubishi ist, der dieses Kennzeichen hat", wiederholte er zusammenfassend das, was ich ihm zuvor gesagt hatte.

      Ich nickte, erleichtert darüber, dass er es offenbar begriffen hatte. "Ja, genau."

      "So einfach ist das aber nicht, mein Herr!"

      "Aber wozu sind Nummernschilder denn sonst da, außer um den Halter eines Fahrzeugs damit identifizieren zu können?", gab ich zurück.

      "Das ist schon richtig, aber