A. F. Morland

Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten


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könnten Sie anfangen. Herr Korn?“

      „Wenn Sie wollen, morgen Abend.“

      „Prima. Morgen um siebzehn Uhr hier auf dem Betriebshof? Am besten in einem feste Blaumann und rutschfesten Arbeitsschuhen, und wenn Sie zufällig etwas Pflaster und Verbandszeug neben Seife und einem Handtuch mitbringen könnten, wäre das sehr hilfreich. Ach so, jetzt brauche ich von Ihnen noch Anschrift und Telefon, falls Sie haben.“

      Peko hielt Walberg inzwischen für ein selbstverliebtes Arschloch, musste aber einräumen, dass er sich ernsthaft für die Tafel einsetzte und wahrscheinlich sogar ein guter Organisator war.

      Fabian Lausen hatte ihm eine winzige Zweiraumwohnung in der Bertoldstraße 25 besorgt, in der sich Peko wie in seiner Lensener Zelle eingesperrt fühlte. Aber sie war so klein, dass kein fieser Mitarbeiter der „Agentur für Arbeit“ ihn auffordern konnte, in eine noch kleinere und noch billigere Wohnung umzuziehen, die gab es nicht. Um keinen Ärger zu bekommen, hatte Peko darauf verzichtete, Hartz-Vier zu beantragen. Sein Bewährungshelfer hatte ihm schon den richtige Rat erteilt; diese langen Tage in dieser Puppenstube für Zwerge waren auf Dauer stinklangweilig und wenn sein Magen bei Bier und harten Sachen mitspielen würde, hätte Peko sicher schon oft zur Flasche gegriffen – leisten konnte er es sich ja.

      Nach seiner Verurteilung hatte er von einem Tag auf den anderen keine Freunde mehr und einige Bekannte von früher grüßen ihn nicht einmal mehr, wenn sie sich auf der Straße begegneten; seine Freundin hatte ihm in den Knast geschrieben, sie möchte ihn nie wiedersehen und ziehe zu einem altem Klassenkameraden nach Spanien.

      Peko freute sich darauf, durch die Tafel wieder unter Menschen zu kommen und ohne Geldsorgen was Vernünftiges zu tun. In der Haft hatte er abgenommen, Arbeitsschuhe und Blaumann passten noch, und das metallene Verbandskästchen hatte er aus seiner alten Werkzeugtasche gerettet und nach der Haft neu aufgefüllt. Das Haltbarkeitsdatum der Desinfektionssalbe war noch nicht einmal überschritten.

      Am nächsten Tag fand er sich pünktlich auf dem Betriebshof der Spedition Walberg ein. Vier Männer erwarteten ihn schon, einer stellte sich als Onko vor und bestimmte, dass Peko heute zuerst mit zwei Teta-Mitarbeitern per Autobus zum Bühler Markt in den Supermarkt Cornelius Ritter (Cori) fahren sollte. „Wir müssen dich erst vorstellen, Ritter ist einer der größten Spender, möchte aber natürlich wissen, wer sich in seinem Geschäft und in seinem Lager herumtreibt.“

      „Völlig klar.“

      Cornelius Ritter (Cori) war ein riesiger Supermarkt im Zentrum des Stadtteils Bühl und besaß einen ungewöhnlich großen Parkplatz hinter dem Ladengeschäft, den auch die Kunden der direkt neben Cori liegenden Filiale Bühler Markt der Leininger Handelsbank (LHB) benutzen konnten. Die Kunden-Eingänge von Bank und Supermarkt führten auf die Bühler Marktstraße, was auch den Teta-Leuten das Leben erleichterte, weil sie hier in aller Ruhe auf der Rückseite des Supermarktes einladen konnten und nicht auf einer belebten Straße in der zweiten Reihe parken mussten, weil die Ladezonen meistens mit Dauerparkern zugestellt waren. Bei Cori begrüßte der recht junge Filialleiter Peko und stellte ihn den anderen Mitarbeitern vor, die schon angefangen hatten, zusammenzuräumen, was die Teta-Leute mitnehmen sollten. Es waren aber noch viele Kisten und Kästen und Kartons nach hinten an die Rampe zu schleppen und eine Viertelstunde später in den weißen Sprinter einzuräumen, mit dem Peko und seine Begleiter noch vier weitere Geschäfte abklapperten, den neuen Mitarbeiter vorstellten, einräumten, in den Lieferwagen schleppten und an der angemieteten Doppelgarage, die sie in Eigenarbeit zur Tafel-Ausgabe umgebaut hatten, wieder ausräumten, in Regale packten oder manche Sachen auch in den beiden übergroßen Kühlschränken oder in die Tiefkühltruhen verstauten, die der ganze Stolz der Teta-Organisation waren, bezahlt aus Spenden. Peko machte noch eine Tour zum sogenannten Bauernmarkt am Lonsepark mit, und als er dann vor seinem Haus in der Bertoldstraße abgesetzt wurde, spürte er alle Muskeln, Knochen und Gelenke wie früher nach einem harten Tag auf Montage; er gönnte sich eine Flasche Malzbier und schlief wie ein Toter durch bis in den hellen Vormittag und wurde auch dann nicht richtig wach. Die abrupte Beschleunigung von Null auf Hundert forderte ihren Preis …

      Die nächsten Wochen arbeitete Peko jeden Tag, oft auch am Wochenende, für die Teta, lernte alle Geschäfte und Unternehmen kennen, die für die Tellheimer Tafel spendeten und nicht verkaufte Waren abgaben. Das Angebot, im „Verkauf“ zu arbeiten, lehnte Peko höflich, aber standhaft ab; seine Fähigkeit, mit anderen Menschen geduldig umzugehen, war nicht sehr ausgeprägt, wie er genau wusste.

      Es erstaunte ihn nicht, dass der Supermarkt Cori die Tageseinnahmen von zwei Wachmännern in der Bank nebenan ablieferte. An manchen Tagen hätte sich ein nächtlicher Einbruch wirklich gelohnt.

      Dann lernte er durch seine Tätigkeit für Teta, womit er überhaupt nicht gerechnet hatte, seine Wohnungsnachbarin, eine junge Frau, kennen. Und zwar durch den sogenannten Kräutermarkt, auf dem von Erzeugern regionale Spezialitäten anboten wurden, zum Beispiel ökologisch gezogene Küchenkräuter. Er staunte nur, was es da alles gab. Seine Kenntnisse beschränkten sich bis dahin auf Petersilie und Schnittlauch, Dill und Liebstöckel, auf sehr ungeliebte Wacholderbeeren und Lorbeerblätter, die immer bei ihm auf dem Teller landeten. Zitronenmelisse, Borretsch, Kurkuma und Sauerampfer hatte er bewusst noch nie gegessen oder eingekauft. Zwei Stände weiter verkaufte eine in Bolivien aufgewachsene Deutsche das „Gold der Anden“. Peko las ungläubig die Namensschildchen Arakacha, Ulloca, Oca, Naranjilla, Nuna, Quinoa, Cherimoya, Patatas y Batatas. Es hätte für ihn auch Alt-Butukudisch sein können. Aber der Andrang war groß, selbst noch, als Teta kam, um Reste einzusammeln. Am Stand nebenan packte eine junge Frau mit traurigem Gesicht ihr unverkauftes Gemüse zusammen. Peko blieb stehen: „Nicht so gut gelaufen, wie?“

      „Heute ganz und gar nicht.“

      „Verraten Sie mir, was das ist? Das kenne ich überhaupt nicht.“

      „Das sind Artischocken.“

      „Habe ich noch nie gegessen. Kompliziert zu kochen?“

      „Das erste Mal geht es mit einiger Sicherheit schief.“

      Sie tat ihm leid, und er wollte ihr gerne helfen, weil sie trotz ihres Kummers freundlich und hilfsbereit blieb.

      „Macht nichts. Wenn Sie ein Rezept dazu haben, nehme ich vier Stück – nein, die bezahle ich Ihnen selbstverständlich.“

      Peko zog mit seinem Einkauf in einer durchsichtigen Plastiktüte davon. Onko staunte: „Ein Feinschmecker in unseren Reihen. Artischocken. Man soll’s nicht glauben. So etwas essen meine Frau und ich höchstens im Urlaub.“

      Peko erregte noch einmal Aufmerksamkeit. Auf dem Flur vor seiner Wohn-Schuhschachtel begegnete ihm seine blonde, auffallend hübsche Nachbarin, die einen begehrlichen Blick auf die Plastiktüte warf und dann hörbar seufzte: „Artischocken. Laden Sie mich ein?“

      „Lieber nicht. Die Verkäuferin meinte, beim ersten Mal ging es mit einiger Sicherheit schief. Und für mich ist es das erste Mal.“

      „Eine kluge Frau. Aber für mich ist es nicht das erste Mal. Wenn Sie mich einladen, zeige ich Ihnen, wie man es macht. Wozu habe ich in Aix en Provence und in Paris studiert. Voraussetzung ist allerdings, dass Sie einen großen Topf besitzen. In dem alle vier nebeneinander dünsten können.“

      „Daran soll es nicht scheitern. Was trinkt man dazu?“

      „Ich bevorzuge einen kühlen Rosé. Und kleine Scheiben geröstetes Baguette.“

      „Damit kann ich leider nicht dienen.“

      „Das besorge ich. Der Supermarkt drüben hat noch bis zweiundzwanzig Uhr geöffnet.“

      „Großartig. Ich heiße übrigens Peter Korn, aber alle Welt nennt mich nur Peko.“

      „Sehr erfreut. Brigitte Berger.“

      „Hm. Und Sie haben in Frankreich studiert? Ich wette, man hat sie dort BB genannt.“

      „Hören Sie bloß auf“, sagte sie fast wütend, „wenn meine Eltern wüssten, was sie mir damit angetan haben. Und dann bin ich auch noch blond geraten.“

      Peko