A. F. Morland

Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten


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passabel aussehender Junggeselle, keine Alimenteverpflichtungen, bestens beleumdet, mit den Pfunden konnte man doch wuchern? Lene fuhr sehr nachdenklich ins Präsidium zurück. An diese Schiene hatte sie noch keinen Gedanken verschwendet, obwohl sie aus Erfahrung wusste, dass die Haarfarbe echtblond die Fantasie und die Begehrlichkeit bei Männern besonders anfeuerte. Was sie gar nicht verstand und stets konterte: „Die Brünetten halten doch, was die Blondinen bloß versprechen.“ Sie musste Harald und Annika Stierle befragen, ob denen ein potentieller und auf blond fixierter Liebeskranker aus der Uni bekannt war.

      Das „Abendgebet“, die alltägliche Referatsbesprechung vor Dienstschluss, brachte nichts Neues in ihrem Mordfall Peko. Tine Dellbusch musste sich morgen darum kümmern, ob die Kontoauszüge tatsächlich bedeuteten, dass Peko seine Schulden zurückgezahlt hatte. Und woher kamen die regelmäßigen Überweisungen auf Pekos Konto ausgerechnet bei der LHB-Filiale Bühler Markt neben Cori.

      „Wenn die Bank dir Schwierigkeiten macht, muss Dobbertin ran.“

      Tine verzog das Gesicht, sie mochte den Staatsanwalt Frank Dobbertin nicht leiden, weil der versucht haben soll, ihr bei einem Fest in den Ausschnitt zu greifen, was Lene ihr nicht so recht glaubte. Zwar konnte Lene den Staatsanwalt Dobbertin auch nicht ausstehen, hielt ihn aber für ein Weichei, der sich krümmte und verbog, bis sein Rückgrat zu brechen drohte, nur um bei niemandem anzuecken. Auch eine kleine und junge Kommissarin konnte ihm im Zeitalter von „Me too“ viel Ärger bereiten, wenn sie behauptete, er habe sie sexuell belästigt. In einer zynischen gestimmten Minute hatte Lene allerdings auch überlegt, dass ein solcher Griff bei Tine Dellbusch sich eigentlich nicht lohnte. Aber das behielt sie lieber für sich. Manche Männer liebten halt solche knabenhaften Figuren. Vielleicht waren sie zu lange von ihren Müttern gestillt worden.

      Viertes Kapitel

      Lene hatte sich mit dem Kollegen Tom Bürger vom Achten immer gut verstanden und deswegen zog sie ihn ins Vertrauen. „Wenn ich jetzt mit den möglichen Querverbindungen Peter Korn und der LHB-Filiale Bühler Markt herausrücke, lege ich doch unfreiwillig en masse falsche Spuren.“

      Bürger hörte die Glocken läuten: „Okay, fragen Sie, Kollegin.“

      Nein, es gab noch keinen Hinweis auf den oder die Täter.

      „Ein Einzeltäter ist möglich?“

      „Durchaus. Das setzt allerdings voraus, dass der die PIN-Zahlen der beiden Tresortürenschlösser kannte … nein, die kann man nicht durch Ausprobieren herausfinden. Beim vierten Fehlversuch schaltet sich die gesamte Elektronik aus, die Türen sind nicht mehr zu öffnen und Sie müssen den Hersteller anrufen.“

      Bürger hatte sich auch in eine schwierige Materie einarbeiten müssen, er nahm sich Zeit, zu erklären und Details aufzuzeichnen, wie mithilfe zweier kleiner, handelsüblicher elektronischer Bausteine eine einbruchsichere Tresortür-Schließanlage entstand. Für Lene, die nicht wusste, was ein Transistor oder ein Relais ist und den Unterschied zwischen Wechsel- und Gleichstrom nicht hätte erklären können, servierte er schwere Kost, wenn auch freundlich, geduldig und keine Spur überheblich.

      „Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Kollege, musste der Täter die beiden PIN-Zahlen kennen, weil er sich beim Versuch, sie durch Ausprobieren herauszufinden, selbst ins Knie geschossen hätte.“

      „Ja, genau so. Er hätte weder den Geldtresor noch die Tür zu den Schließfächern öffnen können.“

      „Und wenn man die PIN-Zahlen ändern möchte?“

      „Muss man bei unserem Fall die Tastaturen herausnehmen und dahinter neue Verbindungen löten. Das Herausnehmen der Tastaturen ist aber nur möglich, wenn beide Türflügel geöffnet sind.“

      „Da biss sich also die Katze schmerzhaft in den Schwanz.“ Bürger nickte fröhlich: „Richtig, es bleibt dabei, der Täter musste zwei Mal die richtigen Zahlen in der richtigen Reihenfolge eingeben. Hinter einer Tür lacht Bargeld Sie an und hinter der anderen liegen Schließfächer, für die jeder Mieter noch einen separaten Schüssel besitzt. Und diese Fächer sind alle aufgebrochen und geleert. Die Bank weiß natürlich nicht, was sich in den einzelnen Schließfächern befunden hat. Der Mann hat sich Zeit genommen und alle Fächer entweder mit einer Brechstange oder einem Wagenheber aufgebrochen. In der Nacht von Samstag auf Sonntag gibt es keinen Wächter in dem Gebäude, der Einbrecher konnte sich also ruhig Zeit nehmen und Krach machen.“

      „Ist es möglich, dass er das Öffnen der Tresortüren über eine Kamera oder ein Loch, einen Spalt im Beton oder so, mal beobachtet hat?“

      „Unwahrscheinlich. Aber Sie wissen ja, der Teufel ist ein Eichhörnchen. So genau weiß man ja nie, wo es sich gerade aufhält und zuschaut.“

      „Kannten alle Bankangestellte die Funktionsweise der Tresortüren?“

      „Nein. Aber die sind keine Staatsgeheimnisse. Ein Bastler kann sie jederzeit in einem frei verkäuflichen Buch mit elektronischen Schaltungen nachlesen und einen elektronischen Verschluss für seinen Barschrank basteln. Um Ehefrau, Kinder und einen durstigen Schwager fernzuhalten.“

      „Ach nee. Verstehe ich Sie richtig? Der wirkliche Schutz besteht nur in der Kenntnis der geheimen PIN-Zahlen und ihrer Reihenfolge bei der Eingabe?“

      „So ist es. Fast wie bei einem klassischen Tresor – ohne Zahlenkenntnisse kein Hereinkommen. Schlüssel kann man verlieren und nachmachen.“

      Bürger schrieb ihr noch zwei Typenbezeichnungen elektronischer Bausteine auf, die er ICs nannte, mit denen die erstaunte Lene von Tellheim nach Stuttgart oder Frankfurt/M fuhr, wenn ihr Auto mal streikte; und mit dem Zettel in der Hand marschierte sie zu Egon Kurz, dem Leiter der Kriminaltechnik. Egon, auch der kurze Egon oder kleiner Napoleon genannt, war ein etwas rundlicher Typ mit einem sehr eckigen Temperament, tüchtig und sorgfältig, aber schnell aufbrausend und ganz und gar nicht geduldig. „Egon, der Sklaventreiber“, schwärmte heimlich für Lene Schelm, was die genau wusste und gnadenlos ausnutzte.

      „Was willst du. Zeig mal her. CD 4066 und ein Zählerbaustein 7493. Seit wann arbeitest du im Achten?“

      „Wie kommst du darauf?“

      „Weil mir Tom Bürger das hier gebracht hat, am Bühler Markt aus einer Tresor-Schließanlage ausgebaut.“

      Lene wusste, dass man diese hellbraunen Kunststoffplatten mit den kupfern-glänzenden Metallstreifen Platinen nannte. Über ein Drahtgewirr waren diese Metallstreifen mit einem Tastenpaket verbunden, das Lene an das Tastenfeld ihres Telefons erinnerte.

      Egon deutete auf zwei kleine rechteckige Kästchen, die fest auf der Platine saßen. „Das sind deine CD 4066 und das ist ein Zählerbaustein TTL 7493, der die Fehlversuche zählt, notfalls zuschlägt und über dieses komische Ding, einen Transistor und ein Relais, den Strom abschaltet, den man zum Beispiel für die Schließmotoren der Tür benötigt. Woher deine unerwartete Neugier für Elektronik?“

      „Ich war bei Bürger, um mir so was erklären zu lassen.“

      „Und was willst du dann noch bei mir?“ Egon konnte seine Eifersucht schlecht verbergen.

      „Mich vergewissern, dass ich ihn richtig verstanden habe. Wenn man die PIN-Zahl verändern will, muss man diese Drähte an dem Tastenfeld anders verlöten?“

      „So ist es noch bei diesem Modell, liebe Lene. Und diese Lötstellen sind frisch, was heißt, die PIN-Zahlen sind vor nicht langer Zeit verändert worden.“

      „Vor wie lange, lieber Egon?“

      Auch beim lieben Egon läuteten nun die Glocken; „Lieber Egon“, bekam er von Lene nicht oft zu hören.

      „Die Chemiker sind noch dabei, Lene. Schätzungsweise vor etwa vier Wochen“, sagt ganz privat der ehemalige Amateurfunker auf Kurzwelle, der sich seine Empfänger und Sender noch selbst gebaut hat.

      „Warst du erfolgreich und berühmt in diesem Metier?“

      „Was soll das heißen?“

      „Schließlich hat man es nach dir