A. F. Morland

Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten


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      Nach einer Viertelstunde schienen Traube und seine Begleiter alles in das Haus getragen zu haben. Zu dritt ging sie mit einem großen Picknickkorb um die alte Schmiede herum und blieben dort längere Zeit. Als Letztes hatten sie eine offenkundig schwere Holzkiste mit zwei Tragegriffen an den Schmalseiten in die alten Schmiede geschleppt. Lene wollte eben in den Garten der Schmiede blicken, als hinter ihr ein Auto bremste. Mit viel Mühe konnte sie im Rückspiegel das Kennzeichen entziffern. LU-PK 333.

      Als der Mann ausstieg, rief Ellen König schon zurück.

      „Ein Leihwagen aus Ludwigshafen. Gestern gemietet von einem Otto Gräber.“

      „Ein echter Name?“

      „Glaube ich nicht.“

      „Otto“ ging ohne Zögern um das Haus herum in den Garten, und nach wenigen Minuten kamen sie zu viert nach vorn und gingen in die Schmiede. Sie schienen sich zu kennen. Lene hatte alle vier knipsen können, als sie durch einen hell beleuchteten Streifen zum Eingang schlenderten. Dann passierte lange Zeit nichts – bis zu einem dumpfen Knall, den Lene für einen Schuss im Haus hielt. Sie sprang aus dem Auto und sauste zur Haustür. Ein zweiter Knall; von ihrer neuen Position war auch zu hören, dass mehrere Menschen lautstark miteinander stritten. Anschließend schrie eine Frau auf, dumpfe Schritte polterten eine metallische Leiter oder Treppe hoch. Lene bückte sich nach einer Latte, die neben der Haustür lag, und hob sie auf. Als jemand seinen Kopf ins Freie steckte, schlug sie mit aller Kraft zu. Der überrumpelte Bartträger ging zu Boden und wehrte sich nicht, als sie ihm Handschellen anlegte. Bevor sie sich ins Haus traute, holte Lene ihre Waffe plus Reservemagazin und das zweite Paar Handgelenkschmuck aus dem Auto. Im Hause hatte der Streit aufgehört, stattdessen schienen zwei Menschen laut zu stöhnen. Sie wusste genau, dass es purer Leichtsinn war, allein in das düstere Gebäude zu gehen. Aber sie gab dem inneren Druck nach. Der Boden der alten Schmiede war mit Gerümpel übersät. Nur an der linken Wand führte ein freier Pfad zu einem Treppenschacht, der jetzt geöffnet war. Die merkwürdigen Stöhngeräusche kamen von unten aus dem Keller. Dort brannte auch eine schwache Birne und verbreitete ein trübes Licht. Zwei Männer und eine Frau lagen am Boden. Die Männer waren ernsthafter verwundet, nach ihrem Stöhnen zu schließen, die Frau schien zu schlafen. Lene fesselte Karin Lochner und schleifte sie in einen Nebenraum, der mit Kisten und Kästen vollgestellt war. An der Tür stolperte sie fast über eine verschlossene Holzkiste mit zwei Tragegriffen, die sie kaum bewegen konnte, weil sie mit Blei gefüllt schien. Blei oder Gold? Hier unten konnte sie nichts nachsehen. Es brach ihr fast das Kreuz, das schwere Stück an die unterste Stufe der Treppenleiter zu ziehen. Ächzend und begleitet von dem Stöhnen zweier Männer schaffte sie es irgendwie, die Kiste Stufe für Stufe anzuheben, abzusetzen und nach einer Verschnaufpause die nächst höhere Stufe zu erreichen. Bis zum Auto konnte sie das schwere Stück noch schleifen, vor der Aufgabe, es in den Kofferraum zu hieven, kapitulierte sie und rief den Kollegen Timo Bürger an:

      „Ich bin in Zöllingen-Fischbach an der alten Schmiede Lochner. Sie können die Beute aus der LHB-Filiale Bühler Markt abholen, müssen aber die Formalitäten mit Staatsanwaltschaft und örtlicher Polizei vorher selbst erledigen. Ich kann Ihnen nicht helfen, man hat versucht, mir das Rückgrat zu brechen, vor meinen Augen dreht sich alles.“

      Erst danach alarmierte sie über 110 die Kollegen und schon nach Minuten herrschte an der Schmiede ein Betrieb, wie bestimmt nie zuvor. Lene suchte sich unter den Sanitätern einen wahren Hünen aus, der die Kiste in den Kofferraum wuchtete wie einen Kasten mit leeren Plastikwasserflaschen. Danach rief sie Ulrich Scheuren an: „Hast du eine Garage, in der man ungesehen etwas aus meinem Wagen in dein Auto räumen kann? Wo? Solgen, Pistoriusstraße 33. Dann warte dort auf mich, es wird aber bestimmt zweiundzwanzig Uhr werden.“

      Inzwischen wurden die Verletzten in verschiedene Krankenhäuser abtransportiert. Uwe Lochner hatte eine Kugel im Oberschenkel, bei Martin Lochner steckte sie in einer Arschbacke. Karin Lochner war mit einem klassischen Ko-Treffer ins Reich der Träume geschickt worden, dem bärtigen Kuno Traube, der hatte fliehen wollen, hatte Lene eine scheußliche Platzwunde mit Gehirnerschütterung verpasst.

      „Haben Sie hier eine Schießübung veranstaltet oder eine Übungsstunde Selbstverteidigung abgehalten?“

      „Nein“, sagte Lene gar nicht amüsiert, „ich wollte nur den Knaben mit der Kugel in der Arschbacke auf seine Haft vorbereiten, die Kollegen bringen die Ladung zum Haftantritt gleich mit.“

      „Sitzen auf einer harten Pritsche mit einer Kugel im Arsch ist verbotene Folter“, grinste der Arzt.

      Lene wollte ihn loswerden: „Ich hatte auch auf seinen Hinterkopf gezielt. Aber bei dem schlechten Licht da unten …“

      Sie war heilfroh, als endlich der ganze Tross aus Tellheim eintraf – Ellen König, Jule Springer und Tine Dellbusch, dazu Kriminalrat Dembach und Staatsanwalt Dobbertin. Polizei und Papier …

      Tine seufzte wie eine Beamtin in den letzten Tagen vor der Pensionierung.

      Als eine der letzten verließ Lene das Fischbacher Schlachtfest. Und weil sie sich tapfer geschlagen hatte, hatte das Schicksal ein Einsehen und schickte sie ohne Verzögerung über die einspurige Brücke auf das andere Ufer.

      Scheuren zersprang schon fast vor Ungeduld. „Alles glatt gegangen?“

      Sie klappte den Kofferraumdeckel auf: „Schau’ selbst.“

      Er brach die Kiste auf, warf einen Blick auf den Inhalt und staunte ungläubig: „Lene, du bist unglaublich …“

      „Hungrig und durstig“, ergänzte sie schnell.

      „Gerne, aber du befindest dich in einem Junggesellenhaushalt.“

      „Es gibt Pizzalieferdienste.“

      „Ich weiß.“

      „Allerdings wäre schön, wenn du einen trinkbaren Rotwein im Keller hättest. Dieses rote Spülwasser aus einem Tetrapack kriege ich heute nicht herunter.“

      Scheuren holte einen genießbaren Dornfelder von der Ahr und bis zum Klingeln des Pizzaboten kämpfte Lene gegen den Schlaf, wurde nur einmal etwas wacher, weil sie es mit ihrer Aktion bis in die Tagesschau geschafft hatte. Danach zerriss es ihr die Mundwinkel vor Gähnen, und die erste Nacht im Bett ihres neuen Freundes verbrachte sie folglich in tadelloser, wenn auch schnarchender Keuschheit. Sie frühstückten im Café Lore, das im S-Bahnhof Solgen neu eröffnet hatte.

      Siebzehntes Kapitel

      Uwe und Martin Lochner würden überleben, Karin Lochner war noch nicht vernehmungsfähig und Lene gab vor Staatsanwalt Dobbertin und Kriminalrat Dembach ihre Heldentat zu Protokoll, „vergaß“ aber zu erwähnen, dass sie eine Kiste aus dem Keller der Schmiede in ihrem Kofferraum verstaut hatte, bevor die Tellheimer Kollegen in Zöllingen-Fischbach eintrafen. Die Mappe mit einer halben Million in bar, die Karin Lochner nach Zöllingen-Fischbach mitgebracht hatte, war beschlagnahmt worden, dazu sollte sich die LHB was einfallen lassen, wenn sie das Geld wiederhaben wollte. Lene war nicht für alles da. Dieser krumme Hund von Dobbertin hatte leider ein gutes Gedächtnis: „Jetzt müssen Sie nur noch den Mord an diesem Peter Korn aufklären.“

      „Bin schon dabei, Herr Staatsanwalt.“

      Einen großen Schritt dazu leistete drei Tage später Egon Kurz mit seiner Mannschaft; die Kugeln in Uwes Oberarm und in Martins Arschbacke stammten beide aus der Waffe, mit der Peko erschossen worden war.

      Auf dem glatten Leder der Geldmappe mit der halben Million fanden sich nur Abdrücke der Karin Lochner und sobald der Amtsarzt ihre Verhandlungsfähigkeit attestierte hatte, ließ Lene sie in den Verhörraum des R – 11 bringen.

      „Wir sind hier zuständig für Mord und Totschlag, Frau Lochner. Für den Raubmord an Christina Weise brauchen wir nicht einmal Ihr Geständnis, die Indizien und Beweise reichen schon für einen Haftbefehl und eine Mordanklage. Nein, ich habe sozusagen noch einen anderen ungelösten Mordfall auf meinem Zettel. Gerhard Träger. Der Trick war simpel. Sie haben sich als Callgirl mit in die Häuser und Wohnungen der Männer mitnehmen lassen, ihre Kunden dort betäubt und die Türen für Ihren Bruder