neuen, anonymen Hinweis auf den Mittäter des Callgirls. Er soll Gregor Woslowski heißen, wegen Diebstahl und Betrug in der früheren DDR vorbestraft, ist im Moment aber auf freiem Fuß … nein, wir suchen ihn noch.“
Dann prasselten die Fragen nur so auf Lene herab, die sich tapfer schlug und nicht einmal die Wörter Bühler Markt aussprach oder hörte. Auch nach Peko erkundigte sich niemand.
Ausnahmsweise wurde die Konferenz im lokalen Vorabendprogramm des Leininger Rundfunk übertragen. Rein aus Langeweile hatte die angeblich so kranke Karin Lochner das Fernsehen eingeschaltet und machte sich vor Angst und Schrecken fast in die Hose, als der Name Gerhard Träger fiel. Sie hüpfte vor Panik fast unter die Decke, als in der Sekunde das Telefon klingelte. Auch Kuno Traube hockte vor dem Fernseher und hatte nicht vergessen, wie er den anonymen Käufer genannt hatte, der ihm angeblich ein Schmuckstück aus dem Hause Träger als Pfand gegeben hatte.
„Meinst du, du kannst morgen wieder ins Geschäft kommen? Wir müssen einiges wegbringen.“
Natürlich wusste sie schon lange, dass ihr Chef Kuno auch ein Hehler war.
„Hast du eine Idee, wohin?“
„Ich hatte an eure alte Schmiede gedacht, was meinst du?“
„Wenn meine Brüder davon was erfahren, musst du löhnen.“
„Ich bin auf alles gefasst.“
„Okay, neun Uhr in der Feuerstraße.“
Sie rief ihren Bruder Uwe an: „Kuno und ich müssen morgen etwas in die alte Schmiede bringen, weißt du, wo und wie ich Martin erreiche?“
„Lass mich das machen. Gegen Mittag in der alten Schmiede?“
„Okay.“ Sie wusste genau, dass sich Uwe und Martin nicht mehr trauten. Aber mit einer halben Million war sie vorläufig von keinem der beiden mehr abhängig. Und noch hatte sie Axel Brunner nicht den Laufpass gegeben. Man musste halt sehen, wo man blieb.
In der Spätlese trafen Lene Schelm und Ulrich Scheuren auf Bekannte. Dr. Ernst Klaproth und Irmgard Messing diskutierten mit einem Mann, den sie als Werner Baumeister vorstellten, im Tellheimer Rathaus Leiter der Abteilung K & T – Kultur und Tourismus. So erfuhr Lene, dass durch Scheurens Vermittlung die Leininger Handelsbank ihren Festsaal für das Jubiläum „Vierzig Jahre Keltenkönig“ zur Verfügung stellen würde. Die Renovierung des Museums würde länger dauern und sehr viel teurer werden als veranschlagt. Klaproth sollte einen Festvortrag halten: „Funde aus der Frühzeit südlich des Mains.“
Lene und Scheuren verzogen sich bald in das Nebenzimmer: „Sie sind leichtsinnig“, tadelte sie ihren Begleiter, den das gar nicht rührte.
„Ich bin sicher, du wirst mich nicht im Stich lassen, eine so tolle Frau wie du.“ Wegen des unerwarteten Duzens schaute sie ihn groß an, was er nicht bemerken wollte. „Ich habe dich heute im Fernsehen bewundert. Großartig, wie du meinen Kopf gerettet hast.“
Lene ließ sich gerne bewundern. Der Kalbsbraten in Kräuterkruste war ein Gedicht, der Aprikosen-Champagnerschaum als Dessert ein Traum und in dem Chardonnay hätte sie baden mögen. Welcher kluge Kopf hatte den richtigen Satz geprägt, dass Liebe durch den Magen geht? Beim Mokka waren sie längst bei Lene und Uli angekommen, und als sie sein Knie an ihrem Bein fühlte, rückte sie nicht zur Seite. Wenn sie dem R – 11-Team nicht versprochen hätte, morgen alles Versäumte nachzuholen, wäre Scheuren in der Colmarstraße die eine Treppe mit ihr hochgegangen. So trennten sie sich mit einem langen Kuss, der für die Zukunft viel versprach.
Sechzehntes Kapitel
Lene hatte jeder Kollegin einen zu Beschattenden vorgegeben, und sich selbst Karin Lochner ausgesucht. Ausnahmsweise hatte sie ihre Dienstwaffe und ein voll bestücktes Reservemagazin mitgenommen, das Fotohandy hatte die Nacht im Ladegerät verbracht, ein starkes Fernglas lag immer griffbereit im Handschuhfach und bei „Großeinsätzen“ nahm sie ein zweites Paar Handschellen mit. Ein dickes Fresspaket und ausreichend Mineralwasser waren nach der gestrigen Schlemmerei vielleicht sogar angebracht. Vor dem stundenlangen Sitzen fürchtete sie sich etwas.
Gegen neun wurde die rote Karin von einem bärtigen Mann mit dem Auto abgeholt, der mit ihr in die Feuerstraße fuhr und dort in die Einfahrt neben Kuno Traube, An- und Verkauf lenkte. Etwa zwanzig Minuten später erschien ein eher schmächtiger Mann mit auffallend vielen und großen Sommersprossen, die in puncto Farbenpracht kaum zu überbieten waren. Sie erinnerten Lene an die feuerroten Haare der Karin Lochner, und deswegen hielt sie den Mann für Karins Bruder Uwe, der mit Peko mal zusammen in einer Zelle gelegen hatte. Uwe ging ohne Zögern durch die Einfahrt auf den Hof des Traubeschen Trödelladens. Lene wagte nicht, auszusteigen und einen Blick auf den Hof zu werfen, wo – nach den Geräuschen zu urteilen – Kisten und Kästen, Säcke und Beutel in einen Lieferwagen geladen wurden.
Ihre Vorsicht zahlte sich aus, fünf Minuten später rollte ein dunkelroter Kastenwagen auf die Feuerstraße. Er gehörte, wie die Aufschrift verriet, Kuno Traube, An- und Verkauf. Lene gab über Handy an die Kollegin König durch, wem und welchem Auto sie gerade folgte. Dann begann sie leicht zu fluchen. Der Bärtige am Steuer schlug tatsächlich die Richtung zur Dauerbaustelle Kolzemer Brücke ein, bog dann – noch schlimmer – in letzter Minute zur Fähre ab, die nach dem Feuer unter der Brücke wieder eingerichtet worden war. Ursprünglich mal ein Geheimtipp für Ortskundige, war die nun als Ausweichstrecke über den Fluss genauso überlastet wie die Brücke, die im Richtungswechselbetrieb nur einspurig benutzt werden durfte. Lene hatte einmal in einem klugen Geschichtsbuch gelesen, Flüsse trennten nicht, sondern verbänden, aber da existierten auch noch keine Spannbetonbrücken, die ein brennender Produktentanker von unten regelrecht ausgeglüht hatte, bis Einsturzgefahr bestand.
Lene wartete direkt hinter Traubes Lieferwagen, wo sie in der langen Schlange nicht auffiel. Lene gehörte zu dem nächsten Pulk, der auf die Fähre durfte. Traube wurde nach vorne rechts gewinkt, sie musste auf der linken Seite bleiben, aber An- und Verkauf war groß genug, um ihn später wieder zu finden. Natürlich ging’s nicht gleich los, ein großer Schubverband hatte Vorfahrt. Zum Autofahren brauchte man immer mehr Geduld. Lene gab an das Büro durch, wozu das Schicksal sie verurteilt hatte, und Ellen König lachte herzlos und schadenfroh.
Seit dem Tankerunfall unter der Kolzemer Brücke kam Lene selten auf die linke Flussseite und kannte sich hier so gut wie gar nicht aus. Der Bärtige steuerte unverdrossen Richtung Westen, verschmähte Autobahnzubringer und mehrspurig ausgebaute Bundesstraßen. Die Landschaft war schön, es ließ sich gut fahren, weil die Sonne noch hinter dem Wagen stand und nicht blendete. Lene begann zu träumen und hätte um ein Haar verpasst, dass der An- und Verkauf nach links blinkte. Der Ort hieß Zöllingen, und der Bärtige durchquerte schnurstracks die Siedlung, bis er an einem Schild abbog „Zöllingen-Fischbach“ und nach rechts steuerte. Weil er merklich langsamer wurde, ließ sich Lene weiter zurückfallen und stand gedeckt durch mehrere Büsche, als zwei Männer und eine Frau den Transporter verließen und in ein halb verfallenes Haus gingen. Über der Tür verkündete ein verrostetes Schild „Huf- und Kunstschmied Adalbert Lochner“. Der niedrige Bau aus Feldsteinen war rußverschmiert und sichtlich baufällig.
Ellen König fragte ungläubig: „Wo bist du?“
„Ich stehe vor einer verlassenen Huf- und Kunstschmiede Adalbert Lochner in Zöllingen-Fischbach. Erkundige dich doch mal bitte bei den Kollegen, wem der Schuppen heute gehört und wer jetzt da drin wohnt. Ich warte auf deinen Rückruf.“
Minuten später begannen die drei auszuladen und alles Mögliche in die Schmiede zu tragen. Der Sommersprossige ging einmal um das Haus herum und öffnete wohl ein Wehr, Wasser begann zu rauschen. Ellen König rief zurück; Gebäude und Grundstück und Wasserrechte gehören den drei Kindern Uwe, Martin und Karin des verstorbenen Adalbert Lochner. Zurzeit wohnt dort niemand – „ach, weißt du, das alte Lied, einsturzgefährdet, aber unter Denkmalschutz; wenn du mal zu viel Geld hast, lass dir so was vererben.“
„Mein Bruder hat mal in einem alten Tattersall produziert.“
„Dann weißt du ja, wovon ich rede, hier ruft übrigens alle Naselang