A. F. Morland

Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten


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      Joko beendete seine Einkaufstour, befestigte im Haus den neuen Feuerlöscher in der Nähe der Haustür und räumte alle Gegenstände zur Seite, die bei einer Flucht im Dunklen an die Haustür behindern konnten. Weil er keine Lust hatte, essen zu gehen oder aufwendig zu kochen, begnügte er sich, wie so oft, mit Spiegeleiern und Tiefkühlspinat, dazu trockenes Vollkorn-Brot. Am Nachmittag gelang es ihm, den Artikel für Heim und Haus fertig zu schreiben und an die Redaktion zu mailen. Vor dem Landgericht Münster fand mal wieder eine Gutachter-Schlacht zum Thema „Heißer Abbruch“ statt; die Anfrage der Kammer, ein Obergutachten zu schreiben, lehnte er sofort ab und las am Nachmittag einen neuen Wälzer mit interessanten Spekulationen über den großen Hamburger Brand von 1842, der immerhin Platz für ein repräsentatives Rathaus geschaffen hatte. – Man lernte nie aus, und Spekulationen fand er unterhaltsam, weil er sie nicht beweisen oder widerlegen musste. Man hatte auch ihn gefragt, ob er sich als Sachverständiger zum Reichstagsbrand äußern wolle. Er hatte dankend abgelehnt und sich lieber mit dem Fall des Schiffsjungen Richard Schmidt beschäftigt, der zwar zugegeben hatte, das Feuer auf der Bremen gelegt zu haben, bei seinem Geständnis aber laut Presseberichten Einzelheiten erwähnte, die ein einfacher Schiffsjunge eigentlich nicht wissen konnte. Das unvollendete Manu schlummerte in Form einer CD in Jokos Schreibtisch.

      In der Nacht geschah nichts Ungewöhnliches, aber als er sich an seinen Schreibtisch setzte, um wie jeden Tag nach seinen Mails zu schauen, beschlich ihn das unbehagliche Gefühl, jemand habe seinen Computer und den Bildschirm verschoben, nicht viel, aber für ein Gewohnheitstier wie Joko eben doch bemerkbar. Er schaute flüchtig nach, aber es schien nichts zu fehlen. Haus und Heim bestätigten den Eingang des Artikel, und versicherten, man werde das Honorar unverzüglich anweisen. Fromme Wünsche sollte man nicht bremsen.

      Die Post war nicht der Rede wert, Bettelbriefe, Werbung, Empfehlungen von Pflegeheimen und die Ankündigung einer Altenakademie, die für heute einen hörenswerten Vortrag über die sogenannte Dortmunder Fehde versprach, der Joko schon interessiert hätte, aber Arnsberg war ihm zu weit. Über Mittag rief Olga Paschke an; „Morgen ist Schluss mit der Drückebergerei, Herr Jokisch, wir fahren nach Hagen und kaufen Bettwäsche ein.“

      Wer wollte einer auf vollen Touren laufenden Olga Paschke widersprechen? Ihm stand ein harter Tag bevor, und deshalb gönnte er sich am Abend ein gutes Restaurant, das berühmt war für seine Pfannkuchen, gefüllt oder belegt mit bergischen Spezialitäten. Und die unbekannte Frau am Nebentisch, die ihn immer wieder Mal aufmerksam musterte, war hübsch. Er zögerte etwas zu lange; sie war gegangen, als er sich entschloss, sie anzusprechen. Zum Trost gab es Bier einer kleinen Brauerei, die sich noch nicht dem Einheitsgeschmack unterworfen hatte, und Joko fuhr gut gesättigt und etwas mehr alkoholisiert als erlaubt nach Hause, stellte den Karren in die Garage und betätigte das Super-Vorhängeschloss. Jemand hatte unter seiner Haustür einen Briefumschlag durchgeschoben, ohne Anschrift, Absender oder Briefmarke: Verschwinde schnell oder wir kriegen dich. Es gab leere und alberne Drohungen.

      In der Nacht verlangte seine Blase, von dem vielen Bier erlöst zu werden, was er auch unverzüglich tat. Weil auch sein Darm überflüssiges Gas freizusetzen wünschte, öffnete er die Haustür und trat einen Schritt ins Freie, um zu lüften. Fast sofort gab es einen hellen Knall und dann hinter ihm ein scheußliches Klirren zerspringenden Glases. Erschrocken fuhr er herum, der von innen beleuchtete Glaskasten der Hausnummer war zersprungen und dunkel. Es knallte noch einmal und er machte, dass er ins Haus kam und die Haustür abschloss und verriegelte. An Einschlafen war nach dem Schreck erst mal nicht zu denken. Er schluckte endlich zwei Baldriantabletten und döste gegen Morgen, als es dämmerte, doch noch einmal ein. Ausgeschlafen war er nicht, und seine Putzfee mit dem scharfen Blick grinste schadenfroh: „Na, gestern gesumpft?“

      „Ein klitzeklein wenig, Frau Paschke.“

      „Im Alter lässt alles nach. Ich gehe dann mal einpacken, was wir besorgen müssen.“

      Sie fuhren in ihrer Nuckelpinne, und weil die besonders heftig über eine Schwelle hüpfte, stöhnte er laut auf. Sie sah ihn missbilligend von der Seite an: „Musste es unbedingt ein so junges Ding sein? Dem sind Sie doch körperlich gar nicht mehr gewachsen.“

      „Was reden Sie denn da? Wem nicht mehr gewachsen?“

      Bevor sie antwortete, fuhr Olga Paschke in eine Parkbucht, holte ihre Handtasche von der Rückbank und wühlte einen winzigen roten Spitzen-BH hervor.

      „Den habe ich heute zwischen Ihren Betttüchern versteckt gefunden.“

      „Das kann doch nicht wahr sein, den habe ich nie gesehen.“

      Ihr Blick sprach Bände; sie glaubte ihm keine Silbe: „Sehen Sie sich mal die Körbchengröße an. Das ist ein BH für eine junge Frau, eher noch für ein Mädchen.“

      „Von BHs verstehe ich nichts. Und verstecke auch keine in meinem Wäscheschrank.“

      Sie blickte ihn an, als habe sie ihn nie vorher gesehen: „Männer!“

      Er schwieg, aber nicht von ihrem Ton und Unglauben beeindruckt, sondern mit einem Gedanken beschäftigt. Er hatte doch selbst den Eindruck gehabt, da sei jemand an seinem Schreibtisch und am Computer gewesen. Nun konnte man einbrechen, um etwas aus der Wohnung, aus dem Haus herauszuholen, aber genauso gut konnte man dort etwas verstecken, was den Bewohner in Schwierigkeiten bringen würde. Aber wann und wo hatte er es mit einer jungen Frau zu tun gehabt, der ein BH gestohlen oder gewaltsam weggenommen wurde? Wer hatte ihm die Luft aus allen vier Reifen gelassen, sodass er sich nicht fortbewegen konnte.

      Olga Paschke hielt sein Schweigen für eine Art Eingeständnis und sagte nichts mehr. Der gemeinsame Einkauf verlief zäh und unerquicklich. Beide waren sie froh, als sie es hinter sich hatten und über die Ruhrbrücke nach Herdecke zurückfuhren. Sie kümmerte sich um die neu erworbene Bettwäsche und er versuchte, übers Internet und Telefonauskunft eine Klavierlehrerin mit dem ausgefallenen Vornamen Della in der Hattinger Feldstraße zu finden. Internet und Auskunft konnten ihm nicht helfen. Also fuhr er direkt nach Olga Paschke los und parkte fünfzehn Minuten später so, dass er möglichst viele Hauseingänge in der Feldstraße beobachten konnte. Seine Geduld und sein Sitzfleisch wurden auf eine harte Probe gestellt. Erst gegen halb fünf verließ eine jüngere Frau an Unterarmstützen ein Haus und stakste vorsichtig auf ein Auto zu, das vor dem Haus parkte. Das Einsteigen und vorher das Verstauen der Krücken war eine akrobatische Nummer, die sie aber bewundernswert gut meisterte.

      Als sie dann losfuhr, folgte Joko ihr. Sie fuhr langsam und vorsichtig, aber nach seinem Eindruck nicht ängstlich. Ihr Kennzeichen hatte er sich als Erstes notiert. Die Fahrt dauerte, er schaute mehrfach besorgt auf seine Tankanzeige, und endete erst in Xanten auf dem gut besetzten Parkplatz eines Cafés. Dort wartete schon eine Frau auf Della und half ihr aus dem Auto. Joko verschlug es fast den Atem. Das war Helga Schmied, verheiratete Steinfeld. Kein Zweifel möglich. Er wollte schon lossprinten, um sie zu begrüßen, erinnerte sich aber im letzten Moment an die unfreundliche Art, wie sie ihn an der Mündung von Seeckt in die Richard Wenger Straße hatte abfahren lassen, weil sie Hand in Hand mit einem anderen spazieren ging. Keine Wiederholung, er ließ die beiden Frau ziehen, die in das Café gingen. Er wollte nicht, dass Helga ihn zufällig sah und erkannte, und auch mit Della ließ sich leichter sprechen, wenn sie ihn nicht schon kannte. Er notierte sich Helgas Krefelder Kennzeichen und fuhr langsam nach Hause zurück. Sie lebte also noch und hatte noch Kontakt zu ihrer alten Freundin und Nachbarin Della. Wollte er eigentlich noch mehr erfahren?

      Super war zwar billiger geworden, aber ein voller Tank verlangte immer noch ein sehr volles Portemonnaie. Ob Stengelchen an dem Ergebnis seiner Recherche interessiert war? Zu Hause kochte er Kaffee und rief Annegret Stengel an: „Ich habe sie gefunden. Sie lebt in Krefeld.“

      „Und wo da?“

      „Die genaue Anschrift habe ich noch nicht. Bis jetzt nur ihr Autokennzeichen. KR-AA 999. Ein hellblauer Mercedes.“

      „Dann scheint es ihr ja besser zu gehen als mir.“

      Der Jammerton missfiel ihm und deshalb machte er rasch Schluss.

      In der Glaskanne der Kaffeemaschine gab es noch genug Flüssigkeit, also setzte er sich mit einem zweiten Becher