brauchen keine Coffee-to-go-Station in Sankt Peter-Ording. Wir brauchen keinen weiteren Müll, der in der Nordsee landet und unsere Umwelt verschmutzt!«
Er griff nach einem eingerissenen, platt gedrückten Plastikbecher, der in einer Schubkarre lag. »Wissen Sie, was das hier ist?« Er zeigte den Anwesenden den kaputten Behälter. »Das hier lag gestern im Spülsaum am Strand, bloß ein paar Meter von dem Pfahlbau Arche Noah entfernt. Meine Recherchen im Internet haben ergeben, dass es sich hierbei um einen Messbecher eines Waschmittels handelt. Anhand des aufgedruckten Werbeslogans Fakt mit der neuen Basiskraft mit PSE konnte ich das Alter leicht bestimmen. Die Werbung lief im Sommer 1970 und damit dürfte der Becher schon 50 Jahre alt sein. Wir können nicht zulassen, dass noch mehr unseres Mülls jahrelang im Meer schwimmt!«
Lena und Fiete rollten zwei Transparente aus, die sie vor einigen Tagen angefertigt hatten. Eins legten sie auf den Müllberg, das andere hielten sie so, dass die Fotografen es gut ablichten konnten. Liam trat einen Schritt zur Seite, damit jeder sie lesen konnte – There is no planet B und Früher war der Fisch in der Packung, heute ist die Packung im Fisch.
»Also, das ist ja unglaublich! Und völlig überzogen!«, rief Liams Vater mit hochrotem Gesicht. »Du spinnst doch komplett, wegen der paar Becher hier so einen Aufstand zu machen!« Und zu den Anwesenden gewandt, sagte er: »Ich muss mich für meinen Sohn und seine Freunde entschuldigen. In dem Alter regiert der jugendliche Übermut, wissen Sie.« Er versuchte, den Zwischenfall, so gut es ging, wegzulächeln, was ihm allerdings nicht ganz gelang.
»Was wollen Sie mit Ihrer Protestaktion erreichen?«, fragte ein Reporter.
»2,8 Milliarden Einwegbecher und 1,3 Milliarden Plastikdeckel werden pro Jahr weggeworfen. Das sind pro Stunde 320.000 Stück in Deutschland. Der Wahnsinn muss endlich aufhören«, forderte Lena mit fester Stimme.
»Plastikbecher sind ein NO, denn wir lieben SPO!«, skandierte Fiete und hielt das Transparent noch höher.
»Wegen meiner Coffee-to-go-Station geht jetzt die Welt unter oder was?!«, brüllte Liams Vater, dessen Gesichtsfarbe mittlerweile die Farbe einer Tomate angenommen hatte. »Ihr seid doch völlig übergeschnappt!«
Liam wusste, was im Leben seines Vaters wirklich zählte, und das war nicht die Umwelt. Trotzdem fehlten ihm für einen Moment vor lauter Wut die Worte.
»Wie wäre es, wenn wir uns jetzt alle wieder beruhigen und einen Kaffee im Hotel trinken – ganz klassisch?«, witzelte der Bürgermeister, dem die Situation sichtlich unangenehm war. »Meine Damen und Herren, bitte folgen Sie mir …« Er wies zum Eingang vom Deichkind, dem Restaurant des Strand Gut Resort.
»Typisch! Jeden Tag von Neuem unsere Welt zumüllen und dann auch noch wegschauen, wenn jemand etwas daran ändern will!«, rief Lena den Leuten hinterher.
»Das wird noch ein Nachspiel haben, Liam!«, zischte ihm sein Vater wutentbrannt zu. »Wenn deine Mutter diese Aktion erlebt hätte, sie hätte sich in Grund und Boden für dich geschämt.«
»Lass Mama gefälligst da raus!« Liam ballte vor Wut die Fäuste.
Sein Vater winkte bloß ab und beeilte sich, zu den anderen aufzuschließen.
Ein Reporter war zurückgeblieben und kam nun zu ihnen. »Euer Verhalten hat mir imponiert.« Er hob anerkennend die Augenbrauen und überreichte Lena eine Visitenkarte. »Ich würde euch gerne mal interviewen und eure Sichtweise in einem Artikel bringen … falls ihr möchtet.«
»Ja gerne. Wir melden uns bei Ihnen.« Lena steckte die Karte in die Brusttasche ihrer Latzhose.
Der Journalist verabschiedete sich und folgte den anderen ins Restaurant Deichkind.
Liam blickte zum Hoteleingang, seine Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt. »Wenn mein Vater glaubt, er könnte mich einschüchtern, dann hat er sich geschnitten. Ich werde nicht einfach nur dastehen und zuschauen, wie er mit unserer Zukunft spielt, nur um sich selbst zu bereichern.«
»Eins steht fest, er will auf keinen Fall, dass du ihm seine neue Geschäftsidee kaputt machst.« Fiete zog sich einen Arbeitshandschuh über und fing an, das Strandgut wieder zurück in den Sack zu räumen.
Liam griff ebenfalls nach einem Handschuh. »Das kann er sich abschminken«, sagte er mit fester Stimme.
»Was hast du vor?«, wollte Lena wissen.
»Das muss ich mir noch überlegen. Aber eines kann ich euch sagen: Jetzt erst recht.«
1. KAPITEL
Kalifornische Seelöwen schwebten mit eleganten Schwimmbewegungen im verglasten Unterwassertunnel über die Köpfe der Besucher hinweg. Kinder jauchzten vor Begeisterung laut auf und zeigten mit großen Augen auf die Ohren robben über und neben ihnen. Ein kleines Mädchen legte seine Hand auf eine Stelle der gläsernen Wand, an der ein Seelöwe es von der anderen Seite mit seiner Schnauze berührte.
Alicia verfolgte jede Bewegung der Robben mit ihrer Kamera und drückte in passenden Momenten auf den Auslöser, wie immer völlig gebannt von ihrer Anmut.
An ihr stürmten zwei Jungen im Grundschulalter vorbei, die kurz darauf mit ihren kleinen Fäusten gegen das Sichtglas hämmerten. Alicia sah verärgert von ihrer Kamera auf. Das passierte immer wieder. Warum konnten die Eltern nicht besser auf ihre Kinder aufpassen? Gerade als sie etwas zu ihnen sagen wollte, fiel ihr Blick auf eine Frau, die zu den Kindern eilte.
»Felix und David! Das macht man nicht! Ihr erschreckt die Tiere«, schimpfte sie, nahm die Jungs an die Hand und zog sie weiter.
Ein paar verantwortungsbewusste Menschen gab es also noch. Alicia schaute wieder durch die Linse der Kamera. Auch wenn sie heute schon ein paar tolle Fotos gemacht hatte, bedauerte sie, dass die Robben so beliebt waren und sich immer ziemlich viele Leute in dem Unterwassertunnel aufhielten, ganz gleich, wann sie da war. Viel lieber hätte sie ihre Lieblingstiere ganz für sich allein gehabt, um sie in Ruhe beobachten und fotografieren zu können.
Ihr Liebling war Legolas, der Zuchtbulle des Seelöwen-Reviers, der in dem Moment zusammen mit der jungen Robbe Fridolin in wilden Schwimmbewegungen das Wasser des Beckens aufwirbelte. Sie ging näher an das Glas heran und tippte schnell hintereinander auf den Auslöser.
Plötzlich tauchte Legolas direkt auf sie zu. Alicia senkte die Kamera. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, er schaute sie an, bevor er wendete und an die Wasseroberfläche schwamm. Sie war noch kurz in dem Moment gefangen, bis eine Stimme sie zurück in die Wirklichkeit holte. »Hi, Alicia!«
Alicia wirbelte erschrocken herum, lächelte aber, als sie die blonde Frau in der kurzen khakifarbenen Cargohose und dem Shirt mit dem Emblem des Zoos sah. »Hi, Ilka.«
»Schön, dich mal wiederzusehen.« Sie umarmte Alicia. »Legolas hat schon nach dir gefragt.«
Alicia lachte. »Ich freue mich auch. Wie geht’s dir?«
»Ganz gut.« Ilka deutete auf die Kamera in ihren Händen. »Hast du mal wieder Fotos von deinen Lieblingsmodels gemacht?«
»Jede Menge sogar!« Alicia zeigte ihr einige ihrer Aufnahmen.
Ilka zog anerkennend die Augenbrauen hoch. »Wow! Du hast wirklich ein Händchen dafür.«
»Danke«, erwiderte Alicia, in der sich beim Betrachten der Fotos und des Kompliments ein warmes Gefühl ausbreitete.
»Vielleicht können wir ein paar deiner Schnappschüsse für die Zoo-Homepage gebrauchen.«
»Ja klar! Darüber würde ich mich tierisch freuen!«
»Ich frag mal bei dem zuständigen Kollegen nach«, versprach Ilka. »Bleibst du noch zur Fütterung?«
Alicia schaute auf ihr Handy. »Sorry, das wird heute leider nichts. Ich habe später noch eine Verabredung.« Fast bedauerte sie ein wenig, dass sie nachher noch mit ihrem Freund Elias verabredet war. Wie gerne wäre sie noch länger geblieben und hätte Ilka bei der Fütterung geholfen. Aber wenn sie ihr Date um eine Stunde verschieben würde, hätte Elias sicher kein Verständnis