Tanja Janz

Leuchtfeuerherzen


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Zoo zu gehen, damit sie ihm zeigen konnte, was ihr wichtig war.

      »Schade«, meinte Ilka. »Du hättest mir helfen können. Ich hatte nach dir nie wieder eine Praktikantin, die so ein gutes Händchen für unsere Seelöwen hatte.«

      »Ich hätte total gerne noch ein zweites Praktikum gemacht, aber da gab es wohl einige andere Bewerber vor mir auf der Liste«, sagte Alicia bedauernd.

      Vor einem Jahr hatte sie in den Sommerferien ein Praktikum hier gemacht, weil sie herausfinden wollte, ob ein Job mit Tieren zu ihr passte. Damals war sie zufällig bei Ilka und ihren Kalifornischen Seelöwen gelandet. Ihre erste Begegnung mit den Robben hatte gleich etwas Magisches gehabt. Es war wie die berühmte Liebe auf den ersten Blick gewesen. Alicia hatte sofort die Sprache der Tiere verstanden und konnte bereits am zweiten Tag ihres Praktikums bei der Robbenfütterung mithelfen. Seitdem waren ihr die Tiere ans Herz gewachsen und sie hatte sich ein beachtliches Wissen über Robbenarten angelesen. Am liebsten hätte sie jeden Tag im Zoo verbracht, doch das schaffte sie meistens bloß an den Wochenenden oder in den Ferien.

      »Einige ist gut … ich glaube, es stehen über 30 Leute auf der Liste.«

      »Tja, ich kann ihren Wunsch gut nachvollziehen. Jetzt muss ich mich aber beeilen, wenn ich den Bus zurück nach Recklinghausen noch erwischen will. Ich komme bald wieder«, versprach Alicia und umarmte Ilka zum Abschied. »Schließlich sind ja Ferien und ich habe eine Jahreskarte.«

      Alicia trank den Rest ihres Bananenshakes aus und blickte sich ein weiteres Mal suchend um. Sie hatte sich extra beeilt, um pünktlich zu ihrer Verabredung mit Elias zu kommen. Aber von dem keine Spur.

      Wieder schaute sie auf ihr Handy. Sieben Minuten vor fünf. Seit gut einer Stunde saß sie hier im Eiscafé wie bestellt und nicht abgeholt und wartete auf ihn. Wehmütig dachte sie an die Zeiten am Anfang ihrer Beziehung zurück. Da war er meistens noch vor ihr am Treffpunkt gewesen und immer hatte er ihr das Gefühl gegeben, dass es außer ihr nichts Wichtigeres auf der Welt gab. Während der ganzen Zeit, wenn sie zusammen waren, hatte er sie mit seiner uneingeschränkten Aufmerksamkeit verzaubert. Doch davon war nichts mehr übrig geblieben.

      Nachdem sie schon versucht hatte, ihn telefonisch zu erreichen, schrieb sie ihm eine Nachricht.

      Wollten wir uns nicht um 16 Uhr im Dino treffen?

      Wo steckst du???

      Sie starrte auf das Handydisplay und spürte, wie sich Frustration in ihr breitmachte. Alicia hoffte darauf, gleich eine Antwort von ihrem Freund zu bekommen, in der sich sein Nichtkommen aufklärte, obwohl ihr Bauchgefühl ihr signalisierte, dass dies nicht passieren würde.

      Es war nicht das erste Mal, dass sie vergeblich auf ihn wartete. Sie erinnerte sich an einen Freitagabend, an dem sie im strömenden Regen vergeblich vor dem Kino ausgeharrt hatte, während er mit seinen Fußballkollegen im Clubraum ein Spiel zwischen Schalke 04 und dem FC Bayern im Fernsehen geschaut hatte. Damals hatte er sich reumütig bei ihr entschuldigt und geschworen, dass dies kein weiteres Mal passieren würde. Verspätungen aufgrund seines Trainings waren gang und gäbe geblieben, aber Alicia hatte fest daran geglaubt, dass er sie kein weiteres Mal versetzen würde.

      Die Enttäuschung in ihr wuchs mit jeder weiteren Minute ohne Nachricht von Elias, bildete einen Kloß in ihrer Kehle und trieb ihr die Tränen in die Augen. Er hatte es ihr doch hoch und heilig versprochen und ihr dabei so tief in die Augen gesehen, dass sie alles andere hätte vergessen können. Sie war sogar extra eine Viertelstunde eher in der Eisdiele gewesen und hatte sich ihr neues Sommerkleid angezogen. Schließlich gab es etwas zu feiern: Es war das Wochenende vor dem Beginn der Sommerferien. Vor ihnen lagen sechs schulfreie Wochen und, was noch viel wichtiger war, sie hatten die Fachoberschulreife mit Qualifikation in der Tasche. Nach den Ferien ging es für Elias und sie in der Oberstufe weiter.

      Sie blinzelte und schluckte die Tränen hinunter, als die Kellnerin an ihren Tisch trat.

      »Darf ich Ihnen noch etwas bringen?«

      »Nein danke. Nur die Rechnung.« Alicia schüttelte den Kopf und lächelte die Frau tapfer an.

      Nachdem sie ihren Milchshake bezahlt hatte, lief sie zu ihrem Fahrrad, das sie an einem Radständer vor einem Supermarkt angekettet hatte. Sie steckte gerade den Schlüssel ins Schloss, als das Handy in ihrer Tasche piepste.

      Endlich meldete sich Elias! Dann würde sich doch alles aufklären. Hastig fischte sie ihr Smartphone aus der Tasche, doch ihre aufgekeimte Hoffnung verwandelte sich in Frust, als sie las, von wem sie eine Nachricht bekommen hatte.

      Clara, ihre beste Freundin, wollte wissen, ob sie heute noch was vorhätte.

      »Schön wär’s«, sagte Alicia leise zu sich selbst und versuchte den Kloß, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, runterzuschlucken.

      War eigentlich mit Elias zum Eisessen verabredet.

      Aber er ist nicht aufgekreuzt. Fahre jetzt zum Fußballplatz.

      Vielleicht ist er da. Melde mich später bei dir.

      Sie steckte das Handy zurück in die Tasche und schaute hoch zum Himmel, wo sich inzwischen massige Wolken ausdehnten. Schnell löste sie das Fahrradschloss und schwang sich in den Sattel. Der Fußballplatz war ungefähr 20 Minuten mit dem Rad von dem Eiscafé entfernt. Mit etwas Glück kam sie dort noch trocken an, bevor der Himmel seine Schleusen öffnete und für die ersehnte Abkühlung sorgte. Alicia trat kräftig in die Pedale.

      Sie konnte sich nicht gegen den Gedanken wehren, dass Elias sie womöglich einfach vergessen hatte – wieder einmal. In ihrem Bauch grummelte es. Sie hoffte, dass sie falschlag und es bloß ein Missverständnis war. Aber so richtig konnte sie nicht daran glauben.

      Als sie am Sportzentrum ankam, landete ein erster Regentropfen auf ihrer Nase. Sie stieg ab und schob das Rad den Weg entlang, der zum Fußballplatz führte. Rund um den Ascheplatz standen Zuschauer, die ihre Mannschaft anfeuerten und Alicia die Sicht auf die Spieler nahmen. Neben ehrgeizigen Eltern waren auch die üblichen Fußball-Groupies am Start, eine Gruppe von circa zwölf Mädchen, die teilweise mit einem der Spieler zusammen waren oder es sich fest vorgenommen hatten, in naher Zukunft zu sein.

      Alicia lehnte ihr Rad an die Mauer der Sporthalle und suchte sich einen Platz abseits der Menschentraube, einige Meter hinter dem Tor. Sie musste nicht lange nach Elias Ausschau halten, ihr Freund schoss gerade auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes eine Ecke.

      Sie blinzelte mehrmals, doch an dem Anblick änderte sich nichts. Elias war hier. Er hatte sie tatsächlich vergessen.

      Ein zentnerschweres Gewicht legte sich auf ihr Herz. Mit verschränkten Armen beobachtete sie das Spiel. Elias bemerkte ihre Anwesenheit überhaupt nicht. Er war zu sehr auf das Spiel konzentriert – wie immer, wenn er Fußball spielte. Nichts ging für ihn über seine Leidenschaft. Das hatte er heute nur wieder bewiesen. Und Alicia damit schmerzvoll die Augen geöffnet.

      Nachdem der Schiedsrichter das Spiel abgepfiffen hatte, ging Alicia zu dem überdachten Eingang der Sporthalle, der zu den Umkleiden führte. Dicke Regentropfen prasselten mittlerweile auf das Vordach. Als Elias kam, unterhielt er sich mit einem Mannschaftskameraden und wäre fast an ihr vorbeigegangen. Im letzten Augenblick bemerkte er sie.

      »Hey! Was machst du denn hier?« Er umarmte sie und wollte ihr einen Kuss auf die Lippen drücken, doch sie drehte den Kopf zur Seite.

      »Nicht.«

      Elias lachte auf und wischte sich mit dem Handrücken Schweiß von der Stirn. »Okay, verstehe. Ich dusche schnell.« Er verschwand in dem Gebäude, bevor sie noch etwas entgegnen konnte.

      Wie erstarrt sah Alicia ihm hinterher. Er schien wirklich nicht zu wissen, dass sie heute eine Verabredung gehabt hatten. War Fußball denn wirklich wichtiger als sie? Hatte er genug von ihr oder war einfach von Anfang an kein Platz in seinem Leben für etwas anderes gewesen? Er hatte sie davor gewarnt, aber gleichzeitig in der wenigen Zeit mit so viel liebevollen Gesten bedacht, dass sie es nicht hatte sehen wollen.

      Der Gedanke machte sie regelrecht fertig. Elias war ihr erster Freund und sie war so sehr in ihn verliebt. Trotzdem