Urs Herzog

Das Ende ist immer nahe 1


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Stuhl zurück und sprang auf -, wütend.

      „Einen schönen Tag noch“, schnauzte er Schneider an und verschwand fluchtartig aus dem Lokal. Die Stammgäste sahen herüber und wunderten sich. Der Zweite war tatsächlich nicht lange geblieben.

      Schneider schüttelte unmerklich den Kopf, nahm einen weiteren Schluck Wein und griff nach dem Umschlag. „Zum Glück ist er weg, so ein Nervenbündel ist mir noch nie begegnet. Und bezahlt hat der Kerl auch nicht.“

      Es war das erste Mal, dass er einem Vertreter dieses, sehr speziellen, Auftraggebers begegnet war. Auch wenn Hasler vorgab nur Kurier zu sein und nichts über die Organisation zu wissen, Schneider kannte ihn und wusste genau mit wem er es zu tun hatte. Wie alle seine Kunden hatte er auch diesen überprüft, so, wie er es grundsätzlich immer tat. Und er nahm keinen Auftrag an ohne über den Anderen möglichst gut Bescheid zu wissen.

      Schneider kannte die Organisation zu der Hasler gehörte. Zu jedem Namen gehörten Fotos, zu jedem Namen gehörten die Angaben über die Funktion innerhalb der Organisation, zu jedem Namen gehörte aber auch das Wissen über den privaten Bereich, die Finanzen, ob offizielle Konten oder Nummernkonten, über den Freundeskreis und die Gewohnheiten. Auch ein Auszug aus dem Strafregister war dabei. Schneider verfügte über ausgezeichnete Verbindungen und es gab viele die ihm noch einen Gefallen schuldig waren. Sein Wissen und seine Akten wären ein Vermögen wert gewesen, hätten verschiedene Organisationen oder Firmen in den Ruin treiben, ihre Probanden ins Gefängnis bringen können.

      Doch würde er versuchen sein Wissen gewinnbringend einzusetzen und die multinationalen Unternehmungen oder die Regierungen gegeneinander auszuspielen, er würde zwischen den Fronten zerrieben werden. Schneider wusste wie weit er gehen konnte. Die Akten waren bis anhin lediglich seine Lebensversicherung gewesen.

      Entspannt lehnte er sich zurück, riss den Umschlag auf, zog mehrere Blatt Papier hervor und faltete das Schriftstück auseinander.

      Er gönnte sich ein zweites Glas Wein und begann zu lesen. Auf der ersten Seite standen Angaben über Zielgruppen, Personen, mögliche Schwierigkeiten und Probleme, ferner Zusammenhänge und Querverbindungen zwischen den einzelnen Gruppen und deren Zielpersonen. Auf der zweiten Seite las er Anweisungen und Vorschriften und das Ziel des Auftraggebers, sowie ein neues, überaus kompliziertes Verfahren für den Fall einer neuerlichen Kontaktaufnahme. Der Auftraggeber, so schien es, begann an Paranoia zu leiden. Während er las, machte er sich am Rand laufend Notizen. Dann faltete er das Schreiben wieder zusammen und steckte es zusammen mit dem Briefumschlag ein. Es gab bei diesem Auftrag noch ein paar Ungereimtheiten und er hatte längst nicht alle Informationen die er brauchen würde. Die Angaben würden noch folgen, dessen war er sich sicher und darum konnte er es ruhig angehen.

      „Wann und wie der Auftrag ausgeführt wird, bestimme immer noch ich, meine Herren“, dachte er bei sich.

      Dann winkte er dem Kellner und auf dessen Versicherung hin, dass die Küche noch offen sei, bestellte er Felchenfilet mit frischem Meerrettich auf Sauerampferbeet mit pommes creole. Der Fisch würde hervorragend mit dem Weisswein harmonieren. Er hatte eine gute Wahl getroffen.

      Auch wenn das Restaurant nicht danach aussah, seine Küche war hervorragend.

      Eine Stunde später zahlte er und verliess das Lokal. Endlich hatte er vom Auftraggeber grünes Licht erhalten, nachdem sich dieser wochenlang nicht entscheiden konnte. Er musste sich mit den Spezialisten treffen um den Auftrag perfekt und termingerecht durchführen zu können.

      Wie immer hatte er die richtigen Leute an der Hand und da er immer pünktlich zahlte, und vor allem fürstlich, würden sie auch diesen Auftrag nach seinen Vorstellungen erledigen. Schneider hatte schlussendlich auch einen Ruf zu verteidigen.

      ***

      Eisig kalt blies der Wind über die weiten Schneefelder. Die kahlen Bäume waren zu bizarren Gerippen erstarrt, Stamm und Äste mit einer glitzernden Eisschicht überzogen. Ein lauter Knall durchbrach die Stille als würde ein Schuss die Einöde durchdringen. Der mächtige Ast brach unter der Last. Die dicke, verharschte Schneedecke dämpfte seinen Aufprall und das leise Knirschen wurde übertönt vom unaufhörlichen Rauschen des Windes. Der Mann stapfte durch den Schnee, stemmte sich mühsam gegen den Nordwind, dick eingehüllt in seinen Pelzmantel. Als er kurz den Kopf hob um sich zu vergewissern, dass er noch auf dem richtigen Weg war, jagte ihm der Sturm kleine Eiskristalle ins Gesicht.

      Das alte Wirtshaus war sein Ziel. Ein Riegelbau, erbaut Anno 1743, so die Jahreszahl, die, in Stein gemeisselt, über der Tür stand.

      Das alte Haus verbarg sich hinter hohen Tannen, als wollte es sich vor der Unbill des Winterwetters verstecken.

      Wieder wirbelten Wolken von Schnee auf und der Mann stemmte sich gegen den scharfen, eisigen Wind, der die ganze Tiefebene in seinem winterlichen Griff hatte und diesen in den nächsten Tagen wohl nicht lockern würde.

      Er erreichte die schwere Eichentüre und als seine Hand den kalten Griff nach unten drückte, schlug der Wind die Tür auf und riss ihn mit ins Innere des dunklen Raumes. Der Mann drehte sich um und drückte die Pforte mit aller Kraft zurück ins Schloss.

      Schlagartig wurde es ruhig. Nur in seinen Ohren hallte noch das Brausen des Sturmes nach. Einen kurzen Augenblick lehnte er sich gegen die Wand und schnappte nach Luft. Dann schüttelte er sich und schob die Kapuze nach hinten. Er zog die Handschuhe aus und öffnete den Mantel. Noch einmal schüttelte er sich und die letzten Schneereste fielen auf den dunklen Holzboden. Erst jetzt öffnete er die nächste Tür und trat in den warmen Schankraum.

      Die wenigen Gäste hoben ihre Köpfe und für einen kurzen Augenblick verstummten die Gespräche am mächtigen, runden, Stammtisch. Dann wandten sie sich wieder ihren Gesprächen zu, kümmerten sich wieder um ihre eigenen Angelegenheiten.

      Auch der Wirt hielt einen Moment inne, taxierte den neuen Gast, schien nichts beunruhigendes an ihm festzustellen und fuhr fort mit einem Geschirrtuch den grossen Bierhumpen auszureiben.

      Der neue Gast steuerte auf die Garderobe zu und schälte sich aus seinem Pelzmantel. Auf dem Weg dorthin schweifte sein Blick suchend durch den Raum. Er hängte seinen Mantel auf und schlenderte dann quer durch die Schenke auf einen Tisch zu der am Fenster stand. Er wich dem glühenden Eisenofen aus und hielt sich dabei gut einen Meter davon entfernt. Gross war die Hitze die das eiserne Monstrum verbreitete und deswegen war es so wohlig warm in der alten Schankstube.

      Die Tische und Stühle aus Eichenholz, die lange Theke mit dem reich verzierten Zapfhahn, die unzähligen Flaschen im Wandgestell dahinter, die Bilder an den Wänden und die alten Lampen die von der reich bemalten Balkendecke hingen, all dies machte den Eindruck, als wäre die Zeit stehen geblieben und war ein Abbild längst vergangener Tage.

      Der Gast beachtete dies alles nicht, auch nicht, dass der alte Holzboden unter seinen Füssen knarrte und nur wenig Licht durch die kleinen, von Kondenswasser beschlagenen Fenster ins Innere des Raumes fiel.

      Die drei Kameraden sassen schon am Tisch und die Begrüssung war überaus herzlich. Er drückte den Dreien mit aller Kraft die Hand und lachte dabei. Dann erhielten noch alle einen leichten Klaps auf den Kopf. Ihr Begrüssungsritual, aus der Zeit als sie zusammen in der Armee gedient hatten. Er griff nach dem letzen freien Stuhl und setze sich geschmeidig.

      „Hoffentlich habt ihr mir etwas übrig gelassen.“ Vorwurfsvoll wanderte sein Blick über den Tisch

      Herrlich duftendes Weissbrot, würzig riechender Käse und eine Flasche Rotwein, schon zur Hälfte leer.

      „Natürlich haben wir, und nur für dich, das Beste aufgehoben“, tönte es von gegenüber. „Wir wissen doch, dass du Zuhause nichts zu essen bekommst -, und vor allem keinen so feinen Rotwein zu trinken.“ Gelächter hallte durch die Wirtsstube. Hier sass eine lustige Runde beisammen.

      Die Vier sahen aus wie tausend Andere auch, könnten in einer Fabrik oder bei einer Behörde arbeiten. Ihr Äusseres war unauffällig, ohne besondere Merkmale.

      Hätten sie aber die Ärmel hochgekrempelt, wäre es mit der Anonymität vorbei gewesen. Auf ihrem linken Oberarm hatten sie eine Schlange eintätowiert die sich in einem Kreis um ein