nicht?“ Clara Griesmayer sah ihn überrascht an. Sie hustete kurz. „Aber Sie sind doch Arzt!“
„Muss ich deswegen mit Kanonen auf Spatzen schießen?“
Frau Griesmayer blies ihren voluminösen Busen auf. „Wenn ich krank werde, kuriere ich mich so gut wie immer selbst.“
„Dagegen ist vom ärztlichen Standpunkt nichts einzuwenden.“
Dr. Kayser verblüffte die Frau immer mehr. „Nein?“, sagte sie staunend.
„Das hängt natürlich von der Schwere der Erkrankung ab“, schränkte Sven Kayser ein, „aber einer harmlosen Erkältung kann man durchaus auch mit bewährten Hausmitteln zu Leibe rücken.“
Oma Clara musterte ihn ungläubig. Sollte sie Dr. Kayser so sehr verkannt haben? „Ist das wirklich Ihre Überzeugung?“, fragte sie Sven lächelte. „Aber ja!“
„Es gibt sehr gute Hausmittel“, sagte Oma Clara.
Sven Kayser nickte. „Bin ganz Ihrer Meinung.“
Clara Griesmayer strahlte ihn begeistert an. „Sie werden mir immer sympathischer.“ Sie hustete erneut ein wenig.
„Würden Sie bitte den Oberkörper frei machen, Oma Clara?“
„Ja. Ja, natürlich.“ Frau Griesmayer knöpfte ihr Kleid auf, und Dr. Kayser untersuchte sie. Er diagnostizierte eine hartnäckige Bronchitis. Nicht Ernstes.
„So“, sagte er freundlich. „Sie können sich schon wieder anziehen. Erzählen Sie mir mal, was Sie gegen Ihre Bronchitis tun.“
Die Patientin hustete. „Also, mein Mann würde sofort literweise hustenstillende Mittel in sich hineinschütten.“
„Das wäre grundfalsch.“
„Freut mich, dass wir einer Meinung sind, Herr Doktor. Ich koche mir, um den Auswurf zu lösen, einen Bronchialtee, dem ich reinen Bienenhonig zusetze. Auf Brust und Rücken kommt ein ätherischer Balsam, der sowohl durch die Haut als auch durch die Atemluft, mit der sich seine leicht flüchtigen Wirkstoffe vermischen, wirkt, und außerdem inhaliere ich homöopathische Hustenmittel. So ein Kopfdampfbad ist nicht jedermanns Sache. Mir macht es nichts aus. Ich gieße kochendes Wasser in eine Schüssel, gebe einen Teelöffel von der Erkältungssalbe hinein, setze mich davor, beuge den Kopf darüber und decke mich mit einem Badelaken ab, und dann atme ich den Dampf solange ein, wie er aufsteigt. Dann entferne ich das Badetuch, reibe mein Gesicht feucht ab und trockne mich mit einem Frottiertuch ab. Das bleibt dann noch eine Weile über meinem Kopf, bis ich mich abgekühlt habe. Weniger anstrengend, aber auch nicht so wirksam, ist das Inhalieren mit einem Trichter, deshalb halte ich nichts davon.“
Clara Griesmayer zählte auf, mit welchen Gemüsearten sie ihren Husten behandelte: Lauch, Lauchsaft, Löwenzahnsaft, Meerrettich und Petersiliensaft. Zu ihrem großen Erstaunen ergänzte Dr. Kayser ihre Liste mit: Rhabarber, Salbeisaft, Sellerie, Spargel, Spinat, Tomaten, Traubensaft, Wirsing und Zwiebeln. Und er schrieb ihr kein einziges Medikament auf. Da hatte er sie vollends für sich eingenommen.
2
Als Oma Clara die Grünwalder Praxis verlassen wollte, stieß sie an der Tür mit Berta Dietrich zusammen. Die beiden Frauen wohnten in derselben Straße und luden sich ab und zu gegenseitig zum Kaffee ein. Berta Dietrich – sie war in Oma Claras Alter – stützte sich auf einen Stock.
„Ja, Frau Dietrich“, staunte Clara Griesmayer, „was ist denn mit Ihnen los? Wieso brauchen Sie einen Stock?“
„Ach, fragen Sie mich nicht“, ächzte Berta Dietrich, eine schlanke, gepflegte, gut gekleidete Frau, die ihr graues Haar braun färbte und dadurch wesentlich jünger aussah. „Meine Arthrose macht mir immer mehr zu schaffen. Das linke Knie ist ganz plötzlich angeschwollen und tut höllisch weh.“
„Wissen Sie was? Ich warte auf Sie, und wir gehen gemeinsam heim.“
„Das wäre mir sehr recht, aber wartet Ihr Mann nicht zu Hause auf Sie?“
„Ottokar hat seit zwei Monaten einen Rentnerjob: Er macht Botengänge. Bringt nicht allzu viel, aber’n bisschen was ist es auch.“
Die Anmeldung war im Moment nicht besetzt. Als Gudrun Giesecke dann erschien, grinste sie Clara Griesmayer breit an. „Zuerst woll’n Se von Arztbesuchen nischt wissen, und uff eenmal können se nich jenug von uns kriejen.“
„Nun bin ich wieder bloß Begleitperson“, erklärte Oma Clara.
Im Wartezimmer musste sie ihrer Bekannten dann erzählen, was sie in die Grünwalder Arztpraxis geführt hatte. Sie hustete kurz. „Deswegen“, sagte sie danach. „Sie wissen ja, wie Ottokar ist. Ohne Doktor könnte der überhaupt nicht existieren.“
„Also, ganz ohne Arzt kommt ja niemand aus.“
„Klar. Und dann ist Dr. Kayser genau der Richtige. Er spritzt nicht gleich Antibiotika und spricht auch homöopathischen Mitteln nicht von vornherein ihre Heilkraft ab, wie das manch anderer Arzt so gern mit einem überheblichen Lächeln tut.“
Während sie sich unterhielten, verging die Zeit. Marie-Luise Flanitzer, die zweite Arzthelferin, rief Frau Dietrich auf. Seufzend erhob sich die Patientin.
„Ich drücke Ihnen die Daumen“, sagte Oma Clara aufmunternd. „Dr. Kayser kann Ihnen bestimmt helfen.“
Berta Dietrich humpelte ins Sprechzimmer. „Guten Tag, Herr Doktor.“
„Guten Tag, Frau Dietrich.“ Dr. Kayser gab ihr die Hand. „Macht Ihnen Ihr Knie zu schaffen?“
Die Patientin verzog das Gesicht zu einer leidvollen Grimasse. „Und wie, Herr Doktor! Ganz dick ist es angeschwollen, und schmerzen tut es – ich kann’s gar nicht sagen, wie sehr.“
Schon vor Jahren hatte Dr. Sven Kayser bei der Patientin eine Arthrose diagnostiziert und Rheumatabletten verordnet, die sie gut vertragen hatte und die ihr auch geholfen hatten. Immer, wenn sie Beschwerden gehabt hatte, hatte sie eine Tablette genommen, und dann waren die Beschwerden wieder weg gewesen. Doch seit einigen Tagen wirkte das Medikament nicht mehr, und die Schmerzen waren kaum noch auszuhalten.
„Besonders schlimm ist es am Morgen beim Aufstehen“, klagte die Patientin. „Da komme ich fast nicht hoch. Erst wenn ich einige Schritte gemacht habe, lassen die Schmerzen etwas nach, aber ohne Stock kann ich nicht mehr gehen. Wieso wirken die Rheumatabletten auf einmal nicht mehr, Herr Doktor?“
„Das kann ich Ihnen erst sagen, wenn ich Ihr Knie untersucht habe, Frau Dietrich“, erwiderte Dr. Kayser.
„Wenn ich mich auf die Zehen stelle, ist der Schmerz besonders heftig. Und mir ist aufgefallen, dass sich meine Venen am Unterschenkel verdickt haben.“
Das fiel Sven Kayser bei der anschließenden Untersuchung ebenfalls sofort auf, und als er das Bein der Patientin im Kniegelenk streckte, stöhnte sie schmerzlich auf.
„Entschuldigung“, sagte er, „aber das musste leider sein.“
„Schon gut“, sagte Frau Dietrich leise. „Ich weiß, dass Sie mir nicht zum Spaß weh tun. Es schmerzt vor allem in der Kniekehle.“
Dr. Kayser nickte. „Würden Sie sich mal auf den Bauch legen, Frau