bangte es vor der Rückkehr ihrer Zofe Edith. Sie wusste ja nicht, wie Christian Schopenbrink reagierte, wenn Edith so unvermittelt bei ihm auftauchte. Vielleicht wollte er ja gar nicht mit ihr sprechen?
Immerhin waren sie ein wenig befreundet gewesen, sonst hätte er sie wohl nicht auf das kleine Fest seiner Schwester Gordula eingeladen. Adele hatte es viel Überwindung gekostet, um dorthin zu gehen, und eigentlich hatte sie jede Minute dort bereut, bis Johann sie angesprochen hatte.
Das hatte alles verändert. Nicht nur für sie, sondern auch für ihn und letztlich sogar eben ihrer beider Leben. Und würde dies auch für alle Zukunft. Soviel jedenfalls stand fest. Egal, ob sich nun Christian Schopenbrink bereit erklärte, ihr zu helfen, ja, sie sogar in seinem Hause aufzunehmen.
Adele war sich durchaus darüber im Klaren, was sie da von diesem Mann verlangte, den sie nach dem kleinen Fest niemals wieder kontaktiert hatte. Sie war ja nur noch an ihrem Johann interessiert gewesen. An Christian hatte sie ehrlich gesagt überhaupt keinen weiteren Gedanken mehr verschwendet.
Rächte sich das jetzt, wenn sie ausgerechnet jetzt ein solch großes Opfer von ihm verlangte?
Im Grunde genommen konnte er ja nur ablehnen. Dass Adele überhaupt Edith in diese Gefahr gebracht hatte, bereute sie allmählich zutiefst. Sie hätte es am liebsten rückgängig gemacht, wäre es noch gegangen.
Und ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt öffnete sich die Tür und jemand trat ein, den sie hier am allerwenigsten erwartet hatte: Ihr Großvater Hermann Brinkmann!
Nicht nur, dass er sich über das Besuchsverbot, ausgesprochen von seiner Frau, hinwegsetzte: Seit wann interessierte er sich überhaupt für seine Enkeltochter Adele?
Er wirkte sehr bekümmert und wagte es gar nicht, seine Enkelin anzusehen, als würde ihn das schlechte Gewissen plagen.
Was war denn überhaupt los mit ihm?
Adele dachte an ihre Zofe und daran, dass sie bereits deren Rückkehr erwartete. Das war dann ziemlich ungünstig. Wieso musste ihr Opa ausgerechnet jetzt hier erscheinen?
„Höre sie zu, Adele, ich will nicht lange darum herum reden: Dass Georg Wetken von ihr und diesem Johann erfahren hat, das ist allein meine Schuld!“
„Wie bitte?“, rief sie entsetzt und vergaß darüber sogar die förmliche Anrede, wie man sie ihr innerhalb der Familie beigebracht hatte. Immerhin war das ja ihr Großvater, also zumindest offiziell der zweitmächtigste Mann von Hamburg, und sie war nicht vertraulich genug mit ihm, um auf die förmliche Anrede so einfach verzichten zu dürfen.
„Johanns Vater weiß davon?“ Also hatte sie mit ihrer Vermutung tatsächlich richtig gelegen!
Hermann Brinkmann beschwichtigte mit beiden Händen.
„Ja, gewiss, aber bitte, es hat keinerlei Auswirkungen auf Johann, wenn ich das richtig sehe. Ich will mich jetzt nicht herausreden, aber ich handelte im Auftrag meiner Gemahlin. Sie weiß ja, wie diese ist. Und irgendwie ist es dem werten Herrn Johann wohl gelungen, trotzdem noch seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Aber deshalb bin ich gar nicht hierhergekommen, in ihre Gemächer, eigentlich...“
„Wieso sonst?“, erkundigte sich Adele distanziert, wobei sie die förmliche Anrede schon wieder vergaß: Ihr Opa, der Verräter? Im Auftrag seiner Frau?
Ja, gewiss, das sah ihm tatsächlich ähnlich, so schlimm das auch erschien. Und ja, wieso war er jetzt hierhergekommen, zu ihr, obwohl sie niemanden empfangen durfte, außer Oma Margarethe? Um sie noch zusätzlich zu quälen, indem er ihr mitteilte, was mit Johann passiert war?
Nein, Hermann Brinkmann hatte ganz anderes im Sinn, wie er sogleich klar machte:
„Ich bin zu ihr gekommen, weil ich wissen will, wie ich ihr helfen kann! Ich kann es einfach nicht länger mit ansehen, wie meine Gemahlin sie quält. Es ist meiner Gemahlin zwar nicht gelungen, diesen Johann regelrecht zu vernichten, was wohl ihre Absicht gewesen war, aber ich weiß nicht, was jetzt noch kommen wird. Wir müssen damit rechnen, dass sie meine liebste Enkeltochter dafür noch zusätzlich büßen lässt.
Sie sollte ihren Johann auf keinen Fall jemals wiedersehen. Darüber ist sie sich doch sicher im Klaren?“
Adele nickte nur traurig.
Und er fuhr fort:
„Also bitte, meine liebste Enkeltochter Adele, teile sie mir nun mit, was ich für sie tun könnte, und ich verspreche ihr, dass ich es tun werde!“
Adele betrachtete ihn nachdenklich. Meinte es ihr Opa wirklich ernst?
Alles sprach eigentlich dafür, obwohl ein letzter Rest von Skepsis in ihr zurückgeblieben war.
Dennoch musste sie es jetzt wagen. Vielleicht würde sie niemals wieder eine solche Möglichkeit bekommen?
Und im Grunde genommen war es ja kein echtes Risiko, das sie dabei einging. Es würde ihre Situation ja kaum noch verschlimmern können. Falls das überhaupt in seiner Absicht lag – und dagegen sprach eben seine ganze Haltung ihr gegenüber.
„Würdet Ihr mich auch unterstützen, mit Verlaub, mein Großvater, wenn ich beabsichtigen würde...“
Die Stimme versagte ihr den Dienst. Sie benötigte viel Kraft, um es auszusprechen, immer noch hinsichtlich der Möglichkeit, dass sie es dem Falschen gegenüber gestand:
„Wenn ich beabsichtigen würde, diesem meinem Gefängnis zu entfliehen?“
Seine Augen weiteten sich unwillkürlich. Es verschlug ihm sichtlich die Sprache.
Nach einer Weile erst murmelte er brüchig:
„Sie will wirklich unserem Hause den Rücken kehren? Aber, mein Kind, wohin will sie denn überhaupt? Einer Hansetochter steht nicht einfach die Welt offen, wie es ihr beliebt. Wenn sie dieses Haus hier verlässt, ist sie auf sich allein gestellt. Wer soll ihr helfen, wer sie beschützen? Ihr Johann ist wohl nicht erreichbar, und er wird sowieso gar nicht wissen, in welche Situation sie sich selber gebracht hat...“
Geduldig wartete Adele ab, bis er seine Ansprache beendet hatte.
„Mein Entschluss steht fest!“, verkündigte sie mit fester Stimme. „Alles ist besser als hier zu bleiben und weiterhin der Willkür meiner Großmutter ausgeliefert zu sein. Wer weiß, was ihr sonst noch einfallen wird, um mich zu quälen? Mit Verlaub: Das habt Ihr doch vorhin sogar selber schon angedeutet.“
Er schüttelte fassungslos den Kopf.
„Ja, ich könnte meiner liebsten Enkelin dabei durchaus helfen. Es wäre sogar ziemlich einfach für mich. Ich müsste nur mit ihr hier hinaus spazieren.
Wir würden gemeinsam das Haus verlassen. Kein Mensch würde es wagen, uns aufzuhalten, trotz der gegenteiligen Befehle ihrer Großmutter.
Das hätte für mich im Nachhinein natürlich böse Folgen, denn meine Gemahlin Margarethe würde das nicht so einfach hinnehmen, wie sie sich denken kann. Aber das wäre mir egal. Dieses Risiko würde ich für sie eingehen. Das wäre es mir wert.
Mein Mädchen, ich war nie ein guter Opa für sie, aber jetzt will ich es endlich sein! Ich muss nur auch wissen, wie es danach für sie weitergehen soll. Wenn ihr dort draußen etwas Schlimmes widerfahren sollte, würde ich mir das selbst niemals verzeihen können!“
„Es wird mir dort draußen nichts Schlimmes widerfahren können. Dafür werde ich sorgen“, versprach Adele, und es lag viel mehr Überzeugung in ihren Worten als sie tatsächlich empfand. „Ich bin sogar schon dabei, dafür Vorsorge zu treffen“, versprach sie darüber hinaus auch noch.
„Aha?“, wunderte er sich und betrachtete sie forschend. Doch als er sah, dass sie ihm nicht weiteres verraten wollte, winkte er ab. „Also gut. Wann soll ich kommen, damit sie und ich gemeinsam das Haus verlassen? Oder sollen wir es jetzt sofort tun? Vielleicht will sie ja auch noch vorher packen oder was?“
„Nein,