dahin mir die Kleidung einer Bediensteten zu beschaffen. Dann verlässt halt Hansekaufmann Hermann Brinkmann mit einer Bediensteten das Haus, und es wird nicht so schnell auffallen, dass ich nicht mehr da bin.“
„Oh, das ist eine vortreffliche Idee“, lobte er sie. „Einverstanden, das will ich für sie tun. Und wann soll ich dann wieder kommen?“
„Nach Einbruch der Dunkelheit!“, bat Adele ihn, denn sie hatte Edith aufgetragen, Christian mitzuteilen, dass sie sich mit ihm dann in der Nähe des Hauses treffen wollte, natürlich so, dass man sie nicht vom Haus aus beobachten konnte.
„Ich werde pünktlich erscheinen!“, versprach ihr Opa hoch und heilig und ging wieder.
Kaum war er verschwunden, als Edith endlich zu Adele zurückkam. Sie lächelte zuversichtlich bei ihrer Ankunft, was Adele gleich wieder neuen Mut machte.
Eigentlich hatte sie ja für ihre Flucht sich von Edith helfen lassen wollen. Sie hatte auch vor gehabt, eine ihrer Uniformen anzuziehen. Das war nicht mehr nötig, wenn ihr Großvater ihr half. Dann konnte sie Edith außen vor lassen, und Margarethe Brinkmann konnte danach nicht sie dafür verantwortlich machen, dass ihrer Enkelin die Flucht aus dem Hansehaus Brinkmann gelungen war, gegen ihren erklärten Willen.
15
Die Bediensteten des Hansehauses Wetken zeigten sich überrascht, als unerwartet ein Bote am Dienstboteneingang vorsprachig wurde. Angeblich, um eine Depesche zu überbringen.
Auf die Frage hin, mit welchem Inhalt, verweigerte er die Aussage und betonte, die Depesche sei ausschließlich zur persönlichen Übergabe für Herrn Johann Wetken bestimmt. Er wollte dabei noch nicht einmal verraten, wer ihn überhaupt ausgesendet hatte.
Da verstanden die Bediensteten keinen Spaß: Wenn er nicht sagen konnte, von wem die Depesche stammte, wurde er ganz einfach abgewiesen.
Daraufhin erst bequemte sich der Bote, zuzugeben, dass der Absender Gordula Schopenbrink hieß.
Die Überraschung war perfekt. Was wollte wohl Gordula Schopenbrink ausgerechnet Johann Wetken mitteilen? Was konnte denn da so dringend sein?
Nun hatten sie ausdrücklich in allen Gelegenheiten, die ihren Herrn Johann Wetken betrafen, eindeutig Order, dessen Vater Georg Wetken in Kenntnis zu setzen. Auf jeden Fall noch vor Johann Wetken.
Genau das taten sie dann auch: Georg Wetken erfuhr umgehend, dass Gordula Schopenbrink eine Nachricht hatte für seinen Sohn. Und er dachte sich, dass es wohl tatsächlich besonders dringlich sein musste, wenn sie dafür sogar einen persönlichen Boten entsendet hatte.
Und er wurde neugierig. Immerhin so neugierig, dass er sogleich seinen Sohn aufsuchte und diesem befahl, ihm zu folgen, ohne ihm allerdings mitzuteilen, worum es überhaupt ging. So trug es sich zu, dass sie beide vor dem Boten auftauchten, was dem sichtlich Kummer bereitete.
Bis Georg Wetken ihm unmissverständlich klar machte, dass er sofort die Depesche herausrücken musste, und falls nicht freiwillig, dann würde er nachhelfen lassen.
An seinen höchst erstaunten Sohn reichte er schließlich die Depesche weiter, ohne sie selbst zu öffnen, und meinte dabei mit einem süffisanten Lächeln:
„Von deinem überaus geliebten Schatz Gordula übrigens!“
Das fand Johann gar nicht so lustig, doch er sagte nichts dazu, öffnete die Nachricht, die so überaus dringlich zu sein schien, und las tatsächlich nur einen einzigen Satz darin, den er seinem Vater laut vortrug:
„Wir müssen ganz dringend miteinander reden!“
Zwar hatte Gordula nicht hinzu gefügt, dass es sofort sein musste, doch wenn es wirklich dringlich war, konnte das ja eigentlich nichts anderes bedeuten.
Sein Vater nickte ihm nur grinsend zu und sah anschließend seinem Sohn hinterher, der sofort los lief. Dabei fragte er sich, was da wohl wirklich vorgefallen war.
Er dachte dabei nämlich nicht zufällig an das Hansehaus Brinkmann. Steckte vielleicht sogar wieder Margarethe Brinkmann dahinter?
Es hätte ihn jedenfalls nicht sonderlich verwundert.
16
Gordula wirkte ungewöhnlich aufgeregt, als Johann am verabredeten Treffpunkt eintraf, wo sie schon auf ihn wartete. Bevor er sie noch fragen konnte, was denn vorgefallen sei, was sein Kommen dermaßen dringlich machte, erzählte sie ihm von Adeles Zofe Edith und davon, dass sie gemeinsam mit ihrem Bruder Christian beschlossen hatte, Adele bei sich aufzunehmen.
Zunächst einmal natürlich ohne das Wissen ihres Vaters Hieronymus Schopenbrink, den Christian noch möglichst schonend auf die Situation vorbereiten musste, sobald sie eingetreten war.
Johann fehlten zunächst die Worte. Adele war bereit zu fliehen? Er hatte noch niemals davon gehört, dass solches jemals passiert wäre. Eine Tochter der Hanse, die aus ihrem Hansehaus floh, um von einem anderen Hansehaus aufgenommen zu werden, das ihr Schutz gewährte? Das erschien so unmöglich wie fantastisch. Doch dabei schlug sein Herz unwillkürlich höher, weil er tatsächlich die vorher noch undenkbare Konsequenz bedachte:
Sie konnten sich wiedersehen!
Das zumindest!
Zwar unter Voraussetzungen, die zunächst einmal äußerst prekär wirkten, doch immerhin... Und genau dafür sollte er dankbar sein, noch bevor er sich allzu große Sorgen um die Zukunft vor allem von Adele machte.
Denn wie würde es dann weiter gehen? Wer hatte hierzu schon eine brauchbare Idee?
Gordula jedenfalls nicht, wie sie ihm gegenüber gestand, und auch Johann sah sich schon bald regelrecht hin und her gerissen zwischen absoluter Euphorie und Wiedersehensfreude einerseits und andererseits äußerst berechtigt erscheinender Sorge.
Einmal abgesehen davon, dass auch Hieronymus Schopenbrink ein Risiko dabei darstellte, weil niemand wusste, wie er am Ende wirklich darauf reagieren würde.
Nicht zu vergessen: Wenn Margarethe Brinkmann hinter diese Aktion kam: Wie würde sie denn eigentlich reagieren? Das war im Grunde genommen noch unwägbarer. Man musste wohl mit dem Allerschlimmsten rechnen.
Mit jeder Minute, die noch verstreichen würde bis zum Abend, wenn Adele ihre Flucht tatsächlich durchführen wollte, wuchs noch Johanns Sorge um sie. Andererseits konnte er es kaum noch erwarten, obwohl es nicht mehr allzu lange bis dahin war.
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