Walter G. Pfaus

Sammelband 6 Krimis: Die Konkurrenten und andere Krimis für Strand und Ferien


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      „Zumindest, solange nicht irgendein gerechtfertigter Notfall vorliegt“, gestand ich zu.

      Der Regen wurde so heftig, dass selbst die unermüdlich hin und her schwingenden Wischblätter es kaum schafften, einen klaren Durchblick zu gewährleisten.

      „Wieso bist du ausgerechnet heute so spät dran, Jesse?“, fragte Milo, als wir wenig später an einer Ampel halten mussten. „Ich bin fast aufgeweicht bei der verdammten Nässe!“

      „Ich war heute Morgen noch in der Werkstatt und hatte dort einen Sondertermin außerhalb der Geschäftszeiten.“

      Milo grinste.

      „Ach, hat das gute Stück schon seine Mucken?“

      Ich schüttelte den Kopf. „Keineswegs. Es waren nur noch ein paar Feineinstellungen vorzunehmen. Routinekram eben.“

      „Wer es glaubt wird selig. Mal ehrlich, ich weiß nicht, ob ich dieser Karre trauen kann!“

      4

      Als wir das Bundesgebäude an der Federal Plaza erreichten, ließ der Regen zum Glück endlich nach.

      Noch bevor wir unser gemeinsames Dienstzimmer erreichten, lief uns Agent Max Carter über den weg. Der Innendienstler aus der Fahndungsabteilung des FBI Field Office New York grüßte knapp und wies uns darauf hin, dass unser Chef in einer halben Stunde eine Besprechung in seinem Büro angesetzt hatte.

      „Du bist doch sicher informiert, worum es geht, Max!“, vermutete ich.

      Max nickte. „Das wird eine groß angelegte Operation mit internationaler Zusammenarbeit und so weiter...“

      „Drogen?“

      „Nein. Schon mal was von der Eremitage gehört?“

      „Ist das nicht ein Museum in St. Petersburg?“

      „Richtig.“

      „Dann geht es um illegalen Kunsthandel?“

      „Lass dich einfach überraschen, Jesse! Ich muss noch mal ein Dossier für euch zusammenstellen.“

      „Bis nachher.“

      Der illegale Kunsthandel hatte finanziell gesehen längst Dimensionen wie der Handel mit Drogen, Waffen oder Müll erreicht und war zu einem wichtigen Zweig des organisierten Verbrechens geworden, ohne dass die Öffentlichkeit davon besonders Notiz genommen hatte.

      Wir fanden uns zusammen mit einer Reihe weiterer G-men pünktlich im Besprechungszimmer von Mr Jonathan D. McKee, dem Leiter des FBI Field Office New York ein und nahmen Platz.

      Mandy grüßte uns knapp.

      Die Sekretärin unseres Chefs servierte Kaffee für alle. Außer uns waren unter anderem die Kollegen Clive Caravaggio und Orry Medina anwesend. Die Agenten Jay Kronburg und Leslie Morell trafen kurz nach uns ein.

      Max Carter schlich sich erst auf leisen Sohlen in den Raum, als Mr McKee bereits zu sprechen begonnen hatte.

      „Über die Bedeutung des illegalen Kunsthandels für das organisierte Verbrechen brauche ich wohl kaum noch ein Wort zu verlieren“, erklärte unser Chef. „Da werden Milliarden umgesetzt und wir kommen an die Hintermänner noch schwerer heran als im Drogenhandel. Jetzt erreichte uns eine Bitte des Innenministeriums der Russischen Föderation um Zusammenarbeit, die für uns möglicherweise die Chance bietet, einige dieser mafiösen Strukturen endlich aufzudecken. Wir kommen auf diese Weise an Informationen heran, die uns da weiterhelfen werden. Sie haben vielleicht von dem Skandal um die Kunstgüter der Eremitage in St. Petersburg gehört. Offenbar sind dort seit Jahren massenhaft Kunstgegenstände verschwunden und auf dem schwarzen Markt verkauft worden. Vom Wachpersonal bis zur Kuratorin steckten maßgebliche Teile des Museumspersonals mit den Kriminellen unter einer Decke. Die Ware tauchte später zu einem Teil auch hier in New York auf. Und das geht nun schon seit Jahren so. Jetzt ist dieser Connection der Kopf abgeschlagen worden. Aber an dieser Stelle übergebe ich das Wort besser an Agent Milton Dennister.“ Mr McKee deutete auf einen Mann in den Fünfzigern. Außer einem schmalen, dunklen Haarkranz hatte er keine Haare mehr am Kopf. „Agent Dennister wurde uns von der Zentrale in Washington als Experte für den internationalen Kunsthandel zugeteilt und wird uns mit seiner Sachkenntnis unterstützen. Bitte Milton, Sie haben das Wort.“

      „Danke, Sir.“ Milton Dennister erhob sich und aktivierte den Beamer des Laptops, das vor ihm auf dem Tisch stand. Auf Knopfdruck wurde das Bild einer Frau von Mitte fünfzig projiziert. „Sie sehen die Kuratorin der Eremitage in St. Petersburg. Nachdem eine Revision der Bestände angekündigt wurde, traf sie buchstäblich der Schlag. Die Revision ergab dann auch den Grund. Es fehlten erhebliche Teile des Bestandes, die offenbar über ein kriminelles Netzwerk auf den Markt gebracht wurde. Eine Reihe von Personen wurden verhaftet, darunter der Ehemann und der Sohn der Kuratorin. Der festgestellte Schaden ist nicht einmal abschätzen, denn ein Teil des Eremitage-Bestandes ist noch nicht einmal richtig katalogisiert gewesen. Man weiß bis heute nicht, wie viele Stücke wirklich verschwunden sind. Tatsache ist, dass eine Art Panikwelle durch den illegalen Kunstmarkt fegte, die einmal um den ganzen Globus schwappte und wohl noch nicht ganz abgeebbt ist. Selbst hier in New York waren ein paar Ausläufer davon zu spüren. So verzeichnen wir seit einiger Zeit ein deutlich erhöhtes Angebot an Kunsthandwerk, Ikonen und Schmuck, die genau zum Bestand der Eremitage passen. Hin und wieder haben wir Glück und man kann die Herkunft nachweisen. Häufiger ist das jedoch nicht der Fall und es bleibt nur die Vermutung, dass mit der Herkunft etwas nicht stimmt.“ Milton Dennister aktivierte noch einmal den Beamer. Das Gesicht eines Mannes im dunklen Rollkragenpullover wurde sichtbar. „Wir haben im Zusammenhang mit Auftauchen von inflationär vielen Ikonen in New York, Boston und Philadelphia einige wertvolle Hinweise des Innenministeriums der Russischen Föderation erhalten, die es uns vielleicht möglich machen, auch bei uns ein paar Leuten das Handwerk zu legen, die schon seit Jahren den illegalen Kunsthandel als organisiertes Verbrechen betreiben und dabei bereit sind über Leichen zu gehen. Der Mann, den Sie hier sehen, heißt Sergej Sergejewitsch Michailov. Er arbeitet für ein Kunsthandels-Syndikat in St. Petersburg. Letzte Woche wurde er dort im Café Rasputin von einem Killer erschossen, als er sich mit einem Mann namens Vladimir Bykov traf.“ Dennister sorgte dafür, dass der Beamer das nächste Bild zeigte. Ein Mann im konservativen Dreiteiler war zu sehen. Er wirkte so bieder wie ein Bankangestellter. „Bykov lebt seit zwanzig Jahren in New York. Davor war er Angestellter der russischen UNO-Botschaft und KGB-Agent. Wir nehmen an, dass seine Verbindungen zu dieser Organisation auch noch fortbestanden, nachdem sich der KGB in FSB umbenannt hatte und Bykov aus dem Botschaftsdienst ausschied. Offiziell übrigens deswegen, weil er Mitglied der Kommunistischen Partei war, die Boris Jelzin kurz nach dem Putsch gegen Gorbatschow verbieten ließ. Aber seine angebliche Treue zum Kommunismus hat ihn nicht daran gehindert, anschließend nach allen Regeln der Kunst zu einem kapitalistischen Geschäftsmann zu werden. Er blieb in New York, hatte offenbar gute Fürsprecher bei den Behörden und ist inzwischen Amerikaner.“

      „Hat er vielleicht ein paar KGB-Geheimnisse verraten, damit jemand die Hand über ihn hält?“, fragte Clive Caravaggio. Der flachsblonde Italoamerikaner schlug die Beine übereinander. Er war nach Mr McKee der zweite Mann in der Hierarchie des FBI Field Office New York.

      Dennister drehte sich zu ihm um und nickte. „Daran habe ich auch gedacht. Und ich habe versucht, etwas darüber in den Archiven zu finden. Zumindest, was das FBI betraf, waren sie mir zugänglich.