Alfred Bekker

Sammelband 7 Krimis: Tuch und Tod und sechs andere Thriller auf 1000 Seiten


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anderen, die in dem Gewerbe tätig sind. Die glauben, dass sie schon Detektiv sind, wenn sie nur den Gewerbeschein in der Tasche haben. Na ja, das ist bei dir anders, Berry. Ich brauche dir also keine langen Vorträge zu halten ...“

      „Dann lass es am besten auch!“, fuhr ihn Berringer in die Parade.

      „Schon gut.“ Dietrich hob eine Hand. „Ich möchte, dass du mich umgehend informierst, wenn du etwas herausgefunden hast.“

      „Sofern das den Interessen meines Auftraggebers nicht zuwiderläuft – ja.“

      „Ich weiß nicht, weshalb es dessen Interesse zuwiderlaufen sollte, am Leben zu bleiben.“

      „Ich meine ja nur.“

      Dietrich nickte leicht. „Schön, dass wir uns da so einig sind, Berry.“ Er griff erneut zur Zigarettenschachtel. Björn Dietrichs Phase der Nikotinabstinenz schien vorbei zu sein. Mit etwas unter zehn Minuten hatte sie ihre maximale zeitliche Länge erreicht.

      Berringer verzog das Gesicht und sagte: „Ich lass dich jetzt rauchen, Björn. Wir haben ja alles besprochen.“

      „Nichts für ungut, Berry.“

      „Ich melde mich.“

      „Wehe, wenn nicht!“

      Bevor seine Hände vor Nikotingier anfangen zu zittern, dachte Berringer, gehe ich besser.

      Er wandte sich in Richtung Tür, hörte das Knipsen des Feuerzeugs und war erleichtert darüber, die Flamme nicht sehen zu müssen.

      Berringer war froh, wieder frei atmen zu können.

      Am Nordwall, an dem auch das Polizeipräsidium lag, befand sich passender Weise auch eine Haft- und Untersuchungsanstalt, sowie der Sitz des Land- und des Amtsgerichts.

      Verhaftung, Verhör und kurzer Prozess in erster und zweiter Instanz in ein- und derselben Straße, dachte Berringer. Sparte eine Menge Spritgeld ...

      Um zu seinem Wagen zu gelangen, musste er durch den Stadtgarten. Der Parkplatz, auf dem er den Wagen abgestellt hatte, befand sich un der Nähe des Arbeits- und Sozialgerichts am Preußenring.

      Seit Roman Dinescus Verurteilung wollte ihn Berringer in der Haft besuchen und zur Rede stellen. Soweit er erfahren hatte, erhielt der Lohnkiller in den Diensten der mysteriösen „Eminenz“ keinerlei Besuch von Angehörigen. Es wären also genug Termine frei gewesen. Gegen Dinescus Willen war das natürlich nicht möglich, aber bislang hatte Berringer noch nicht mal bei ihm anfragen lassen.

      Immer wieder hatte er das vor sich hingeschoben.

      Am Anfang hatte er natürlich viel Arbeit mit dem Aufbau seiner Detektei gehabt. Es erforderte schon ein gehöriges Maß an Energie, sich als Selbstständiger zu etablieren.

      Berringer hatte das zunächst unterschätzt. Andererseits konnte er im Nachhinein eigentlich von Glück sagen, eine Aufgabe gehabt zu haben, die ihn voll und ganz ausgefüllt und nur wenig Zeit zum Nachdenken gelassen hatte. Denn nichts war verheerender für die innere Stabilität als Grübelei. Der Gedanke daran, dass seine Frau und sein Kind noch hätten leben können, wenn er im Wagen gesessen hätte und nicht sie ... Dass dies alles gar nicht passiert wäre, hätte er sich nicht für jene Sonderabteilung freiwillig gemeldet, die der „Eminenz“ hatte zu Leibe rücken sollen ...

      Gedanken, Überlegungen, Mutmaßungen, die Berringer konsequent zu unterdrücken versuchte.

      Einmal die Woche ging er zu seinem Psychiater. Dort hatten diese Dinge Platz. Dort konnte er den inneren Dämonen etwas Freigang gewähren, wenn auch in einem eng umgrenzten Gehege.

      Berringer erreichte seinen Wagen, einem unscheinbaren Mitsubishi Carisma in graumetallic. Ein Wagen, an den man sich nicht erinnerte, der aber auch keine lahme Ente war – also wie geschaffen für jemanden, der Observationen durchzuführen hatte.

      Er fuhr los und fädelte sich in den Verkehr auf dem Preußenring ein, der nach kurzer Zeit den Namen wechselte und dann Frankenring hieß, da meldete sich sein Handy.

      Berringer hatte vergessen, es in die Freisprechanlage zu stellen, und während der Fahrt war das schlecht möglich.

      Also nahm er den Apparat ans Ohr.

      Jetzt nur keine Polizeistreife!, dachte er.

      „Hier Berringer.“

      „Hallo.“

      „Wer ist da?“

      „Vanessa. Erkennst du meine Stimme nicht?“

      „Was ist los?“

      „Ich rufe hier vom Rahmeier-Hof an.“

      „Hast du schon was herausgefunden?“

      „Und ob. Du glaubst nicht, was sich hier gerade abspielt!“ Der Tag ist klar und kalt. Dichtes Unterholz bietet perfekte Tarnung. Das Zielfernrohr wird justiert.

      Dampfende Pferde im Fadenkreuz.

      Der Puls rast.

      Und die Gedanken auch.

      Irgendwann muss jede Rechnung beglichen werden, jede Schuld gesühnt, jedes Verbrechen aufgedeckt und jedes Versäumnis ausgeglichen werden. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Herz um Herz. Und dieses Herz kann man an alles Mögliche hängen.

      An eine Idee, eine Religion, eine Erfindung oder an Menschen.

      Auch an diese schnaubenden Gäule auf der vor Frost starrenden und mit Raureif bedeckten Weide.

      Der Finger legt sich um den Abzug.

      Der Knöchel wird weiß.

      Richtig treffen, davon hängt alles ab.

      Gibt es Gerechtigkeit?

      Ja.

      Gibt es Frieden?

      Im Angesicht von Gräbern.

      Vielleicht ...

      Die Schüsse folgen dicht aufeinander. Ein Wiehern, so hell wie Kinderschreie. Ein Gedanke hämmert im Kopf. Es gibt keine Unschuld. Nirgendwo.

      Der Lauf senkt sich.

      Training ist alles!

      Fast eine Dreiviertelstunde brauchte Berringer, um sich durch Krefeld zu quälen, doch sein Navigationssystem führte ihn zuverlässig zum Rahmeier-Hof.

      Der Raum zwischen dem Haupthaus und den Stallungen war bereits zugestellt mit Fahrzeugen, sodass Berringer mit seinem Wagen wieder ein Stück zurücksetzen musste, um ihn am Rand der schmalen Straße abzustellen, die auf dem Hof mündete.

      Er stieg aus.

      Ein schwerer Güllegeruch hing in der Luft. Der Winter war lang und hart gewesen, und nun musste wohl alles auf die Felder, was sich in den Silos angesammelt hatte.

      Berringer verschlug es fast den Atem. Selbst die Industrieschlote in Krefeld rochen besser.

      Vanessa hatte ihn bereits entdeckt. Sie lief auf ihn zu.

      „Das hat ja lange gedauert!“ Es klang vorwurfsvoll, wie sie das sagte.

      „Tut mir leid, ich kann eben nicht fliegen“, knurrte er. „Mein Gott, dieser Gestank ...“

      Sie lächelte. „Manche Leute bezahlen viel Geld dafür, um so etwas schnuppern zu dürfen. Reiterferien oder Ferien auf dem Bauernhof nennt man das.“

      „Da kann ich auch gleich Ferien an der Kläranlage buchen“, maulte Berringer.

      Vanessa stemmte die Hände in die Hüften. „Meine Güte, so eine Großstadtpflanze bist du? Keine deftige Brise gewöhnt, was? Ich dachte, die Leute in deinem Alter haben als Kinder noch Baumhäuser gebaut, anstatt am Computer zu sitzen wie die Kids von heute!“

      Berringer ging nicht darauf ein. Stattdessen schloss er den Wagen ab und schritt auf den Hof