gerne britisch hat, sagt ‚Foxy‘. Zum Glück habe ich keine Sommersprossen.«
Ich drosch mir vor die Stirne und murmelte heiser:
»Ich Ochse! Ich Idiot! Ich war von Blindheit heimgesucht. Ich habe schon viel von Ihnen gelesen. Sogar ein Dummkopf wie ich hätte Venedigs besten Privatdetektiv erkennen müssen.«
»Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung«, sagte ‚Volpe‘, wie ich ihn ab sofort nennen möchte, lachend und legte mir den Arm über die Schulter, um mich ins Freiluftkaffee zu verschleppen, wo eine kleine Combo italienische Weisen spielte, zu denen ein Sänger schmachtend trällerte, darunter Italiens heimliche Nationalhymne »o, sole mio.«
Dass dies der Auftakt zu einer lebenslangen Freundschaft sein würde, konnte ich damals noch nicht ahnen. Dennoch war und ist es eine seltsame Partnerschaft, denn Volpe hat nie damit aufgehört, mich mit ‚Dottore‘ anzureden, während ich ihn ‚Giuseppe‘ nenne, wenn ich ihn anrede, ‚Volpe‘, wenn ich über ihn schreibe, sobald ich den Stress der Sommersaison hinter mir habe und die Touristenflut abgeebbt ist, holt er mich regemäßig nach Venedig herüber, wenn er einen kniffligen Fall hat, und dann gehen wir Seite an Seite auf Verbrecherjagd.
Beginnen möchte ich mit einem aktuellen Geschehen, das auf manch andere Abenteuer folgte. Es ereignete sich im November und Dezember 2019, als ich fast wahnsinnig wurde, weil die Wassermassen meine geliebte Stadt, die niemals untergehen darf, überrollt hatten und sogar den Markusdom samt der kostbaren Krypta überschwemmten.
Da die normale Verbindung unterbrochen war, rief mich Volpe auf dem Mobilfon an. Er sagte, ich solle den nächsten Dampfer nehmen und die Gummistiefel nicht vergessen, da mancher Ortes das Wasser noch zwanzig Zentimeter hoch stünde. Unverzüglich machte ich mich auf den Weg und ließ mich vom Freund durch die entsetzlich verwüstete Stadt führen.
Nach dem oben beschriebenen Weg stand ich in Gummistiefeln im 20 Zentimeter tiefen Wasser vor dem großen Campanile, wo mich Volpe abholte. Am Uhrturm verließen wir die Piazza und wanden uns durch die Gassen nordwärts (Venedig ist eine Stadt der Fußgänger), gingen an der ‚Chiesa di Santa Maria Formosa‘ vorüber, bogen links ab, um zum ‚Campo di SS. Giovanni e Paolo‘ zu gelangen, einer Kirche mit herrlicher Kuppel.
Auf dem ‚Campo‘ selbst aber steht die bronzene Reiterstatue des ‚Colleoni‘, größtes Werk des Renaissance-Künstlers di Cione, genannt ‚Verocchio‘; das größte solche Monument aller Zeiten.
Der Condottiere, hatte es Venedig als Vermächtnis gestiftet, aber man hatte es entgegen seinem Wunsch in 600 Metern Luftlinie Entfernung vom ersehnten Markuspatz errichtet, dort, wohin sich nur wenige Touristen verirren. So findet man hier Stille und Kultur höchsten Niveaus zugleich und auch ein nettes Lokal.
Arm in Arm, die Augen voller Tränen, gelangte wir schließlich zu seiner geräumigen Wohnung an der Südseite des Campo mit freien Blick auf Colleoni und Kirche, ein Eckhaus an der ‚calle di cavallo’ (Pferdegasse) und setzten uns ans Kaminfeuer, das Giovanni, Giuseppes Butler und Koch in einer Person, entfacht hatte. Nachdem wir uns einen guten Tropfen eingetrichtert hatte, steckte ich den Stick ins ‚Tablet‘, das mir der Freund reichte, um ihm den fertigen Bericht unserer Jagd auf den ‚Frauenmörder von Venedig‘ vorzutragen. In überarbeiteter Gestalt soll er nun folgen.
2. Teil: Die Jagd auf dem Würger von Venedig beginnt
Allzu viele Besucher der Serenissima verzichten auf eine Fahrt mit dem Vaporetto (‚Dampferchen‘) durch den Canale Grande und lassen sich im Bogen um die Innenstadt herum über den ‚Canale della Giudecca‘ bis unmittelbar vor den Dogenpalast schippern. Von dort aus lustwandeln sie über die Piazzetta zum Markusplatz samt Dom und weiter zur Rialtobrücke.
Auf diesem Gelände drängen sie sich zu Tausenden zusammen und erhalten so ein unvollkommenes Bild der Stadt. Solange man sich nämlich nicht mit einer Gondel durch die vielen kleinen Kanäle hat fahren lassen und anschließend mit Hilfe eines Stadtplanes durch die engen Gässchen gepilgert ist, wird man nie ganz ins Leben der Venezianer eingetaucht sein.
Es ist schon erstaunlich, wie still es plötzlich wird, wenn man den Platz vor der oben genannten Basilika der Heiligen Johannes und Paulus erreicht hat und zum weltweit schönsten Reitermonument aufblickt, das da auf hohem Sockel thront und den trutzig dreinblickenden Condottiere unsterblich gemacht hat.
Dahinter liegt ein Viertel voll von sprühendem Leben, das rein den Einheimischen vorbehalte ist. Die Fremden wissen nicht davon, wenn sie mit dem Vaporetto den Canal Grande Richtung Rialto unterwegs sind. Sie bewundern und filmen die Palazzi, allen voran die ‚Cá d‘ Oro‘ (Goldenes Haus), sonder Ahnung, dass sich dahinter dutzende von engen Gassen verbergen, in dem die Venezianer ihre Ruhe vor dem Touristenrummel haben, insbesondere, weil es im Herzen dieses Viertels keine Sehenswürdigkeiten gibt. In seinen Gassen mit ihren Läden, Werkstätten und Kneipen kehrt nicht einmal nachts Rune ein, wenn gewisse Damen vor grell erleuchteten Wirtschaften stehen, um den Gästen etwas mehr als nur Speis und Trank anzubieten.
Wo viel Leben ist, da blüht auch das Verbrechen, und ohne das stete Einschreiten von Venedigs Tenente Ambrosio di Fusco, dem der gesamte Bezirk untersteht, käme es dort regelmäßig zu Mord und Totschlag, denn neben den wenigen Palästen der Reichen beherbergt diese Gegend vor allem die Mietshäuser des Kleinen Mannes, der sehen muss, wie er durchkommt.
Oft ragen die Gebäude dort bis zu vier Stockwerke empor, und die Stadt hat nur wenige Lämpchen an den Wänden befestigt, um den trüben Gassen das Unheimliche zu nehmen, denn die Bauten sind so hoch, dass der Mond mit seinem bleichen Licht nur selten herein scheint:
Ebenda kam es zum einem Vorfall, der ganz Venedig vor Entsetzen erstarren ließ, und als sich die Dinge dann häuften, geriet unser Freund Ambrosio, Tenente der Carabinieri, an den Rand des Wahnsinns, denn der berüchtigte Täter ließ sich nicht fassen, ja, man hatte nicht die geringsten Anhaltspunkte, wer es sein könnte. Sämtliche Carabinieri der Stadt, angeführt vom Capitano (Hauptmann) Giulio Marcello, tappten im Dunklen.
3. Teil: Der erste Mord
Es war am sechsten Juli des Jahres 2019. Venedig litt unter einer unerträglichen Hitzewelle, und alles, was Rang und Namen hatte, war aus diesem brodelnden Kessel nach Rimini ans Meer geflüchtet. Die kleinen Leute, vor allem die Pensionäre und Rentner mit ihrer klammen Kasse, mussten in den grauen Mauern ausharren, und an Schlaf war kaum noch zu denken.
Als sich die ersten Schatten über das besagte Viertel senkten und der Glut des Tages eine Brise von der Adria her folgte, stürzten sich die Bewohner aus ihren stickigen Häusern heraus und ins Gewimmel der verwinkelten Gassen hinein. Überall erwachte das Leben zu pulsierender Heftigkeit. An allen Ecken und Enden Leben, Lärm und Musik, und noch vor der letzten Eck-Kneipe war wimmelte es vor durstigen Menschen.
Eine dieser Wirtschaften wurde »La Dolce Vita« genannt. Sie lag am ‚calle Zotti‘, fast noch im Schatten der Cà d‘ Oro, und wurde von einer krausköpfigen Frau betrieben. Wegen ihres dunklen Teints hatte sie den Spitznamen »Merio« (Amsel) erhalten. Wie sie wirklich hieß, schien niemand zu wissen.
Sie war mittelgroß und von üppiger Gestalt. Ihre Art, sich zu kleiden, nur als »leicht« zu bezeichnen, sollte übertrieben sein, denn manche Besucher der Kneipe sagten, wenn die Merio nur die Schuhe ablegte, sei sie nackt. Einige Männer liebten sie so innig, wie manch eine Frau sie hasste.
Am oben genannten Tag verließ die »Amsel« ihre Wohnung im der parallel gelegenen ‚calle Forno‘, aufgrund der Hitze nur in ein ärmelloses Männerhemd gehüllt, die klobigen Füße unterhalb der Beine dick wie Dönertrommeln mit ihren rot lackierten Nietnägeln in Flipflops steckend. Sandalen oder Turnschuhe hätten ihr vielleicht das Leben gerettet.
So stieg sie die fensterlose Treppe, aus ihrer Wohnung zur im Düsteren verschwimmenden Gasse hinab, um die hundert Meter zu ihrer Kneipe zu überwinden, die sie stets erst bei Einbruch der Nacht aufzusuchen pflegte, wenn