Meinhard-Wilhelm Schulz

Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis


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das wäre nicht wenig. Das Maßband brachte dann Gewissheit: Sie ist tatsächlich fast so groß wie ich.«

      »Schön und gut«, sagte Marcello verärgert, »aber wie soll uns das bei der Aufklärung des Falles weiterhelfen?«

      »Ganz einfach: Man muss nur die Verschiedenheit der beiden Kehlschnitte beachten, dann ist alles klar.«

      »Lieber Volpe«, mischte ich mich ein, »sie gleichen einander wie ein Ei dem anderen.«

      Ambrosio und Marcello nickten zustimmend. Volpe sagte:

      »Bei der Merio geht der Schnitt vom Eintritt in die Haut und dann ins Fleisch hinein leicht abwärts. Bei der anderen Frau erfolgt er hingegen waagerecht.«

      Der Tenente, Marcello und ich beugten uns erneut über die zwei Leichen. Der Angestellte hielt eine Lampe ganz nahe heran, und indem wir unsere Köpfe gleichzeitig wieder hoben, gaben wir Volpe unumwunden Recht. Er hatte besser als wir beobachtet.

      »Und was sollen wir damit anfangen?«, knurrte Ambrosio.

      »Gehen wir der Schilderung des ersten Falles nach, den ein Passant beschreiben konnte: Der Mörder kommt von hinten, nimmt die Frau mit dem linken Arm in den Schwitzkasten, um ihr mit dem Dolch in der rechten Hand die Kehle abzuschneiden. Da der Schnitt von oben nach unten erfolgte, war er größer als das Opfer. Bei der Ermordung der Handwerkersfrau war kein Zeuge zugegen, aber man kann davon ausgehen, dass der Vorgang dem ersteren glich. Hier seht her! Der Schnitt erfolgte waagerecht.

      Ambrosio, ich nehme jetzt dieses Lineal hier in die rechte Hand. Es soll das Messer des Täters darstellen, und jetzt stelle dich genau vor mich!«

      Der Tenente stellte sich vor ihn. Beide erwiesen sich als ungefähr gleich groß. Volpe setzte ihm den ‚Dolch‘ an die Kehle, während er ihm den linken Arm um die Brust legte. Wir alle sahen, dass die ‚Schneide‘ waagerecht stehend kam.

      »Gut, schön, wunderbar«, sagte Marcello gedehnt, nahm das Lineal und legte es wieder auf den Tisch, »dann wissen wir also, wie groß der Täter ist. Aber wie kannst du behaupten, dass wir bei der Waffe ausgerechnet nach einem Dolch fahnden müssen? Warum kein schlichtes Küchenmesser?«

      Volpe stöhnte und seufzte:

      »Dann schaut euch den Schnitt an der Kehle beider Frauen doch noch einmal an! Wenn ihr gute Augen habt, seht ihr das Ungleiche der Führung. Statt einer geraden Linie sind es kaum wahrnehmbare Schwünge, wie ein ungemein flacher und gewiss kaum sichtbarer Mäander, und so etwas kommt beispielsweise von einem Bowie Knife, aber nicht von einem Brotmesser.«

      »Warum könnte es nicht von irgendeinem anderen Messer kommen«, fragte ich in meiner Dummheit:

      »Ich kenne alle Messertypen von Berufs wegen und habe sie ausgiebig studiert. Nur ein Bowie Knife weist diesen Schliff auf. All die anderen großen, für den Haushalt hergestellten Messer, haben eine gerade Schneide und sind preiswerter als dieser Dolch da, der rein zum Töten konstruiert ist. Ihn öffentlich zu tragen, ist verboten, und er kommt auch nicht in den Handel. Also dürfte der Mörder aus gut betuchten Verhältnissen stammen.«

      »Und woher willst du wissen, dass das Messer beschädigt ist?«

      »Davon, mein Bester!«, sagte Volpe und deutete ungefähr auf die Mitte der beiden Wunden:

      »Der sonst glatte Schnitt ist hier unterbrochen, wo die Haut ein Wenig ausgefranst ist. Da es bei beiden Frauen zu sehen ist, vermute ich, dass der Dolch mitten in der Klinge eine Beschädigung aufweist und neu geschliffen werden müsste.«

      »Hm«, sagte Ambrosio, »da haben wir ja einiges über den Täter herausgefunden: Er ist reich und wohnt wahrscheinlich in einem der besseren Häuser unweit des Tatortes. Er ist ungefähr 1,80 Meter groß und tötet mit einem Bowie Knife, wie sie einst die US-Soldaten verwenden. Die Waffe weist eine Scharte auf.«

      »Du hast vergessen, dass ihn die Verfolger beim ersten Mord in einem Kapuzenmantel steckend gesehen haben wollen«, sagte Volpe und kicherte leise dazu.

      »Willst du damit behaupten, lieber Freund«, sagte Marcello, »dass der Mörder kein Einheimischer ist?«

      »Natürlich nicht, könnte jedoch sein«, sagte Volpe lächelnd, »aber einen solchen Umhang kann jedermann kaufen, und sei es als Internetbestellung, wenn er ihm gefällt. Habt ihr euch schon einmal kundig gemacht, wer so etwas vertreibt?«

      »Wo kämen wir da hin«, grummelte der Tenente, »wenn wir auch noch sämtliche Kleiderbuden und das Internet abklappern müssten. Wie sollte uns das weiterhelfen?«

      »Mein lieber Volpe«, spann Marcello den Gedanken weiter und zog die Decken wieder über die Leichen, »gewiss hast du deine eigenen Methoden, aber jetzt gehst du zu weit. Ich habe wirklich Besseres zu tun und muss sehen, wie ich zusätzliches Personal für die nächste Nacht auf die Beine stelle. Dergleichen Mätzchen sind dann doch eher etwas für die Gilde der Amateurdetektive. Nun, lass uns jetzt nach oben gehen.«

      Wir stapften die Stiegen zu seinem Arbeitszimmer hinauf und hockten uns um einen kleinen Tisch, den drei wackelige Beinchen aufrecht hielten. Jeder erhielt einen klapprigen Schemel. Der Angestellte kredenzte uns ein Gesöff, das größtenteils aus Wasser bestand, aber der Durst ließ es uns dennoch munden. Dann bat Marcello meinen Kameraden, ihm den Plan zur Ergreifung des Mörders vorzutragen.

      Volpe trug ihn in allen Einzelheiten vor. Wir drei hörten ihm gespannt zu. Es war ein faszinierender Plan, voller Risiken, aber auch mit guten Chancen. Ambrosio und Marcello gewährten ihm freie Hand und sicherten ihm in allen Belangen ihre Unterstützung zu. Ich aber sagte:

      »Die Verwirklichung ist erst morgen möglich. So lange wird es dauern, alles in die Wege zu leiten. Was geschieht in der nächsten Nacht in den schwarzen Schluchten der Stadt?«

      »Wir können nichts tun, als die Zivilstreifen zu verdoppeln«, sagte Marcello, »mehr ist nicht möglich.«

      »Vielleicht doch«, erwiderte Volpe, »und zwar dann, wenn wir es fertig bringen, uns in den Mörder hinein zu versetzen. Was wird er wohl jetzt tun?«

      »Vielleicht ist es ihm zu gefährlich und er bleibt diesmal lieber zu Hause«, sagte ich.

      »Was meinst du, Marcello?«, fragte Volpe.

      »Dann wäre er bereits letzte Nacht hübsch im Häuslein geblieben«, sagte der Polizeichef.

      »Meiner Meinung nach wird er es wieder darauf ankommen lassen«, sagte Ambrosio, »und wie ich ihn jetzt kenne, lässt er sich etwas völlig Neues einfallen.«

      »Höchstwahrscheinlich«, sagte Volpe, »und unser Doktor, der erfahrene Arzt, hat ihn als einen Menschen beschrieben, der im bisherigen Leben nichts als ein Würstchen war. Er genießt es jetzt, im Lichte der Öffentlichkeit zu stehen und wird wieder zuschlagen, kühn geworden durch seine Erfolge.«

      »Und wie, wann und wo?«, fragte Marcello.

      »Das kann nur er selbst wissen«, sagte Volpe, »aber wenn ich er wäre, dann würde ich es diesmal mitten in einer Kneipe oder Dergleichen versuchen. Das wäre die größte Steigerung, die er sich gönnen könnte.«

      »Und was ist dann, wenn er vermutet, dass wir ihn so einschätzen?«, rief ich in die Runde.

      »Da hast du vollkommen recht, lieber Doktor«, rief Marcello, »er ist intelligent genug, einen jeden unserer Schritte mit einzuplanen. Dennoch werde ich meine Männer anweisen, sich besonders um die abends noch offen stehenden ‚trattorie‘ zu kümmern. Wie viele gibt es davon übrigens dort?«

      »Jede Menge, große und winzig kleine in diesem unseren ‚piccolo Soho‘«, murmelte Volpe.

      »Oh, ihr gütigen Götter«, seufzten der Tenente und Marcello unisono. Ambrosio rief:

      »Woher sollen wir so viele Polizisten nehmen, ohne zu stehlen?«

      Volpe zuckte mit den Achseln. Betrübt und betroffen lösten wir unsere Besprechung auf. Mein Freund und ich eilten auf unvermeidlichen Umwegen zum