Meinhard-Wilhelm Schulz

Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis


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uns auf morgen. Aus diesem Grunde stiefelten wir mit nur halbem Erfolg nach Hause zurück, um uns der ‚Cena‘ zu widmen, welche wir uns von der Trattoria, die im Schatten der Johannes-Paulus-Kirche liegt, herüber schicken ließen.

      Das Köchlein dort hatte sich selbst übertroffen und einen göttlich mit Käse überbackenen Gemüseauflauf zubereitet, zu dem er gegrillten Aal servierte. Als Getränk hatte mein Freund einen Liter ‚San Benedetto‘ bestellt, den er mit Wein aromatisierte. Unter anderen Umständen hätten wir geschlemmt wie die Könige, aber wir wussten nicht, was die Nacht bringen würde, saßen auf heißen Kohlen und grübelten stumm vor uns hin.

      Dann wurde es finster, und mit der Nacht zog das Grauen in den engen Gassen ein und benahm den dort lebenden Menschen den Atem. Volpe wusste, was geschehen würde, aber er konnte weder Ort noch Zeitpunkt vorhersagen. Dennoch hauten wir uns auf die Pritsche, um am nächsten Tag einigermaßen frisch zu sein. An gesunden Schlaf war nicht zu denken.

      Als wir uns trennten, um die jeweilige Kammer aufzusuchen, meinte er sarkastisch, er sei gespannt darauf, was sich der Würger diesmal einfallen lasse, und welchen Blödsinn Ambrosio veranstalte. Dann zogen wir uns eine Mütze Schlaf hinein. Über meine Alpträume zu berichten, bedürfte es eines Buches.

      6. Teil: Die dritte Nacht in den Gassen Venedigs

      Missmutig hockten wir bei Morgengrauen an der ‚Colazione‘. Die Bissen wollten uns im Halse stecken bleiben, wenn wir daran dachten, dass der Mörder erneut zugeschlagen haben könnte. Der Stuhl für den Tenente blieb nur kurze Zeit unbesetzt.

      Mit bleicher Miene nahm er Platz und griff fahrig und zittrig nach dem frisch gerösteten Brot, welches Giovanni mit Gurkenscheiben, Tomate und Mozzarella belegt hatte. Dazu schlürfte er unseren Tee, das mit herben Kräutern versetzt war. Die Trauer und Verzweiflung, welche er ausstrahlte, ließ keinen Zweifel daran, dass es wieder zum Desaster gekommen war. Als er Hunger und Durst gestillt hatte und wir ihn fragend anstarrten, stammelte er, nach Worten ringend:

      »All unsere Mühe war umsonst. Fünfzig Männer in Zivil konnten den Mord nicht verhindern. Diesmal traf es ausgerechnet eine erprobte Boxerin, und der Täter ist uns auf geniale Weise entwischt, spurlos untergetaucht, wie vom Erdboden verschluckt. Er hat uns kein einziges Indiz hinterlassen, das unseren Ermittlungen dienlich wäre, obwohl es zwei Zeugen gelungen ist, ihn bei der Tat mit dem Smart Phone zu filmen. Ich bin am Rande des Irrsinns und weiß mir keinen Rat mehr.«

      »Eine … eine echte Boxerin?«, rief ich verblüfft in die Runde, während Volpe die Hände zu ringen begann, als machte er sich Vorwürfe, eben diesen Anschlag nicht vorausgesehen und verhindert zu haben.

      »Ja, ja, solch eine grässliche Athletin, so eine Emanze von heute, hat es erwischt«, murmelte sich der Tenente in den Stoppelbart hinein, wischte sich den Schweiß von der Stirn und sagte:

      »Man sollte derart rohen Sport untersagen. Das ist doch nichts für Frauen! Wir bewundern inzwischen ja sogar schon die Catcherinnen, wenn sie sich gegenseitig in die Pfanne hauen. Aber lasst mich alles der Reihe nach berichten!

      Meine Leute patrouillierten durch die Gassen der ominösen Gegend, mit dem Einbruch der Dämmerung beginnend, und nichts geschah, rein gar nichts. Die Zeit rann in unerträglich quälender Langeweile vorüber. Schon war Mitternacht gekommen, und schon war Mitternacht vorüber, als ich aufatmete, als ich tief durchatmete. Gewiss hatte der Verbrecher bemerkt, dass heute ungewöhnlich viele Männer unterwegs waren und seine Tat verschoben, um uns nicht in die Falle zu gehen.

      Ich kam schließlich an einem kleinen Behelfs-Theater vorüber, einer Bretterbude, die ein wandernder Trupp an der Rückseite der ‚Cá d‘ Oro‘ errichtet hatte. Müde hockte ich mich in die hinterste Reihe. Vor mir saß der Pöbel und genoss einen Boxkampf. Die Männer johlten, die Weiber kreischten.

      Zwei Frauen maßen ihre Kräfte, umeinander tänzelnd. Sie steckten im aus leinenen Dreieckchen bestehenden Höschen und einem festen Sport-BH, den Körper mit schimmerndem Öl eingerieben. Ihre Handschuhe waren inwendig mit jeder Menge Federn gepolstert, wie das beim Damenboxen so üblich ist, denn niemand will, dass sie sich die Gesichter verunstalten.

      Die eine war eine Schwarze, groß und weibisch gestaltet, mit überbordendem Gesäß, welches aufgrund seiner wogenden Masse aus dem Höslein heraus quoll. Sie trug einen leuchtend weißen Zweiteiler. Die andere war eine Weiße, ebenfalls mit üppiger Figur, wenn auch etwas schlanker. Sie hatte ein pechschwarzes Sportskostüm an. Beide waren vor Muskeln strotzend, und der Kampf, dem ich nun aus purer Langeweile folgte, wogte eine Zeitlang unentschieden hin und her.

      Doch mit der Zeit, vom Sprechchor der geilen Kerle und ihren rhythmischen Schreien »Afrika – Afrika« angefeuert, gewann die Schwarze allmählich die Oberhand und geriet auf die Siegerstraße, während die Gegenwehr der Weißen abebbte:

      Schließlich landete sie eine Serie von Treffern an Kinn und Brust der Gegnerin, welche daraufhin schwankte und wankte und dann rücklings zu Boden ging, mit dem Hinterkopf auf den Brettern aufschlug, alle Viere von sich streckte und breitbeinig liegen blieb, die Augen scheußlich verdreht.

      Enthusiastischer Beifall brandete auf. Die Siegerin tänzelte hin und her. Zwei Mitarbeiter des Unternehmens schlenderten herein und schütteten der Unterlegenen einen Eimer kalten Wassers ins Gesicht, aber sie wollte und wollte nicht mehr zu sich kommen. Da schleppten sie die Bewusstlose durch den linken Eingang hinaus.

      Sie ist übrigens, wie ich vorhin erfuhr, kurz nach dem grausigen Geschehen, das ich gleich schildern werde, ihren inneren Verletzungen erlegen. Es sei nur eine Nutte gewesen, sagte der Bretterbudenbesitzer, und nicht schade um sie. Ich bin da zwar anderer Meinung, aber …

      Ja, und die Siegerin, die fette Schwarze, ließ sich nun mit weit ausgebreiteten Armen feiern, doch da geschah es: Noch während die Leute ihr zujubelten, betrat ein hoch aufgeschossener Schauspieler die Bretter. Er war in einen bodenlangen pechschwarzen Talar gehüllt und verbarg den Kopf in einer rundum geschlossenen Kapuze. Gemessenen Schrittes nähert er sich der Jubelschreie ausstoßenden Frau, während derer sie die Fäuste triumphierend in Venedigs finsteren Himmel stieß.

      Die Zuschauer, darunter auch ich, hielten das für den Einfall der Regie und warteten gespannt, was nun kommen würde, während sich die große schwarze Gestalt hinterrücks der Boxerin näherte, ohne dass diese sich nach ihr umdrehte und aufhörte, weiter ins Publikum zu winken.

      Jetzt hatte der Vermummte sie erreicht und legte ihr sanft die linke Hand auf die bloße linke Schulter. Es war, wie es schien, eine Knochenhand. Erstaunt drehte die Schwarze den Kopf zur Seite, um zu sehen, wer da in ihrem Rücken stand. In diesem Augenblick ließ der Eindringling die zugeschnürte Kapuze fallen. Ein Aufkreischen schrillte durch das Dunkel der Zuschauerränge, auf das eine bedrückende Stille folgte.

      Auch die Afrikanerin stieß einen Schrei aus. Sie blickte nämlich in das bleiche Gesicht eines Totenschädels. Kraftlos und von unerhörtem Grauen geschüttelt fielen die Arme herunter, während ihr das Gespenst den linken Arm von hinten über die Brust legte und sie fest an sich presste. Aus dem Flatter-Ärmel ragte eine Knochenhand hervor.

      Mit der Rechten nahm der Unheimliche nun ein Messer hervor, ein Bowie Knife, und säbelte der wie gelähmt Dastehenden die Kehle durch. Sie hatte gerade noch genügend Zeit, ein Wenig zu röcheln, und schon vernahm ich das knirschende Geräusch, als er ihr die widerspenstischen Ringe der Gurgel durchtrennte.

      Nachdem der Mörder sie umgebracht hatte, wischte er die Klinge an ihrem Büstenhalter ab. Für einen kurzen Augenblick hielt er sie noch aufrecht im Arm. Alle konnten sehen, wie ihr das Blut im Bogen aus dem Spalt heraus zischte. Dann ließ er sie zu Boden sinken, wo sie, auf dem Rücken liegend, kurz darauf im Blute schwamm. Bevor der Schurke untertauchte, schob er ihr das Messer unter den BH und schnitt ihn mit einem Ruck entzwei, inzwischen so etwas wie sein Markenzeichen. Dann steckte er die Waffe weg. Schon war er durch die mittlere Tür der Bühne den Blicken der Zuschauer entschwunden.

      Ich riss die