Meinhard-Wilhelm Schulz

Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis


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Schreien und wildes Durcheinander los brachen. Nur wenige drängten sich zum Ausgang. Fast alle blieben da. Etliche stürmten sogar hinauf und starrten auf die Leiche. Die meisten blieben aber auf ihren Sitzen hocken, um den Ausgang des Dramas zu erleben, denn sie begriffen immer noch nicht, dass dies kein Theater mehr war.

      Oben angekommen, rannte ich durch die linke der drei Türen ins aus rohen Brettern gefügt Bühnengebäude hinein und hindurch zum Hintereingang. Dort fragte ich die sich faul herum lümmelnden Schauspieler, die auf ihren Einsatz warteten, ob sie etwas gesehen hätten, aber sie konnten mir nicht weiterhelfen. Getrieben von der Annahme, der Mörder müsse sich noch im Gebäude versteckt halten, durchsuchte ich die einzelnen Zimmer und machte im Umkleideraum eine grausige Entdeckung:

      An einem Haken hing der schwarze Talar des Mörders. Er war blutbesudelt. Auf den beiden Schemeln darunter lagen schwarze Handschuhe, auf die aus weißem Stoff so etwas wie die Knochen einer Hand aufgenäht war. Daneben fand ich eine Theatermaske, den bleichen Tod darstellend.

      Wie mir der Inhaber der Bude mitteilte, handelte es sich um Requisiten seines kleinen Unternehmens. Wer sie sich für diesen Auftritt angeeignet hatte, wusste er nicht zu sagen, denn seine Anlage sei für jedermann offen. Er beschäftige übrigens nur Laienschauspieler.

      Wiederum eilte ich zu den rauchenden Männern am Hintereingang. Aber sie waren viel zu betrunken, um Genaueres schildern zu können. Einer lallte, mehrere Personen hätten das Theater auf diesem Wege verlassen, vielleicht aber auch keiner.«

      Ambrosio schwieg nun und schüttelte sich vor verspätetem Grauen. Volpe rieb sich die Hände. Er kicherte verhalten. Dann murmelte er, die Fingerspitzen aufeinander legend:

      »Ein intelligentes Bürschlein, dieser Würger von Venedig! Er hat sich da ein tolles Plänchen einfallen lassen und vor der Nase des Tenente di Fusco einen netten kleinen Mord inszeniert, um ihm dann auch noch zu entwischen. Mein lieber Doktor, auf welche Art und Weise ist er wohl verduftet?«

      »Er ist durch das Hintertürchen gerannt, und als Ambrosio kam, war er schon weg. Er hatte genügend Vorsprung, um ihm zu entwischen und kennt bekanntlich alle Schliche und Gassen in dieser Region Venedigs bestens«, sagte ich.

      »Wie auch sonst soll’s gewesen sein?«, murmelte Ambrosio.

      »Oh, du mein Gott, welch ein Begriffsstutzigkeit! Seid ihr denn all eurer kleinen grauen Zellen verlustig gegangen?«, rief Volpe in komischer Verzweiflung.

      »Jeder denkt, solch ein Mörder machte sich in aller Heimlichkeit aus dem Staub. Aber wenn man unserem Doktor glauben darf, will er seinen Triumph doch genießen und wird von Mal zu Mal kühner und verschlagener. Ferner bezieht er das mögliche Vorgehen seiner Verfolger stets mit ein ins Kalkül. Lieber Sergiu, wage, dich deines Verstandes zu bedienen und sage uns, was du an seiner Stelle getan hättest!«

      Ich dachte einen Moment lang nach. Dann rief ich, von einer plötzlichen Erleuchtung durchdrungen:

      »Gut, ich spreche jetzt für den Mörder. Hört zu:

      Niemand kennt mich. Keiner weiß, dass ich der Gesuchte bin. Den Kapuzenmantel habe ich diesmal zuhause gelassen und bin in der Bretterbude hinter der Bühne aufgekreuzt, in welcher jeder Zutritt hat, um mich dort als der leibhaftige Tod zu verkleiden und das Ende des Boxkampfes abzuwarten. Was ich dann getan habe, hat Ambrosio schon geschildert.

      Als ich mich nach vollbrachter Tat des Talars und der Handschuhe entledigt hatte, schlenderte ich in aller Muße, das allgemeine Chaos ausnutzend, über die Bühne und dann in den Zuschauerraum, wo ich es mir gemütlich machte, um den Fortgang des von mir inszenierten Theaterstücks zu genießen.

      Gewiss kamen jetzt die Carabinieri zuhauf herein geströmt; danach irgendein kopfschüttelnder Arzt, der für die gemeuchelte Afrikanerin naturgemäß nichts mehr tun konnte.

      Schließlich endlich schleppte man, vor meinen Augen, die Ermordete auf einer Bahre in die Gewölbe des Reviers, um sie in den Kühlraum zu legen, und ich war bis zuletzt unter den Leuten, die neugierig diesem makabren Zug folgten und tat mich durch wüste Verwünschungen auf den Täter hervor.«

      Selten habe ich Galba, diesen an sich tüchtigsten Mann unserer Carabinieri, so dumm aus der Wäsche gucken sehen. Rufus hingegen klatschte begeistert Beifall und rief:

      »Großartig, lieber Sergiu, du hast dich wieder einmal selbst übertroffen und gezeigt, dass du das Zeug zu einem pfiffigen Mörder hast. Ferner hast du mich davon überzeugt, dass der Täter diese von dir geschilderte Kaltblütigkeit wirklich besitzt und seinen Triumph in vollen Zügen genoss. Aber genau mit Hilfe dieser seiner überbordenden Eitelkeit werden wir ihn demnächst zur Strecke bringen, das schwöre ich.

      Und wenn ihr nichts dagegen habt, werde ich nun das ‚Teatro Malibran‘ aufsuchen, dessen Pforten gestern leider geschlossen waren. Jeder, der mich kennt, weiß, wie sehr ich die Theateraufführungen dort liebe.«

      Was Freund Volpe dort plante, flüsterte er Ambrosio zu, der sich eilig aufmachte, um Giulio Marcello, seinen Vorgesetzten, in dieses Vorhaben einzuweihen. Gestern bereits hatte er seine Zustimmung erteilt. Mit einem Tag Verspätung sollte das Spielchen heute aufgeführt werden.

      7. Teil: Neues auf dem Revier

      Bevor ich zu dem übergehe, was sich gegen Mittag auf dem Revier, welches der Capitano Marcello kommandierte, ereignete, will ich Dir, lieber Leser (m/w/d), sein Reich beschreiben:

      Denke Dir ein großes Gebäude im römischen Atriumstil. Vier Säulen stützen das Dach, das in der Mitte eine quadratische Lücke aufweist, damit durch die Verglasung Licht in den Innenhof fallen kann. Durch den Eingang vorn am Gehsteig und den dahinter liegenden Korridor waren die Besucher nur bis an eine Absperrung gelangt. Davor waren Sitzbänke aufgestellt worden, auf denen sie murrend Platz nahmen.

      Gekommen waren Vertreter der Tageszeitungen, allen voran Alberto Scimmia vom Corriere della Sera. Jeder einzelne hatte sich seinen Kameramann mitgebracht, der in Windeseile alles, was er sah, im Kasten unterbrachte, um es später seiner Zeitung zur Verfügung zu stellen.

      Erwartungsfrohe Ruhe herrschte, als Tenente di Fusco endlich beschloss, aus dem hinteren Eingang hervor zu treten, um die eigens dafür hierher zitierten Journalisten zu informieren. Mein Freund Volpe war, wenn ich das so sagen darf, Regisseur der Inszenierung. Er hatte die nun folgende Komödie vorbereitet und hielt sich jetzt verborgen. Alles verlief wie am Schnürchen:

      Schleppenden Schrittes und eine mehr als besorgte Miene mimend, trat di Fusco vor die Zeitungsfritzen, und schon, so schien es, wollte er eine Ansprache halten, als zwei seiner Carabinieri polternd den Raum betraten. In ihrer Mitte führten sie einen Mann, der sich unter ihrem festen Griff wand und aufbäumte. Er trug einen langen Mantel und hatte sich die Kapuze über das Gesicht gezogen. Meister Scimmia vom Corriere sprang auf und rief voller Erregung:

      »Signore Tenente, wer ist das?«

      Welch überflüssige Frage! Wenn nämlich zwei von Ambrosios Carabinieri einen Mann aufs Revier schleppten, war die Botschaft doch wohl eindeutig.

      »Ist er verhaftet? Hat er etwas mit den Morden zu tun? Wird er zu Marcello gebracht?«

      Ambrosio antwortete nicht, ging zu Marcellos Türe und klopfte respektvoll an. Auf ein markantes »herein« verschwanden er, seine beiden Polizisten und der Vermummte im Arbeitszimmer des Polizeichefs. Die Tür schloss sich hinter ihnen.

      »Hast du ihn abgelichtet?«, fragten Signore Scimmia und seine Kollegen den jeweiligen Kameramann.

      »Das schon«, antworteten sie unisono, »aber sein Gesicht war unter der Kapuze verborgen. Im Mantel steckend, sieht einer wie der andere aus. Wir hätten uns die Mühe sparen können.«

      Und schon kam der Tenente wieder zum Vorschein.

      »Wer war dieser Mann da eben?«, fragte Scimmia, »ein Verdächtiger? der Täter? Der Würger von Venedig.«

      Ambrosio