Meinhard-Wilhelm Schulz

Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis


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festgesetzt haben.«

      »Davon weiß ich nichts. Das muss ein Irrtum sein. Ich habe gar nichts von einem Gefangenen gesagt.«

      »Aber vergangene Nacht hat es den vierten Mord gegeben. Eine hübsche junge Frau wurde durch einen Stich in den Rücken getötet. Der Täter hat ihr danach in altbekannter Manier das Kleid aufgeschnitten, das Opfer liegen lassen und ist im Schutze der Finsternis durch die ‚Strada Nuova’ verschwunden. Ist das korrekt wiedergegeben, Signore?«

      »Ja, das stimmt«, sagte der Tenente lahm.

      »Und konnte es nur deshalb dazu kommen, weil der Gefangene auf freien Fuß gesetzt wurde? Hat er erneut zugeschlagen?«

      »Nein, das hat nichts damit zu tun. Ihr seid da einem Irrtum aufgelaufen. Er ist nicht der Täter.«

      »Aber der Mord ist geschehen, und einer von uns hat zufällig gesehen, wie die umgebrachte Frau hierher geschafft wurde, um sie auf Eis zu legen. Dürfen wir ihre Leiche sehen, um ein Bild von ihr zu publizieren?«

      »Nein, das kommt überhaupt nicht in Frage.«

      »Warum nicht? Wer ist sie? Wie heißt sie? Weshalb war sie zu dieser späten Stunde noch unterwegs? Hatte sie denn keine Angst, nach allem, was geschehen war?«

      »Fragen über Fragen! Die Antworten darauf wüsste ich selber gerne. Nur sie wusste das alles. Aber sie kann es uns nicht mehr sagen. Sie ist tot.«

      »Wollen Sie ihren Namen geheim halten?«

      »Ja, aus ermittlungstaktischen Überlegungen.«

      »War sie etwa ein, wie sagt man dazu doch, ein ‚Lockvogel‘ der Carabinieri, und Sie wollen jetzt nur nicht zugeben, dass Ihnen der Plan daneben gegangen ist?«

      »Nein, sie war keine von uns«, log der Tenente schamlos, ohne rot zu werden.

      »Warum war sie dann alleine unterwegs? War sie dort auf, äh, Liebeshändel aus, obwohl vielleicht verheiratet, und ihr wollt dem Ehemann einen Skandal ersparen? Wenn ja, wer ist ihr Ehemann? Wo wohnt er? Hier in der Stadt?«

      »Davon ist mir nichts bekannt. Die Ermittlungen laufen noch, und davon, dass sie verheiratet war, weiß ich auch nichts. Ich denke, es war eine Signorina. Von daher ist es klar, dass ich ihren Gatten nicht kenne.«

      »Unser Mann, der zufällig vor Ort war, sagt, dass auch der berühmte Privatdetektiv Giuseppe Tartini vor Ort war und ums Haar das Verbrechen verhindert hätte. Hat er eine Beschreibung des Täters abgegeben?«

      »Er war leider gut 50 Meter vom Tatort entfernt, als der Mord sich ereignete. Der Überfall, so er, geschah dermaßen rasch, dass er ihn nicht verhindern konnte, obwohl er sofort hin rannte. Danach verfolgte er den Mörder durch ‚Strada Nuova’ und in eine Seitengasse hinein. Dort aber verloren sich alle Spuren. Signore Tartini schließt daraus, dass der Täter beste Ortskenntnisse besitze. Ferner sagt er folgendes:

      Der Mörder sei in einen Kapuzenponcho gehüllt gewesen. Auf der Flucht sei ihm die Kapuze vom Kopf geglitten, so dass man in Umrissen seine Züge habe erkennen können. Er sei ungefähr 1,80 Meter groß, schlank, wieselflink und habe schulterlanges helles Haar. Als Waffe habe er wieder einen Dolch, wahrscheinlich eine Art Bowie Knife benutzt.«

      »Und mehr weiß man nicht?«

      »Nein, dazu war es viel zu dunkel. Die Beleuchtung unserer Gassen ist anerkannt miserabel.«

      »Welche Meinung hat sich, äh, Volpe zurecht gelegt?«

      »Keine Ahnung. Ich habe Signore Tartini seit dem Mord nicht mehr gesehen. Er hat seine Methoden, wir unsere. Wollen mal sehen, wer zuerst am Ziel ist.«

      »Werdet ihr den Mann, den ihr gestern vor unseren Augen weggesperrt habt, jetzt freilassen, wo doch bewiesen ist, dass er nicht der Mörder ist?«

      »Das habt ihr vollkommen falsch verstanden. Es war gar kein Tatverdächtiger sondern nur ein Zeuge. Er befindet sich längst wieder auf freiem Fuß. Wer es war, kann ich in seinem eigenen Interesse nicht sagen.«

      »Darf ich die Vermutung äußern, dass sein, äh, spektakuläres Wegsperren vor unser aller Augen dazu da war, den eigentlichen Täter in Sicherheit zu wiegen?«

      »Vermuten darf jeder. Ob’s so war, ist eine andere Sache.«

      »Und dann sagt unser Augenzeuge, die Ermordete habe etwas in der Hand gehabt. Volpe habe es an sich genommen.«

      »Davon weiß ich wirklich nichts. Ich glaube, euer Mann irrt sich. Dennoch darf ich sagen, dass unsere Ermittlungen auf Hochtouren laufen. Sobald es Neues gibt, werde ich euch hierher einladen, um es zu berichten.«

      »Heißt das, dass es noch nichts Konkretes gibt?«

      »Noch nichts, leider, leider! Doch jetzt lasst mich meiner Arbeit nachgehen; und außerdem: Ich bin hundemüde, todmüde! Arrivederci, Signori!«

      Murrend und scharrend erhob sich die ganze Meute der Zeitungsfritzen und drängte zum Ausgang. Zwei Stunden später kam ein atemloser Bote zu Marcello geeilt. Er hatte die aktuelle Ausgabe des Corriere della Sera gekauft und überreichte sie jetzt dem Hauptmann, der sofort zu lesen begann. Di Fusco las mit, ihm über die Schulter blickend. Die Schlagzeile lautete:

      »Der Frauenmörder entkommt aus der ihm gestellten Falle.«

      Darauf folgte dieser Text:

      »Signore di Fusco, der tüchtige Tenente der Carabinieri von Venedig, konnte vor uns Journalisten nicht abstreiten, dass er dem Täter in der letzten Nacht eine Falle gestellt hatte: Man nahm eine Scheinverhaftung vor, um den Ehrgeiz und die Eitelkeit des wirklichen Täters zu verletzen. Dadurch sollte er zum sofortigen Zuschlagen angeregt werden.

      Zu diesem Zweck postierte man Lockvögel in den stillen Gassen, ausgebildete Kämpferinnen, indem man davon ausging, dass sie der Mörder von vorne angreifen würde, so dass sie ihn erledigen könnten. Er aber durschaute den Plan unserer hochintelligenten Polizei und stach sein Opfer diesmal hinterrücks nieder. Danach flüchtete in eine dunkle Gasse, wo es ihm gelang, die Verfolger, darunter der Privatdetektiv G. Tartini, abzuschütteln. Es fehlt seitdem von ihm jede Spur. Man weiß nur, dass er groß und blond oder blondiert ist und zur Tatzeit einen Kapuzenponcho trug, von dem er sich gewiss längst getrennt hat.

      »Verdammte Schweinerei«, sagte Marcello, »wir hätten nicht auf diesen albernen Amateurdetektiv hören sollen. Jetzt gilt für uns: „Wer den Schaden weg hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“. Und mit welchen Worten berichte ich das unserem Herrn Bürgermeister, der da unser aller Dienstherr ist? Wie ich ihn kenne, ist er bereits am Rande eines Tobsuchtsanfalles.«

      »Aber Volpe ist mit dem Stoff-Fetzen, den er aus der Hand der Ermordeten nahm, inzwischen unterwegs. Es sei reine Seide und selten herrliche Handarbeit, so er in einer SMS an mich. Er will jetzt den Weber herausfinden, um über den Schneider den Täter zu ermitteln. Vielleicht kommt er ja weiter, denn dieser Fetzen ist zurzeit unsere einzige Spur. Vielleicht hat er Glück. Er wird mich jedenfalls auf dem Laufenden halten«, entgegnete Ambrosio.

      »Immer dieser alberne Volpe mit seinen Hirngespinsten! Und dann dieser Blödsinn mit dem Stückchen Stoff. Wir haben hier in Venedig ein Dutzend kleinere Webereien, die allesamt mit unzuverlässigen Leuten arbeiten und dafür berühmt sind, über ihre Kunden nicht Buch zu führen, damit ihnen die Finanzwache keinen Steuerbetrug nachweisen kann.

      Und da ist es mir schleierhaft, wie Volpe bei diesen schäbigen Schwarzarbeitern zur Sache kommen kann. Das dauert Tage, wenn nicht einen ganzen Monat oder noch länger, und das eine, das schwöre ich: Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, geht das Morden weiter. Wie immer, ich muss jetzt hinüber gehen, um unserem Bürgermeister Dottore Antonio Locatelli Bericht zu erstatten. Er wird schreien, die Touristen blieben aus, wenn es so weiter ginge. Hoffentlich reißt er mir nicht den Kopf ab.«

      Soweit, mein herzallerliebster Leser (m/w/d), zu dem, was sich auf dem Revier abspielte. Nun wieder zu Freund Volpe. Sind wir beide nicht schon längst auf dem Weg zum ‚Campo di S. Maria Formosa‘,