klapperdürr. Er habe noch nie im Leben einen Poncho angefertigt, sagte er. Er sei Venezianer und kein Barbar aus Lateinamerika. Volpe widersprach dem nicht und war mit seiner Auskunft zufrieden.
Weiter ging’s im Sauseschritt, stramm geradeaus zur ‚Calle Fiubera‘ und von dort in die ‚Calle di Fabbri‘, welche nach hundert Metern in den Markuspatz mündet. Dort stießen wir auf die Schneiderei Sesto Popilio & Figlio. Der Junior war gerade damit beschäftigt, in das Fußballspiel zwischen dem AC Torino und Bayern München in der Glotze zu genießen. Der Vater aber, der solcher Balltreterei nichts abgewinnen konnte, saß gebeugt über einem werdenden Ballkleid. Er war übrigens dürr.
Volpe grüßte, stellte sich vor und legte den Fetzen vor ihn. Als er ihn sah, leuchtete sein Gesicht. Er murmelte etwas von einem Stoff der Reichen, nichts für die Masse, und dass es eine Schande sei, wie jemand ein solches Gewand zerfetzen könne.
»Hast du jemals einen Poncho daraus gefertigt«, fragte Volpe.
»Bin ich denn wahnsinnig? Sehe ich aus, als könnte ich nicht auf drei zählen? Ich als Venezianer soll Schneider für diese fürchterlichen Mexikaner sein?! Solange es in der Serenissima noch so etwas wie Kulturbewusstsein gibt, wird kein Maßschneider dieser göttlichen Stadt solch einen Schund produzieren.«
Mein Freund hatte größte Mühe, ein wieherndes Gelächter zu unterdrücken, verabschiedete sich artig von diesem Barbarenhasser und ging samt mir im Schlepptau kichernd die paar Meter zum Markuspatz hinüber.
»Bleibt nur noch Nummer vier«, sagte er, »und wenn ich eines schätze, mein Lieber, dann Menschen, hihihi, die offen und ehrlich ihre Meinung sagen. Diesmal aber werden wir Probleme bekommen, wenn wir zu Fuß gehen.«
»Das ist ja ganz etwas Neues«, höhnte ich, »dass du dich einmal faul von einer Nussschale transportieren lässt. Wie das?«
»Hihihi, unser nächster Kunde haust drüben auf der ‚Isula della Giudecca‘, vom Kai vor dem Dogenpalast durch den ‚Canale della Giudecca’ getrennt. Uns steht eine Bootspartie von ungefähr eineinhalb Kilometern bevor. Besser, wir nehmen ein Motorboot und keine Gondel, das geht doch ein Wenig schneller.«
Wir zwängen uns also durch die Touristen, bis wir südlich des Dogenpalastes zur Anlegestelle ‚San Zaccharia‘ gelangten, um uns übersetzen zu lassen.
Volpe winkte dem Inhaber eines Bootstaxis zu, der sich faul in der Sonne aalte, steckte ihm eine Zwanzig-Euro-Schein zu, und schon ging es auf und davon, denn in der Weberei hatten wir erfahren, dass Schneidermeister Tito Colomba (‚Taube‘) auf eben dieser prächtigen Insel in der ‚Calle del Pesce‘ (Fischgasse) hauste. An der Anlegestelle ‚Redentore‘ (Erlöser) angekommen, steckte Volpe dem Taxichauffeur einen zweiten Schein zu und hieß ihn auf uns zu warten. Dann rannten wir wie entfesselt die ungefähr hundert Meter südwärts, vorbei an der ‚Erlöserkirche‘ und entdeckten die gesuchte Schneiderei auf Anhieb.
Nach artiger Begrüßung zeigte Volpe nun dem vierten Meister den Fetzen, und auch dieser bestätigte uns, was wir schon wussten. Volpe stellte dann die bekannte Frage:
»Haben Sie aus solch kostbarem Stoff jemals schon einen mexikanischen Poncho mit Kapuze hergestellt?«
Der Meister schnellte empört aus seinem Korbstuhl empor und brüllte mit sich überschlagener Stimme:
»Signori! Wenn das eine Beleidigung sein soll, darf ich Sie des Hauses verweisen. Ich bin hier auf der Giudecca und in ganz Venedig erster Meister der Zunft und fertige keine Barbaren-Klamotten an. Ich glaube, mir wird schlecht.«
»Nichts für ungut«, sagte Volpe und legte ihm begütigend die Hand auf den Arm, »ich konnte mir Dergleichen bei einem so großen Könner wie Ihnen wirklich nicht vorstellen. Aber meine Ermittlungen müssen gründlich sein, und daher pflege ich auch das Unmögliche in meine Überlegungen mit einzubeziehen. Sollte nämlich eines Tages unser Staatspräsident einen Kapuzenponcho tragen, werden die Schneider Italiens solche Sachen um die Wette anfertigen, nicht wahr? Leben Sie wohl, grande Maestro, Sie haben uns sehr geholfen.«
Die Zornesader dieses sich als Künstler verstehenden Mannes schwoll rasch wieder ab, und er geleitete uns höflich zur Tür hinaus. Zurück an der Anlegestelle, sagte Volpe:
»Sergiu, wir haben eine heiße Spur. Signore, fahren Sie uns zum Dogenpalast zurück. Von dort aus, lieber Doktor, sind es in Luftlinie fast anderthalb Kilometer bis zum Palazzo Papafava, in Wirklichkeit das Anderthalbfache. Die Sonne steht im Zenit. Ich denke, wir stärken uns an der nächstbesten Trattoria.
Ambrosio schicken wir die entsprechende Nachricht, dass er sich mit mindestens zwei seiner Carabinieri am entsprechenden Haus einfindet. Sicher ist sicher. Ich habe ihm genügend Hinweise geliefert. Wenn er wieder einmal blind ist, kann ich ihm nicht helfen. Ich denke, wir werden den Fall auf unsere Weise zu einem befriedigenden Ende führen und ihm unten auf dem Vicolo (Gasse) den überführten Täter zu treuen Händen anvertrauen.«
Mittlerweile waren wir am Kai in der Nähe des Dogenpalastes gelangt. Volpe bezahlte dem Chauffeur die Differenz, warf einen kritischen Blick auf die Seufzerbrücke, machte sich am Smart Phone zu schaffen, bis er dem Tenente Meldung gemacht hatte, und schon ging es hinein in das stinkende Menschengewimmel des von Touristen überschwemmten Markusplatzes und dort zur nächsten Trattoria. Dort spülten wir einen ganzen Eimer Wasser hinunter und bestellten ein jeder eine Tonform frisch gegarter ‚Verdura‘ (Gemüse) in Gorgonzola-Soße, die der geniale Koch mit würzigem Käse überbacken hatte. Mir lief schon vor dem ersten Bissen das Wasser im Munde zusammen.
Danach wäre auch ich so weit wiederhergestellt gewesen, um die verbliebene Strecke zu bewältigen. Volpe erhob sich und federte leichtfüßig vor mir her, als wäre das noch gar nichts. Aber er brauste in die scheinbar falsche Richtung, nämlich zurück zur Anlegestelle S. Zaccaria. Offenbar hatte sogar er begriffen, dass ich nicht mehr konnte, denn ich humpelte ihm stöhnend hinterher und hatte mir bereits Blasen über Blasen gelaufen.
Am Kai angekommen, feilschte er mit einem anderen Capitano, dem Besitzer eines kleinen Motorbootes, um den Preis. Als er ihn immer weiter nach unten trieb, jammerte der Mann mit der Schirmmütze, dass seine Frau und die Kinder verhungern müssten. Da steckte ihm Volpe den gewünschten Schein zu, und schon durfte ich die schönste Fahrt durch den Canal Grande genießen. Vorbei ging es schließlich an der ‚Ca‘ d‘ Oro‘ und wenig später in den nordöstlich gehenden ‚Rio di San Felice‘, den wir ungefähr zwei Kilometer ‚aufwärts‘ befuhren.
In der Nähe des zu unserer Rechten liegenden ‚Palazzo Papafava‘ stiegen wir an Land und überließen den Capitano seinem Schicksal. Über das Bauwerk will ich hier keine Worte verlieren. Es war und ist kein Touristenmagnet, aber dort drinnen hauste ein gewisser Conte (Graf) Raimondo d‘ Inceto, den Volpe des Mordes an vier Frauen verdächtigte.
10. Teil: Eine bezaubernde Frau
Schon standen wir vor dem Haus der Luxusklasse, das in den Strahlen der Nachmittagssonne gleißte. Dass es eine Heimstatt der Reichen war, bezeugte schon die Gestaltung der Fassade, welche mit Marmorplatten belegt und durch korinthische Halbsäulen, welche scheinbar die einzelnen Stockwerke trugen, künstlerisch gegliedert war.
Das Erdgeschoss beherbergte offenbar zwei großzügige Wohnungen, das Obergeschoss, dessen Giebel zur Straßenseite hin in Form eines griechischen Tempels gestaltet war, bildete ein Haus auf dem Haus, ein Penthaus. Ein einziger Blick genügte, um über so viel feinen Geschmack in Begeisterung auszubrechen. Ein freundlicher Passant zeigte nach oben und sagte:
»Das ist der Ansitz des Conte d‘ Inceto, eines uralten Adelsgeschlechtes, das sogar einen Doge, einen Erzbischof und einen obersten General der Republik Venedig hervorgebracht hat. Der jetzige Conte freilich ist ein Taugenichts und lebt vom Geld seiner Frau und vom Ruhm der Vorfahren.«
Volpe nickte. Ich dankte ihm. Wir schritten die fünf Stufen zum ehernen Portal hinauf und betätigten den ringförmigen Türklopfer. Der Portier