Meinhard-Wilhelm Schulz

Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis


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hier nicht an ihm vorbei und in dieses Haus hinein. Dieses Gehabe ärgerte Volpe, und er zischte durch das geöffnet Fensterlein:

      »Ich bin Giuseppe Tartini, bekannt als Volpe, und das da ist mein Freund und Kollege, Dottore Sergiu Petrescu. Wir müssen Signore Raimondo, Conte d‘ Inceto sprechen, und zwar sofort.«

      »Oh, du guter Gott«, schrie der Hausdiener verblüfft und begeistert zugleich. Augenblicklich öffnet er die Tür.

      »Der große Detektiv persönlich! Nie werde ich mir das verzeihen, Sie nicht erkannt zu haben. Und Dottore Petrescu haben Sie gleich mitgebracht; meine sehr verehrten Herrschaften …«

      Er riss die Türflügel auf, verbeugte sich vor uns fast bis zum Estrich und zeigte dann auf die marmorne Treppe, welche gemächlich gewunden nach oben führte.

      »Der Conte ist im Obergeschoss zu Hause, aber ich fürchte, er schläft noch. Er ist in letzter Zeit ein, äh, Nachtarbeiter.«

      »Wir müssen ihn dennoch sehen, Signore, äh …«, sagte Volpe.

      »Man nennt mich Giovanni, nur Giovanni, ohne Zunamen«, sagte der Mann in seiner fein gestreiften Hausdieneruniform.

      »Oh, wie mein eigener Butler! Es ist ein guter Name bei Ihrer Stellung. In London, wo ich kürzlich aus beruflichen Gründen weilte, hießen Sie gewiss ‚James‘.«

      Der brave Kerl strahlte. Volpe hatte ihm eine riesige Freude gemacht. Etwas traurig sagte er dann:

      »Meine Großeltern lebten noch in dieser Stadt. Bevor ich aber geboren wurde, wanderten sie nach Italien aus. Ich war noch nie in London. Ich wollte, ich käme hier einmal weg. Tag für Tag immer nur Dasselbe, diese Langeweile, der ewige Sisyphus, und das für einen Hungerlohn.«

      Volpe unterbrach den Redeschwall des Portiers und sagte:

      »Ist dein Herr, der Conte d‘ Inceto, auch letzte Nacht wieder spät nach Hause gekommen?«

      »Keine Ahnung! Wirklich nicht! Tut mir leid. Mein Dienst endet stets um 18. 00 Uhr. Anschließend muss sich ein jeder Bewohner mit dem Schlüssel abquälen. Jedenfalls war der Conte noch zu Hause, als ich meinen Feierabend nahm. Er geht gewöhnlich erst später aus, viel später.«

      »Vielen, vielen Dank, lieber Giovanni. Der Dottore wird dich in seinem Bericht gebührend würdigen, denn du hast uns sehr geholfen; auf Wiedersehen!«

      Ehe es sich der verdutzte Herr versah, blinkten drei große funkelnagelneue Zwei-Euro-Münzen in seiner Hand. Er brachte vor Glückseligkeit keinen Ton mehr heraus. Dann stapften wir die Stiege hinauf.

      Oben angekommen, standen wir vor einem Portal aus rötlichem Holz mit silbernen Beschlägen. Darüber war bogenförmig in goldenen Buchstaben vor weißen Hintergrund der Name des Wohnungsinhabers aufgezeichnet:

      »Conte Raimondo II. d‘ Inceto – artista (Künstler)«

      Ein eherner Löwenkopf fauchte uns entgegen. In seinem Maul hing ein vergoldeter Ring zum Anklopfen. Rufus nahm ihn und ließ ihn gegen die Türe des vorgeblichen Künstlers poltern; und dann noch einmal.

      Aber es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sich die Tür auftat, einen kleinen Spalt breit nur. Darin sozusagen eingeklemmt steckte eine mollige Schwarze, um die fünfundzwanzig Jahre alt, hübsch hässlich, an der fleckigen Küchenschürze als Hausmädchen und Köchin erkennbar. Ein scharfer Hauch von Pfeffer wehte uns entgegen, während sie uns schweigend musterte und aus weißen Kulleraugen ansah. Dann sagte sie spitz:

      »Mit wem habe ich die Ehre?«

      »Privatdetektiv Tartini samt Dottore Petrescu.«

      »Ach, du lieber Himmel, auch das noch! Haben wir etwas ausgefressen?«, rief sie geschockt und schlug die grübchenreichen Hände über dem Kopf zusammen, als ob sie Unheil auf ihren Herrschaften lasten sähe.

      »Ist der Conte zu Hause?«, fragte mein Freund.

      »Ja. Aber um diese Zeit pflegt er noch zu schlafen.«

      »Dann wecke ihn!«

      »Er wird mich halb tot schlagen.«

      »Ist wenigstens seine Frau zu sprechen?«

      »Wohl kaum! Sie ist gerade im Bad verschwunden. Auch sie wird wütend sein, wenn ich sie störe. Das Baden ist ihr heilig. Kinder hat sie keine zustande gebracht. Soll ich sie rufen?«

      »Gewiss doch, es ist bitter ernst.«

      »Gut, dann gehe ich«, sagte sie und trippelte davon.

      Wir sahen ihr durch die offen stehende Tür hinterher und begaben uns dann frech in den Korridor hinein, während sie kopfschüttelnd in den hinteren Gefilden verschwand. Uns ließ sie in der durch zwei Bogenfenster erleuchteten Halle stehen.

      Von dort aus hörten wir sanftes Plätschern sowie das melodische Klingen einer glasglockenreinen Stimm. Das versetzte nicht nur mich in Begeisterung. Still und voller Wonne lauschten wir dem Gesang der Unbekannten, die da gerade ihr Bad genoss. Dann brach das Singen ab. Ein Dialog zorniger Stimmen drang an unsere Ohren, darunter daher gekeifte Worte wie »fristlos entlassen«. Volpe kicherte vergnügt. Ich hingegen schaute verärgert zu Boden und dann nach links und rechts.

      Neben uns, an den freien Flächen der Wand, hingen Gemälde, die ich mir jetzt gründlicher ansah, um sie als höchst mittelmäßig einzustufen.

      Noch schüttelte ich den Kopf über die Arbeit dieses Stümpers, da kam die Gräfin auch schon aus dem Badezimmer heraus geschritten. Das tat sie, wie es mir schien, auffällig rasch und sogar ein klein Wenig atemlos, jedenfalls früher als erhofft, denn wir hatten uns auf längere Wartezeit eingestellt. Man kennt ja die Damen und ihre Badegewohnheiten.

      Doch als sie aus dem Gemach hervor trat, verschlug es uns die Sprache. Wie gebannt sahen wir dieses langbeinige Wesen von einer anderen Welt auf uns zu schweben, die göttliche Anmut in Person, eine Grazie wie aus dem Bilderbuch. Ihre kaum verhüllte Haut leuchtete weiß wie Schnee.

      In aller Eile hatte sie sich nichts anderes als ein blaues Handtuch aus Frottee um die schmalen Hüften geschlungen und war in schwarze Flipflops geschlüpft, deren grüner Riemen als Schlange gestaltet war. Oben drauf war er mit je zwei roten Perlen besetzt, welche die Augen des Reptils bildeten.

      Während sie sich näherte, hob sie die Arme und kreuzte sie über der nackten Brust. Die Hände hatte sie dabei in dem jeweils gegenüber liegenden Oberarm verkrallt. Am rechten Ringfinger blinkte ein goldener Ehering. Die Nägel an Händen und Füßen waren hell rosarot lackiert und schimmerten wie Perlmutt. Selten hatte ich eine so schöne Frau gesehen und verliebte mich auf der Stelle in sie. Ungefähr 1, 80 Meter maß sie.

      So stand sie nun in voller Größe vor uns und lächelte uns verlegen an. Sie hatte nicht einmal die Zeit gefunden, sich abzutrocknen. Eine Pfütze breitete sich unter ihr aus. Warum nur war sie so hektisch aus der Badewanne geklettert?

      Fast so groß wie Rufus war sie und schlank wie die afrikanische Gazelle, keine einziges Gramm Fett am Leib: sportlich gestählte weiblich geschwungene Schenkel; breite, männlich anmutende Schultern und muskulöse Arme.

      Das Bezauberndste an ihr war freilich der Kopf, der über einem filigran modellierten Hals thronte: ovales Gesicht von nassem, an Hals und Schultern klebenden dunkel- bis rotblondem Haar umsäumt, das sich nach dem Trocknen weiter aufhellen dürfte; hohe Stirn; harmonisch gebogene Augenbrauen; große hellgrüne Augen, welche mich an die einer Schlange erinnerten; fein modellierte Nase, die unmittelbar aus der Stirn heraus wuchs; üppiger roter Mund mit dermaßen spöttisch gekräuselten Lippen, dass ich das Brennen der eigenen Lippen verspürte; darunter ein feines straffes Kinn, kurz: ein Antlitz, so ausdrucksvoll, wie ich selten eines sah, wenn auch mit ersten Ansätzen feiner Linien. Aber das tat ihrer Schönheit eher gut als dass es schadete. Vor mir stand eine Frau, so schätzte ich, von Ende Dreißig.

      Bewundernd glitten nun meine Blicke über ihre Blöße hinauf und hinunter, wo ich doch als fein erzogener Mensch beiseite hätte sehen sollen, während Volpe, der sich lebenslang