und Mutter zugleich zu ermorden!?
Ich denke, Raimondo hasste seine Mutter schon als Junge bis auf den Tod und später dich, cara Cornelia, auf gleich mörderische Art und Weise. Dieser Hass hat sich in seine Seele gefressen, wie das gurgelnde Wildwasser, dessen hinter einem Damm aufgestaute Wogen bereits an die Deichkrone schlagen. Ihr beide habt dieses Spiel geliebt und den Nervenkitzel genossen.
Doch eines Tages kam es zu einem furchtbaren Schlag gegen den Rest seines Selbstbewusstseins, der dazu führte, dass er ausrastete und kein lahmes Lämmchen mehr war. Wie ihr das zuwege gebracht habt, dass dieser Feigling seinen Überlebenswillen in wilder Tat zu bestätigen suchte, mag euer Geheimnis bleiben, aber es war so, nicht wahr?«
Maria und Cornelia warfen sich böse Blicke zu. Ich dachte, man müsste ihnen jetzt nur noch ein Messer in die Hand drücken, und sie fielen mörderisch übereinander her. Cornelia federte aus dem Sessel, schob das bis zur Hüfte empor gewanderte Kleid nach unten, knirschte mit den Zähnen und knurrte bitterböse:
»Warum soll ich es dir auch nicht sagen, Volpe? Jetzt ist alles gleichgültig. Raimondo fing an, sich heimlich mit einem Mann zu treffen. Er betrog mich mit einem Freund im Alter von siebzehn Jahren. Maria hat es herausgefunden. Sie kannte ihn besser. Sie hat es ihm angesehen und auf den Kopf zu gesagt. Er hat alles gestanden, und sie hat es mir dann verraten. Genüsslich hat sie es ausposaunt, um mich fertig zu machen.«
Dann nahm sie wieder Platz.
»Das war, um es genau zu sagen, vor zehn Tagen«, sagte Volpe kalt, »und vor zehn Tagen bist du dann auch wildentschlossen zur Tat geschritten, nicht wahr?«
»So ist es«, zischte Cornelia, »es war in der Nacht vor zehn Tagen, als es geschah. Aber in einem irrst du, caro mio Giuseppe, nicht ich, wir beide, Maria Antonia und ich, wir sind gemeinsam zur mörderischen Tat geschritten.«
»Ach, da sieh‘ mal einer an«, sagte Volpe verhalten kichernd, »ihr wart euch ausnahmsweise einmal einig; na so was!«
»Jetzt reicht es mir aber«, brüllte ich wie ein Stier, »ich lasse mich nicht länger für blöd verkaufen. Hier weiß offenbar jeder Bescheid, nur ich nicht. Ich verlange Aufklärung.«
Volpe rieb sich die Hände und sagte schmunzelnd:
»Mein Lieber, wie schwach ist doch dein Gedächtnis! Worüber haben wir denn vor neun Tagen diskutiert?«
»Ach so«, sagte ich, »jetzt erinnere ich mich wieder. Spaziergänger fanden draußen am Lido einen ertrunkenen jungen Mann. Er war an den Strand gespült worden. Ambrosio ließ ihn untersuchen. Die Ärzte fanden keine Spur von Gewaltanwendung. Er war eben ertrunken, wie das hierzulande hin und wieder vorkommt, wenn sich die Schwimmer überschätzen.«
»Und ich hatte dir gesagt, dass Ambrosio gut daran getan hätte, mich hinzu zu ziehen. Er hat wieder einmal alle Details, die auf eine andere Erklärung hinwiesen, übersehen. Beispielsweise war der Jüngling vollkommen bekleidet, und darum ist die gegebene Erklärung hirnrissig. Entweder hatte er Selbstmord begangen, da solche Leute gewöhnlich nicht nackt aufgefunden werden möchten, oder es lag ein Gewaltverbrechen vor. Ich tippte damals bekanntlich auf die zweite Möglichkeit. Nun, meine Damen, wäre es an der Zeit, uns reinen Wein einzuschenken!«
Maria Antonia nickte und nahm das Wort:
»Ich lud den kleinen Liebhaber als Raimondos Mama zu einem spätabendlichen Spaziergang am Lido ein, indem ich sagte, ich wolle ihn kennen lernen. Cornelia war mit von der Partie. Wir unterhielten uns längere Zeit mit ihm, bis es allmählich dunkel wurde. Jetzt gaben wir ihm etwas zu trinken. Ich hatte noch ein Wenig vom Gift übrig, mit dem ich meinem Mann Nachhilfe im Sterben gegeben hatte.
Da wurde ihm schlecht. Er hockte sich auf den Sand und jammerte. Der Ärmste hatte teuflische Leibschmerzen. Als er schließlich bewusstlos wurde, schoben wir ihn vorsichtig ins Wasser und tauchten seinen Kopf unter. Es war alles ganz einfach.
Wir nahmen dann auf der Venedig zugewandten Seite der Insel ein Wassertaxi, fuhren damit das beträchtliche Stück Richtung Dogenpalast, von dort aus den Canal Grande hinunter und kurz hinter der ‚Cá d‘ Oro‘ in den ‚Rio di San Felice‘ hinein, um uns an der Anlegestelle des ‚Palazzo Papafava‘ absetzen zu lassen. Wir gingen hinein und feierten den Sieg bis nach Mitternacht. Raimondo hatte keine Ahnung. Er steckte im Atelier und malte.«
Maria schwieg. Cornelia nahm das Wort:
»Und dann brach er hervor und kam zu uns ins Speisezimmer, bekleckert von oben bis unten. Ich triumphierte über ihn wie noch nie zuvor. In allen Einzelheiten schilderte ich, was wir getan hatten. Er heulte wie ein Mädchen. Ich gab ihm den guten Rat, Mutter und Ehefrau bei den Carabinieri anzuzeigen, aber er wagte es nicht. Man hätte ihm wahrscheinlich keinen Glauben geschenkt, und die Wasserleiche war längst eingeäschert.«
Volpe freute sich über so viel Offenheit; er sagte:
»An diesem Tag also überkam es Raimondo, sich als Mann zu betätigen. Es musste eine Tat sein, mit der er sich über die Heerscharen der gewöhnlichen Männer stellte. Dabei kam ihm zuerst der Gedanke, seine beiden Frauen zu ermorden. Das wäre ihm am liebsten gewesen und hätte ihm die größte Genugtuung verschafft. Doch diesen Plan verwarf er wieder, da er zu gefährlich war, zumal er damit rechnen musste, dass sie auf der Hut waren. Also tat er so, als ob sein Zorn verrauscht wäre und benahm sich wieder wie das allerliebste und allergehorsamste Kind.
Selbst ein biederer Wachmann wie Ambrosio hätte nämlich solch einen Fall gelöst. Ferner dürfte von nun an niemand mehr dagewesen sein, ihm zu helfen und ihn zu trösten. Der Gedanke, ohne Mutter und Frau, die ihm Mut und Zuversicht predigten, auf Leben und Tod vor Gericht zu stehen, war ihm unerträglich, selbst wenn sie ihm den Geliebten genommen hatten.
Da verstand er es denn, den Hass auf die beiden Damen in blinden Abscheu auf alle Frauen übertragen, und seine Wut richtete sich vor genau fünf Nächten gegen eine Passantin, die ihm hätte gleichgültig sein müssen.
Ihre Ermordung erfüllte ihn mit Selbstbewusstsein und Genugtuung, denn er hatte in Wirklichkeit die Mutter oder Ehefrau getötet. Jetzt sah er, wie die Carabinieri im Dunklen tappten, da es ja kein erkennbares Motiv zu entdecken gab. Das eröffnete ihm den Weg zu drei weiteren Frauenmorden, denn mit lähmendem Entsetzen musste er begreifen, dass die Erleichterung, die er sich mit jeder Gräueltat verschaffte, nur von kurzer, immer kürzerer Dauer war. Eines Tages, das begriff er, würde er die beiden ihn beherrschenden Frauen doch noch töten müssen.«
Volpe blickte erst Cornelia, dann Maria fest in die Augen. Sie zeigten keine Regung und schwiegen verbissen.
»Raimondo mordete, wie er lebte, als Feigling. Er wählte den mörderischsten Dolch aus, den es gibt und überfiel hilflose Frauen im Halbdunkel der Gassen, wo er sich so gut auskannte, dass er jedes Mal entkommen und bei seiner Mama Unterschlupf finden konnte. Habe ich Recht, Maria Augusta?«
Sie verzog keine Miene und starrte auf ihre Hände.
»Jedes Mal, wenn er ein Opfer schlachtete, fühlte Raimondo auch eine körperliche Befriedigung. Er war endlich zum Mann geworden, dem sich die Frauen hingeben mussten, dachte er, obwohl er nicht in der Lage war, sie zu schänden, wie das andere Verbrecher seiner Art stets tun.
Er beschränkte sich vielmehr darauf, ihnen das Kleid aufzuschlitzen, um sie in obszöner Haltung liegen zu lassen. Wäre er wirklich ein Mann gewesen, ein abscheulicher, so hätte er ihnen an anderem Orte aufgelauert, ihnen das Messer an die Kehle gesetzt und sie vergewaltigt, bevor er ihnen den Rest gab.«
Volpe war jetzt wieder aufgesprungen und lief außer sich vor Erregung im Zimmer auf und ab. Ich sah, wie Maria Augusta mehrfach den Mund öffnete, um ihn stumm wieder zu schließen. Cornelia bleckte die Zähne. Ihre wulstigen Lippen zuckten. Volpe stützte sich nun auf den schweren Tisch, auf dem vorhin noch die Speisen gestanden waren und starrte abwechselnd auf die bleich in sich gekehrten Frauen:
»Ich will euch gar nichts vormachen«, zischte er, »Raimondo hat kein Geständnis abgelegt. Er hat alles abgestritten. All das, was ich eben gesagt habe, entspringt meiner Intuition, und dennoch: Er hat