Blicke hinterher, die in einem versonnenen Lächeln endeten, als der Mörder noch einmal Kehrt machte, um Volpes Blick zu erwidern und kurz nickte. Danach schloss sich die eisenbeschlagene Pforte hinter ihm.
Mir war nichts Besonderes aufgefallen, aber ich kannte ja die Methoden des Freundes. Daher fragte ich ihn umgehend, was daran so interessant gewesen sei. Aber er sagte nur, wir müssten jetzt möglichst bald schlafen gehen, denn bereits kurz nach Sonnenaufgang werde Ambrosio bei uns vorsprechen. An ein langes Ausschlafen sei also nicht zu denken.
»Aber der Tenente hat uns doch gar keinen Besuch angekündigt«, flüsterte ich ihm ins Ohr.
»Und dennoch wird er zur Stelle sein und gleich zwei Gründe dafür haben«, sagte mein Freund und erhob sich vom Sitz. Dann entfernten wir uns eilig. Volpe tänzelte vor mir Jammergestalt daher und pfiff ein Liedchen. Ich verfluchte seine gute Laune, stellte nun keine weiteren Fragen mehr und folgte ihm mühsam humpelnd, stöhnend, jammernd und klagend nach Hause.
»Ich bin Arzt und kein Langstreckenläufer.«
»Aber das waren doch höchstens zwanzig Meilen (30 km.), die wir heute zurückgelegt haben«, entgegnete Volpe und beschleunigte seine Schritte. Schon waren wir auf dem ‚Campo SS. Giovanni e Paolo‘ angekommen.
Volpe rief dem Colleoni ein »buona sera, cavaliere« zu. Dann eilten wir zu seiner Hütte. Ich Stinktier ließ mich auf die erstbeste Liege fallen, ohne das Schlafzimmer aufzusuchen, um unverzüglich einzuschlafen, während sich Volpe durch nichts auf der Welt davon abbringen ließ, eine Zeitlang genüsslich unter der Dusche zu stehen und erst die heißen, dann die kühlen Fluten an sich hernieder brausen zu lassen. Er nennt so etwas ‚Disziplin‘, ich bezeichne es als Wahnsinn.
12. Teil: Überraschung nach der fünften Nacht
Wie lange und wie fest ich geschlafen hatte, weiß ich nicht. Wie betäubt muss ich gelegen haben, fest mit dem Polster verwachsen, und nur so viel steht fest: Während die Sonne ihre ersten Pfeile über der erwachenden Stadt verschoss, nachdem sie mühsam über der östlichen Adria aufgegangen war, wurde ich mit dem Ruck des Sturzes in einen Abgrund aus dem tiefsten Schlaf gerissen. Volpe hatte mich geweckt und schnaubte:
»Stehe sofort auf, du stinkendes Faultier, und sieh zu, dass du dir den Schweiß vom Körper wäschst! Jeden Augenblick wird der Tenente bei uns aufkreuzen, um uns all das zu berichten, was ich ohnehin schon weiß. Willst du, dass er in deiner Gegenwart erstickt oder brechen muss?«
Im Halbschlaf grunzte ich, das sei mir gleichgültig und mir täten die Beine so weh, als wäre ich die 42 Kilometer von Marathon nach Athen gerannt, ohne eine Pause einzulegen, aber Volpe war unerbittlich und zog mir die Decke weg, die ich mir gestern noch besorgt hatte und kitzelte mich an den Füßen.
Ihn leise verfluchend, erhob ich mich also, um mich ins Bad zu schleppen. Unterwegs zitierte ich eine Stelle aus dem Satiricon des römischen Dichters Petronius, der weiland von Kaiser Nero, dem Ungeheuer, zum Selbstmord gezwungen worden war und moserte, »Wasser hat Zähne«, um dann weiter zu maulen:
»Und du Neunmalkluger weißt natürlich schon jetzt, was in der verbliebenen Nacht, die wir verschlafen haben, so alles geschehen ist, oder warst du wieder einmal heimlich unterwegs, statt zu pennen? Ich jedenfalls brauche meine Nachtruhe und sage dir als dein Arzt, dass man ohne hinreichenden Schlaf früher stirbt oder wahnsinnig wird. Du wirst schon sehen.«
»Beeile dich lieber! Wahnsinnig bin ich schon jetzt. Da gibt es nichts mehr zu verderben. Aber es wäre wirklich schön, wenn du dich frisch gemacht hättest, bevor Ambrosio antanzt, um sich mit seinen Neuigkeiten zu brüsten.
Ich jedenfalls bin vorhin eine halbe Ewigkeit unter der heißen und kalten Dusche gestanden und dadurch putzmunter geworden. So, und jetzt hinein mit dir ins heiß ersehnte Badezimmer! Du stinkst wie eine altrömische Latrina!«
Energisch schob er mich ins Bad und zog mir die im getrockneten Schweiß bretthart gewordenen Klamotten herunter, nahm sie mit, reichte mir den Rasierapparat und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Ich mähte die Stoppen herunter, stellte mich in die Duschwanne, drehte den Hahn auf und stellte mich fluchend unter das eisig herab stürzende Wasser, um dort auszuharren, solange es ging. Schließlich war ich rundum blau angelaufen und drehte ihn auf warm, schließlich auf heiß.
Danach war ich wie neu geboren, besonders, nachdem ich das blaue Frotteetuch vom Haken gefischt und mich damit gründlich abgerubbelt hatte. Wie verrückt schrie ich dann als reiner Nackedei nach frischer Kleidung, und Volpe persönlich bediente mich süffisant grinsend, um mich Schlaffsack dann über den schwankenden Estrich ins Arbeitszimmer zu führen, wo die Colazione schon auf mich wartete:
Unser Giovanni hatte geröstetes Brot, das er mit Käse überbacken hatte, samt einer Schüssel Oliven aufgetischt und eine Riesenkaraffe daneben gestellt. Sie war mit Wasser gefüllt, dem er einen Schuss Wein beigegeben hatte, damit es nicht so schal schmeckte. Dass mir zwei dick belegte Butterbrötchen mit einem Liter Kaffee lieber gewesen wären, wusste dieser verdammte Gesundheitsapostel ganz genau.
Volpe saß schon bei Tisch und kaute auf beiden Backen, während ich noch unschlüssig in der Gegend herum stand. Doch dann ließ ich mich in einen der zwei noch freien Korbsessel fallen, während der dritte immer noch leer war. Kaum hatte ich Patz genommen, da kam Giovanni auch schon mit Ambrosio im Schlepptau herein geschneit. Der Tenente ließ sich grußlos auf die dritte Sitzgelegenheit fallen und krähte:
»He, hallo, ihr zwei Faultiere! Gut geschlafen, nicht wahr? Aber während ihr hier bequem gerüsselt habt, musste ich geradezu Sensationelles erleben, hellwach und stramm auf dem Posten, wie immer. Gleich will ich euch berichten, was sich zugetragen hat. Ihr werdet staunen!«
»Gemach, gemach!«, sagte Volpe, »zuvor wollen wir frühstücken, denn ich weiß ja schon, was im Revier und der Stadt geschehen ist. Giovanni hat für drei gedeckt, weil ich dich erwartet habe. Also lasst uns essen! Das ist jetzt das Wichtigste. An all dem Übrigen lässt sich ohnehin nichts mehr ändern.«
»Da hast du ausnahmsweise einmal recht«, knurrte Ambrosio garstig, »und gewiss hast du in aller Herrgottsfrühe schon einen kleinen Gang durch die Stadt gemacht und alles erfahren.«
»Nein, wir beiden haben den Schlaf genossen. Meister Petrescu ist als Arzt der Meinung, dass man ohne genügend Schlaf vorzeitig stirbt oder dem Irrsinn anheim fällt. Und da hat er wahrscheinlich recht, wie man an mir sieht. Doch was in dieser Nacht so alles vorfallen würde, wusste ich schon gestern Abend, spätestens als ich das Revier verließ. Aber ich wollte dem Rad des Schicksals nicht in die Speichen greifen.«
»Bist du ein Hellseher? Und warum hast du uns dann nicht verraten, dass neues Unheil im Anmarsch wäre?«
»Ich gäbe einiges dafür, ein Hellseher zu sein«, sagte Volpe seufzend, »denn das wäre für meinem Beruf nützlich. Aber alles, was ich weiß, weiß ich aufgrund logischen Denkens. Ich wollte den Dingen ihren Lauf lassen, denn früher oder später wäre Dasselbe geschehen, unvermeidlich. Ich denke, dass es für alle so, wie es gelaufen ist, besser ist, oder hättest du etwa den Conte gerne auf der Anklagebank gesehen?«
»Nein, natürlich nicht, diesen im Grunde armen Hund«, sagte Ambrosio lahm und begann damit, die Platte zu putzen. Giovanni lugte kopfschüttelnd um die Ecke und besorgte Nachschub. Er staunte nicht schlecht, wie viel ein Tenente der städtischen Wache in den Schlund werfen kann. Schließlich war er gesättigt, rülpste theatralisch und sagte ein erwartungsfrohes »Und?«
Gewiss wollte er herausfinden, ob Volpe wirklich wusste, was er nicht wissen konnte. Mein Freund rieb sich vergnügt die Hände, kicherte eine Zeitlang, blickte auf die aneinander gelegten Fingerspitzen und hub an:
»Machen wir es kurz: Es gab den fünften Frauenmord in der Stadt, zu dem ich anschließend Details hören möchte, und außerdem hat sich Graf Raimondo aufgehängt, nicht wahr?«
»Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen«, staunte Ambrosio kopfschüttelnd,