interessieren dich die Details.«
»Wozu die Mühe machen?«, sagte Volpe und gähnte.
»Der Doktor und ich haben uns gestern die Haxen abgelaufen und sind immer noch hundemüde. Wozu also einen unnötigen Gang? Einzig und alleine den Namen der Ermordeten weiß ich nicht. Wie hieß die Ärmste?«
»Amanda Amati.«
»Nicht wahr, sie könnte weder als jung noch als besonders schlank gelten? Ferner gehörte sie zum ‚ältesten Gewerbe‘ und wurde durch eine Vielzahl von Stichen in den Rücken getötet, die mit einem Küchenmesser ausgeführt wurden. Der Mörder besaß kein Bowie Knife und musste sich behelfen.«
»Stimmt auffallend! Sie war Mitte vierzig und schon tüchtig abgehalftert. Höchsten noch etwas für betrunkene Matrosen. Die Verletzungen habe ich ganz nach deiner Methode untersucht. Es waren insgesamt sieben Stiche, alle mit einer verhältnismäßig kurzen und einschneidigen Klinge ausgeführt. Das giftgrüne Kleid hatte der Mörder diesmal nicht aufgeschlitzt. Immerhin war die Blutlache, in der sie lag, von beachtlichem Umfang.«
»Und es war eine sternenklare Nacht, wir hatten sogar Vollmond. Was hat dein Zeuge gesagt?«
»Zeugin! Eine Zeugin, mein Lieber, stadtbekannt als die Formica (Ameise). Sie war natürlich eine Kollegin dieser feisten Amanda, um die es nicht schade ist. Der Mord fand übrigens in der ‚Calle Zotti‘ statt, wie gehabt.
Beide hatten den Zeitungsleuten darin Glauben geschenkt, dass der Mörder einsitze und waren mal wieder auf Anschaffe gegangen. Die Formica war aber zu weit vom Tatort entfernt, um Details zu erkennen. Das grässliche Kreischen der Amanda hat sie freilich mit anhören müssen. Es soll fürchterlich von den Wänden der Häuser widergehallt haben, um dann zu verstummen. Sie will dann hin gerannt sein, um der Ärmsten beizustehen, aber sie verröchelte schon den Geist. Dann sah die Formica den Täter:
Sie spricht von einer auffällig großen Gestalt, welche sich, als sie näher kam, einen dunklen Umhang, wie ein Radmantel, über den Kopf zog und wie verrückt in die ‚Calle di Pistor‘ flüchtete, wo der Kerl sich unsichtbar machte. Ich denke, unser guter alter Conte hat sich das Leben voreilig genommen. Jetzt ist er postum entlastet. Nach dem neuerlichen Mord hätten wir ihn doch wohl laufen lassen müssen.«
»So ein Unfug! Das wäre einer Katastrophe gleich gekommen«, sagte Volpe, »denn wenn er wirklich zu Unrecht verhaftet worden wäre, hätte er wie ein Löwe um sein Recht gekämpft, schon der heiß und innig geliebten Mama zuliebe. Der Selbstmord gleicht daher einem Geständnis.«
Ambrosio murrte: »Zunächst einmal könntest du mir sagen, wieso du den Suizid vorherzusagen im Stande warst, ohne ihn aber verhindern zu wollen. Ferner musst du mir erklären, was der erneute Frauenmord für uns dann zu bedeuten hat und wie ich ihn einordnen muss.«
»Es wird keinen einzigen weiteren dieser Frauenmorde mehr geben, jedenfalls auf absehbare Zeit und im bisher üblichen Zusammenhang. Der Täter hätte das Morden gewiss unterlassen, wäre ihm der Selbstmord des Grafen bekannt gewesen.
Alle Indizien, Ambrosio, die du gesammelt hast, sprechen freilich eine eindeutige Sprache, nämlich, dass hier ein anderer Mörder am Werk war, ein Nachahmungstäter, einer mit ganz anderer Absicht als der Conte.«
»Und wer sollte das gewesen sein?«
Volpe zuckte mit den Achseln und sagte:
»Das heraus zu finden, ist Sache der Carabinieri. Für mich persönlich ist mit der Verhaftung und der glücklicherweise erfolgten Selbsttötung des Grafen der Fall erledigt. Ich habe jedes weitere Interesse daran verloren.
Woher ich wusste, dass sich Raimondo umbringen wollte, willst du noch wissen, nicht wahr? Lieber Herr Kollege, ich schätze deine Tatkraft und Zähigkeit beim Verfolgen von Verbrechern seit Jahren sehr. Aber du hast es immer noch nicht gelernt, dich in das Seelenleben des Täters einzuklinken. Sag an! Was hättest du an Raimondos Stelle getan?«
»Mich erhängt, das geht schnell«, seufzte di Fusco, »und das, um zu verhindern, dass man mich in langem Prozess vom Psychiater auseinander nehmen lässt, als schwulen Geistesgestörten hinstellt und am Ende noch ins Irrenhaus wegsperrt, mich, den edlen Conte d‘ Inceto. Ich Hornochse, ich blöder!«
»Bitte, jetzt kein geistiges Selbstschlagen, sonst kommt mir das Frühstück hoch«, sagte Volpe streng, »und bedenke doch einmal, was du dem Neurotiker erspart hast, als du darauf verzichtetest, ihn die gesamte Nacht unter Bewachung zu stellen?
Was er vor hatte, war doch für jeden aufmerksamen Betrachter klar! Während ihn deine zwei Polizisten in die Zelle verschleppten, um ihn für den Rest der Nacht dort einzusperren, habe wenigstens ich ihn ganz genau beobachtet.
Zunächst war er wahnsinnig vor Angst und Verzweiflung und wehrte sich nach Kräften. Dann begriff er, dass nichts zu machen sei und erschlaffte am ganzen Körper. Ohne die Ehrengarde, die du ihm beigegeben hast, wäre er zu Boden gegangen.
Indem er den Kopf nun hängen ließ, fielen seine Blicke auf die seidene Schnur, mit der er seinen seidenen Morgenrock in der Taille gegürtet hatte und seine Augen leuchteten jetzt wie im Fieber. So etwas wie ein überirdisches Glück strahlte aus ihnen, und da wusste ich, was er zu tun beabsichtigte, nickte ihm aufmunternd zu und billigte sein Vorhaben.«
»Ja, wirklich«, sagte Ambrosio überheblich lächelnd, »wenn ich es so betrachte, dann war es wirklich keine Hexerei und sogar die reinste Lappalie, das zu begreifen. Rein zufällig war ich aber noch mit dem Capitano ins Gespräch vertieft, so dass mir diese Kleinigkeiten leider entgangen sind.«
»Siehst du, mein lieber Doktor«, sagte Volpe schmunzelnd, »wohin es kommt, wenn man offen und ehrlich ist. Wie sagt doch der alte Römer schon: ‚Arcana tantum sunt mirifica ac stupenda‘ (nur Geheimnisvolles ist wunderbar und staunenswert).«
Der Tenente erhob sich, um zu gehen. Volpe wünschte ihm noch viel Glück bei der Fahndung nach dem neuerlichen Täter, und Ambrosio machte sich auf den Weg zum Tatort, um die Leiche entfernen zu lassen.
Wir blieben zurück, zu Tische sitzend und genossen die besten Häppchen, die sich der voreilige Kollege hatte entgehen lassen, tranken dazu süßen Wein, naturgemäß stark mit Wasser vermischt und ließen Gott einen guten Mann sein.
Als wir damit fertig waren, sagte Volpe, zur Cena um 20. 00 Uhr kämen zwei Gäste, auf die er sich tierisch freue. Da sie noch nichts von ihrem Glück wüssten, müsse er jetzt sofort die entsprechenden Einladungen schreiben, von Hand natürlich, auf Büttenpapier, und sie durch den guten alten Giovanni persönlich zustellen lassen.
»Warum keine Mail? Warum nicht telefonisch?«, fragte ich.
»Nur auf diese altmodische Einladung werden sie reagieren. Nur derart persönlich eingeladen, werden sie kommen. Ich habe übrigens hinzugefügt, dass auch du dabei sein wirst.«
Mit diesen Worten erhob er sich, während ich faul hocken blieb, um zum Schreibtisch zu eilen, wo er auf kostbarem Büttenpapier zwei Briefe schrieb, die er in je einen bezaubernd schönen Umschlag steckte, versiegelte und dem Butler anvertraute, der sich eilig auf die Socken machte.
Mit den Adressaten tat Volpe geheimnisvoll und antwortete, als ich ihn danach fragte, ausweichend. Nur so viel verriet er mir, dass ich heute Abend zwischen den beiden Gästen sitzen müsse, damit es nicht zu unangenehmen Zwischenfällen käme.
Das war alles, was ich aus ihm herausbekam. Eine Zeitlang geigte er virtuos auf seiner Stradivari herum, um auf andere Gedanken zu kommen und führte mir ein paar der Kapricen von Paganini vor. Er hatte das Talent zum Virtuosen, aber es fehlte ihm an Ausdauer. Ja, es war bereits beachtlich, wenn er nach einem gelösten Fall wie diesem nicht in völlige Lethargie verfiel.
Dann endlich verließen wir das Haus, winkten am ‚Rio di Mendicanti‘ einem Gondoliere, um uns durch das Labyrinth der kleinen Kanäle zum Kai vor der Seufzerbrücke rudern zu lassen. Dort ergatterten wir an einem Zeitungsstand das Morgenblatt und durften die erste Seite genießen, die ich hier wiedergebe:
»NEUER